Jack Unterweger: Der Popstar unter den Serienmördern
Miami, Februar 1992. Ein Packerl mit 100.000 Schilling und Medikamenten lag am Postamt, aus Wien in die USA geschickt, als Honorar für eine exklusive Fluchtstory des „Häfenliteraten“ Jack Unterweger. Doch als er das Paket holen wollte, klickten die Handschellen: Am Schalter wartete das FBI. Die US-Behörden vollzogen einen Haftbefehl: Verdacht auf elffachen Mord.
Der Rest ist Kriminal-, Justiz- und Sozialgeschichte. Unterweger, Ende der 1970er Jahre wegen des Mordes an einer 18-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt, machte nach seiner Entlassung 1990 Karriere als Szenetiger und Talkshowgast: Seine Werke, die er in der Justizanstalt Stein schrieb, überzeugten viele Vertreter aus Kunst und Kultur so sehr, dass der damals 40-Jährige als ein Paradebeispiel von Resozialisierung galt.
Manipulativ
„Jack Unterweger war der manipulativste Mensch, den ich je kennengelernt habe“, erinnert sich Ernst Geiger. Der ehemalige Kriminalist war Leiter der Sonderkommission. „Vor allem Frauen hat er um den Finger gewickelt.“ Geiger selbst erinnert sich an Unterwegers aufbrausende Art. „Bei mir hat seine Masche nicht funktioniert. Bei der Einvernahme ist er ausgerastet. Er hat mir den Namen ,Geifer’ gegeben.“
Nur ein paar Monate nach Unterwegers Entlassung aus dem Gefängnis begann eine Mordserie. Elf Frauen, allesamt Prostituierte, wurden getötet, alle auf die gleiche Weise: Sie wurden mit ihrer eigenen Unterwäsche stranguliert.
Der 1. Prozess
Am 1. Juni 1976 wurde Jack Unterweger, 1950 geboren, in Salzburg wegen Mordes an einer Frau zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Autor
In der Justizanstalt Stein begann Unterweger zu schreiben, u. a. entstand „Fegefeuer“, ein autobiografischer Roman. Das brachte ihm die Zuschreibung „Häfnliterat“ ein. Unterweger wurde 1990 auf Bewährung entlassen.
Der Szene-Mann
Noch während der Haft setzen sich Künstler für ihn ein: Er sei das Beispiel einer geglückten Resozialisierung. Nach der Entlassung tauchte er in der Seitenblicke-Gesellschaft auf.
Der 2. Prozess
Nur Monate danach begann eine Mordserie an Prostituierten. Unterweger bestritt die Taten. Als ein Haar eines Opfers in seinem Auto gefunden wurde, flüchtete er in die USA, wo er am 27.2. 1992 verhaftet wurde. Der Mordprozess begann am 20. 4. 1994 in Graz und endete am 28.6. in erster Instanz mit lebenslang für neun Morde. Wenige Tage später erhängte er sich in seiner Gefängniszelle.
20 Monate, 50 Frauen
Doch Unterweger war lange nicht im Visier der Ermittler. Aus einem einfachen Grund: Er passte nicht zum gesuchten Tätertyp. Die Polizei ging davon aus, dass es sich um einen Einzelgänger handelt, der Hass auf Frauen hatte, der mit ihnen nicht umgehen kann. Bei Unterweger war das Gegenteil der Fall.
Er verkehrte in der Schickeria, wickelte die Frauen reihenweise um den Finger. „Er war 20 Monate in Freiheit. Wir haben 50 Frauen im Alter von 15 bis 65 Jahren gefunden, die mit ihm da eine Beziehung hatten“, schildert Ernst Geiger. „Darunter eine vermögende Unternehmergattin, die ihm Wohnung, Ford-Mustang und eine monatliche Apanage bezahlt hat. Andere Frauen haben für ihn Kredite aufgenommen.“
Allerdings befand sich Unterweger stets an jenen Orten, an denen es zu Frauenmorden kam – in Wien, Graz, Prag und Los Angeles, wo er Lesungen hielt. Letztlich waren es aber ein Haar und eine Textilfaser, die vor exakt 30 Jahren zur Flucht in die USA und zum Haftbefehl geführt haben: In Unterwegers Auto wurde ein Haar gefunden, das mit hoher Wahrscheinlichkeit einem der Opfer zugerechnet werden konnte erstmals überhaupt in Österreich wurde ein DNA-Gutachten vor Gericht zugelassen. Auf dem Kleid einer anderen Frau wurde eine Faser gefunden sie erwies sich als identisch mit jenem Material, aus dem auch ein Schal Unterwegers hergestellt war.
Auslieferung
Nach der Verhaftung in Miami wurde Unterweger nach Österreich ausgeliefert, Gerichtsstandort war Graz. Juristin Astrid Wagner war damals Rechtspraktikantin am Straflandesgericht und erlag dem Charme Unterwegers und der Faszination des Medienphänomens.
Diese Beziehung arbeitete die Rechtsanwältin viele Jahre später in ihrem Buch „Verblendet“ auf. „Dass er ziemlich brutal eine 18-Jährige umgebracht hat, habe ich ausgeblendet und mir schön geredet“, beschreibt Wagner in Interviews. Die Anzüge, die er beim Mordprozess 1994 trug, besorgte Wagner, sie reinigte auch Unterwegers Wäsche. „Ich war schwer verblendet. Aber ich war auch fasziniert von ihm.“
Die Juristin war damit nicht allein. In der U-Haft erhielt er Unmengen an Post vor allem von Frauen: An die 40 Briefe pro Tag, viele mit Nacktfotos als Beigabe.
Am 28. Juni 1994, 21 Uhr, fiel das Urteil im Schwurgerichtssaal des Grazer Straflandesgerichts: Jack Unterweger wurde in neun Fällen des Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. In zwei weiteren angeklagten Morden sprachen ihn die Geschworenen mit fünf zu drei Stimmen frei.
Unterweger schüttelte den Kopf und meldete selbst Nichtigkeit und Berufung an.
Damit galt das Urteil als nicht rechtskräftig, der Mordprozess wurde nur in der ersten Instanz beendet. Doch in der Nacht nur ein paar Stunden nach der Urteilsverkündung erhängte sich der 44-Jährige in seinem Haftraum.
Mit Unterwegers Suizid musste das Verfahren aber eingestellt werden: Da der Weg durch nächsten Instanzen nicht mehr möglich war, wurde er in seinem zweiten Mordprozess nie rechtskräftig verurteilt.
Diese Rechtskraft wäre erst mit einem Spruch des Obersten Gerichtshofes in Wien entstanden. Der OGH hätte das Grazer Urteil im Fall von Formalfehlern aber auch aufheben können.
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