Hofreitschule: Die Helfer im Schatten der weißen Hengste
So ein Lipizzaner-Hengst ist auch ein Feinspitz: Steht er in der historischen Stallburg im Wiener Stadtzentrum in der Box, schlabbert er literweise Hochquellwasser, das zuvor durch einen Grander-Apparat rinnt.
Dreimal am Tag gibt es wie in einer Vollpension nach exaktem Ernährungsplan (träge Pferderln bekommen mehr) Heu und Lipizzanermüsli, das eigens zusammengemixt wird. Das Müsli enthält gequetschten Hafer und spezielle Nährstoffe, die auch das Wachsen der Hufe forcieren sollen.
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Und wehe, es geht auf Tournee! Stallmeister Andreas Haipl lächelt, er kennt seine Pappenheimer: Zum gechlorten Wasser, das in den USA dargereicht wird, bringen die Wiener Hengste keine zehn Pferde. Auch in Abu Dhabi muss ihnen das Trinken schmackhaft gemacht werden: „Wir verdünnen dort jeden Kübel Wasser mit einem halben Liter Apfelsaft.“
Ein Tischler hat umgesattelt
Es sind solch nette Geschichten, die eine Wiener Sehenswürdigkeit zu bieten hat. Sie werden von all den dienenden Menschen im Schatten der weltbekannten Pferde erzählt.
Nett ist auch der Werdegang von Stallmeister Andreas Haipl. Er hat ursprünglich Tischler gelernt, um dann sprichwörtlich umzusatteln. Er erzählt: „Ich habe vor zwanzig Jahren in der Stallburg als Pferdepfleger zu arbeiten begonnen.“
Der Arbeitstag des Stallmeisters beginnt zeitig, schon um 5.30 Uhr. Aus gutem Grund: Er ist für sein 30-köpfiges Team ebenso verantwortlich wie für die 71 Pferde, die zwischen dem Training und den öffentlichen Auftritten Ruhe, aber auch Zufuhr von viel Energie benötigen.
Gut geplant in den Tag: Andreas Haipl teilt die Pferde, Pfleger und Pflegerinnen ein. Erstellt Futterpläne, gibt dann Bestellungen auf. Der Stall mitten in der Kernzone des Denkmalschutzes ist eine besondere Herausforderung. Jede Bestellung muss genau getaktet sein. Der Stauraum für Heu, Stroh, Kraftfutter und Sägespäne ist in den jahrhundertealten Gemäuern überschaubar. Der Stallmeister weiß: „Wir müssen uns hier nach der Decke strecken.“
Ein Oberbereiter gibt Zucker
Wenn er es für angemessen hält, wenn sein Neapolitano Mercurio wieder einmal brav war, greift der Oberbereiter in seine Zuckertasche, die extra in die stattliche Uniform eingenäht wurde. Neapolitano Mercurio lächelt irgendwie, bevor er ihm aus der Hand frisst. Er bekommt ein Stück Wiener Würfelzucker.
Oberbereiter Herbert Seiberl ist voll des Lobes für den Hengst: „Er ist 13 Jahre alt, zeigt sich in der Vorführung in allen Gängen und Touren. Er ist ein sehr verlässlicher und unproblematischer Hengst, will immer sein Bestes geben und macht’s dem Reiter sehr leicht.“ Herbert Seiberl kennt Mercurio schon, seit dieser als Vierjähriger vom Lipizzanergestüt in Piber nach Wien übersiedelt ist, wo er zunächst angeritten wurde. „Er ist ein ganz ein Netter, es macht wirklich Spaß, ihn täglich zu reiten.“
Vor vier Jahren wurde Herbert Seiberl zu einem von insgesamt zwei Oberbereitern ernannt. Zuvor hat er über dreißig Jahre ganz klassisch die Karriereleiter in der Hofreitschule erklommen: „Begonnen habe ich 1994. Ich war sechs Jahre lang Eleve, wurde dann Bereiteranwärter, da musste ich – wie alle anderen auch – ein junges Pferd bis hin zur Schulquadrillsreife ausbilden, das dauerte noch einmal sechs Jahre.“ Endlich Bereiter, musste er eine Vielzahl von Pferden ausbilden, um schließlich 2019 Oberbereiter zu werden.
Seine Kernaufgabe: „Das Ausbilden der Pferde sowie der Bereiter und Bereiterinnen.“ Weniger schön, aber auch notwendig: „Das Erstellen von Dienst- und Urlaubsplänen.“
Die Stallburg: Sie wurde im Jahr 1565 erbaut und ist Wiens ältestes und auch bedeutendstes Renaissancegebäude.
Ihre Bewohner: In der Stallburg sind jeweils 72 der 114 weißen Hengste untergebracht.
Weltkulturerbe: Die Hofreitschule Wien ist die einzige Institution der Welt, an der die klassische Reitkunst in der Renaissancetradition der „Hohen Schule“ unverändert weiter gepflegt wird. Sie ist immaterielles Kulturerbe der Menschheit.
Futter: Die Pferde benötigen zehn Tonnen Stroh pro Monat und eine Tonne Heu pro Tag.
Hufeisen: Achtzig Pferde tragen Hufeisen, der Rest geht barhuf. Ein Hufeisen hält rund ein halbes Jahr.
„Morgenarbeit“: Dreißig Minuten dauert ein Training, was Mensch und Tier gleichermaßen herausfordert.
Den Pferden möchte Seiberl „ein Leben so schön wie möglich“ bieten. Dass manche älter als 20 Jahre sind und immer noch in der Vorführung mitwirken, sei ein Beweis dafür, dass dies auch gelingt.
Hilfreich sei das Rotationssystem: Immer wieder werden die Lipizzanerhengste aus dem Vorführ-Alltag mitten in der Stadt herausgenommen, um auf der Koppel im niederösterreichischen Heldenberg zu verschnaufen. In Wien winkt bei schönem Wetter ein Ausritt in den Burggarten.
Gegen zehn Uhr geht es hinüber zur öffentlichen „Morgenarbeit“. Täglich werden Pferd und Reiter trainiert. Das Training ist zunächst einmal notwendig, um die Lektionen zu lernen. Und wenn die Pferde alles gelernt haben, ist es weiterhin notwendig, um sie fit, gesund und bei Laune für die Vorführung zu halten. Der Oberbereiter erläutert: „Weil wenn ein Pferd einmal etwas gelernt hat, verlernt es das nicht mehr.“
Ein Hufschmied hat Glück
Harald Neukam erzählt, dass er zu Hause gleich mehrere Glücksbringer aufgehängt hat: „Und zwar jedes Hufeisen so, dass das Glück nicht ausrinnen kann.“ 1989 hat er „in der Spanischen“ mit der Ausbildung zum Hufschmied begonnen. Heute ist er hier der Meister, neben einem Gesellen und einem Lehrling. Sehr dankbar wären die Pferde, wenn sie ihnen wieder einmal vorsichtig das Horn wegraspeln und so zu einer planen Fußhaltung verhelfen.
Der Hufschmied weiß: „Man kann ihnen mit dem Hufbeschlag sehr wohl helfen.“ Ist ein Lipizzaner nicht hundert Prozent im Takt „oder zeigt eine Lahmheit, kommt er zuerst zu uns und wird gemeinsam mit der Tierärztin kontrolliert“.
Alle sechs bis acht Wochen wird das Hufeisen abgenommen, das Horn geschnitten und das Eisen neu angepasst, so Neukam. „Das ist wie beim Menschen: Passt der Schuh, ist das Gehgefühl in Ordnung.“
Eine Spezialität der Hofreitschule ist der Kaltbeschlag. Der ist aufgrund der behördlichen Auflagen erforderlich: „Die Hufeisen warm aufbrennen dürfen wir nicht, weil im ersten Bezirk kein offenes Feuer erlaubt ist.“
Ein Sattler ist auch ein Unikat
Ali Kanyücel hat heute Grund zum Feiern: „Ich habe vor 42 Jahren hier zu arbeiten begonnen.“ 1981 kam er als junger Mann in die Hofreitschule und wurde von den älteren Kollegen gut ausgebildet. Heute ist Kanyücel der einzige Sattler im Betrieb. Er sorgt exklusiv dafür, dass Bereiter und Bereiterinnen auf ihren Pferden bequem sitzen und auch die Tiere nicht unter ihrer Last leiden müssen.
Die Spanische Hofreitschule nennt 190 Sättel ihr Eigen, darunter 70 Sättel aus weißem Hirschleder für die Vorführungen, außerdem 100 Trainingssättel (für jedes Pferd einen eigenen) und 20 Ersatzsättel. Ali Kanyücel kennt jeden Sattel. Nach jedem Ritt reinigt er die Sättel mit Sattelseife vom Schweiß. Dann lässt er sie mit Fett, Paste und Öl ein. Die Arbeit des erfahrenen Sattlers zahlt sich aus: „Unsere Sättel halten mehr als zwanzig Jahre.“
Schön sei es, wenn er mit seiner Arbeit fertig ist und der gereinigte Sattel wieder auf den Pferderücken aufgelegt werden kann. Und wenn der Sattler sieht, dass das Pferd nicht eingeengt wird. Fad sei ihm in den 42 Jahren an seinem Arbeitsplatz noch nie gewesen: „Ich habe immer gesagt: Wenn es einmal nicht mehr Spaß macht, höre ich auf.“ Auch heute sei er gerne in die Arbeit gekommen. Die beginnt immer um 6 und endet um 14 Uhr. Und was sagt die Familie? „Die ist stolz auf mich.“
Ein Lehrling formuliert Ziele
Vinzenz Zöchling nimmt heute an der „Morgenarbeit“ vor Publikum aktiv teil. Hoch konzentriert und auch ein wenig erhaben reitet er ein. Zöchling ist Lehrling im zweiten Lehrjahr, einer von drei Lehrlingen. Bald wird er Eleve. Die Bezeichnung dieses speziellen Lehrberufs lautet: Pferdewirtschaftsfacharbeiter.
Nach dem öffentlichen Auftritt sagt der Auszubildende gelöst: „Es ist schon ein eigenes Gefühl, wenn man in die Halle einreiten darf und dann das Porträt von Kaiser Karl VI. vor dem Publikum grüßt. Die Arbeit ist zwar nicht anders, als wenn man ohne Publikum trainiert, aber man ist jedes Mal stolz darauf, unsere Arbeit hier zu präsentieren.“
Was ihn an seinem Arbeitsplatz in der Hofreitschule besonders beeindruckt, erklärt Vinzenz Zöchling so: „Das ist hier der strikte, genau getaktete Ablauf. Ich habe mir das zuvor eher ponyhofmäßig vorgestellt.“
Arbeitsbeginn ist auch für ihn um 6 Uhr Früh: „Zunächst steht das Füttern der Pferde an, dann das Reinigen ihrer Boxen.“ Gegen 7 Uhr startet der Betrieb auf der Reitbahn. Nach der „Morgenarbeit“ heißt es erneut: Pferde reinigen, Sättel putzen. Danach stehen noch Reitlektionen von Bereitern oder Oberbereitern auf dem Programm. Und die Sitzlonge, eine Art Sitztraining für Reiter.
Anders als in früheren Zeiten gehört Vinzenz Zöchling einer Minderheit an – aktuell werden in der Stallburg mehr Frauen als Männer ausgebildet. Er würde sich daher freuen, würden sich wieder mehr Männer für den Bereiterberuf in der Spanischen Hofreitschule anmelden. Seine bis dato gemachten Erfahrungen sind dafür die beste Werbung: „Es ist schon einzigartig, mit einem Pferd als Partner zusammenarbeiten zu dürfen, und dann noch mit einem Lipizzaner.“
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