Verletzter Höhlenforscher ist transportfähig
Gute Neuigkeiten aus der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden: Johann Westhauser ist transportfähig. In der Nacht auf Donnerstag traf auch der zweite entsandte Arzt, ein Italiener, bei dem verletzten Stuttgarter ein, wie ein Sprecher der Bergwacht Bayern mitteilte. Der Schwerverletzte sei transportfähig, müsse jedoch zuvor behandelt werden. Bereits am Mittwochabend erreichte ein Arzt aus Niederösterreich den Verletzten.
"Die Ärzte werden jetzt einen medikamentösen Schutzmantel um den Mann legen", sagte ein Sprecher der Bergwacht Bayern. Dazu hätten sie spezielle Medikamente angefordert, die am Donnerstag bei dem Forscher eintreffen sollten. Sobald der Zustand des Patienten es erlaube, starte man damit, Westhauser aus dem Berg herauszuholen.
Schädelhirntrauma
Unter normalen Umständen müsste Johann Westhauser seit Tagen auf einer Intensivstation betreut werden. Stattdessen liegt er in einer ein bis zwei Grad kalten, nassen, dreckigen Höhle in rund 1000 Metern Tiefe im Untersberg. „Über die Schwelle der maximalen Gefährdung ist er hinweg, über den Berg ist er noch lange nicht“, sagt der Frankfurter Neurochirurg Michael Petermeyer. Der höhlenerfahrene Arzt sitzt in der Feuerwehrzentrale in Berchtesgaden und koordiniert die medizinische Versorgungskette innerhalb der „Riesending“-Schachthöhle, in der seit Sonntag ein gigantischer Rettungseinsatz läuft.
Westhauser war mit zwei anderen Forschern in der Nacht auf Sonntag in Deutschlands tiefster und längster Höhle von einem Steinschlag überrascht und von einem Brocken am Kopf getroffen worden. „Er hat ein Schädelhirntrauma. Die Verletzung ist mit jener von Michael Schumacher vergleichbar, nur schwächer ausgeprägt“, bringt Petermeyer den Ernst der Lage auf den Punkt. Über das Höhlenfunk-System Cavelink kommuniziert der Mediziner mit zwei Ärzten, die am Mittwoch versuchten, zu dem Verletzten vorzudringen. Bei einem der beiden handelt es sich um einen jungen Niederösterreicher, der zwischenzeitlich in Biwak 3 pausieren musste. Ihm gelang es am Mittwoch gegen 17.30 Uhr Westhauser zu erreichen. Ein italienischer Arzt war ebenfalls unterwegs, musste auf halbem Weg aber wie der Österreicher eine Rast einlegen.
Angespannte Stimmung
Die Stimmung in der Einsatzzentrale in Berchtesgaden ist dennoch angespannt. Sie wird von Medien belagert. Das Interesse an der dramatischen Rettungsaktion ist enorm. Die Helfer, die dem „Riesending“ im Untersberg entsteigen, werden strikt abgeschirmt. „Sie sind psychisch und physisch fertig und leer“, sagt Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger. Allein die Dunkelheit und Tiefe würden nur die Wenigsten aushalten.
Unter den Rettern, die sich in das verzweigte Höhlensystem gewagt haben, waren auch sechs Salzburger. Mittwochmittag ist der vorerst Letzte von ihnen wieder an die Oberfläche gekommen. Er war einer der Helfer der ersten Stunde und hat auch den verletzten Höhlenforscher betreut. „Er war 60 Stunden unten und hat gesagt: Es ist die reine Hölle“, berichtet Norbert Rosenberger vom Salzburger Höhlenrettungsdienst.
Den Helfern werde alles abverlangt. Der Abstieg erfordere körperliche Höchstleistungen. „Das ist eine Forschungshöhle, in der man nicht weiß, was einen erwartet. Bevor man da reingeht, bereitet man sich normalerweise technisch und körperlich vor. Wir hatten zwei Stunden Vorlaufzeit“, beschreibt Rosenberger den enormen Druck, der auf allen lastet, die in die Höhle einfahren. Canyons müssten im Spreizgang, Horizontal-Passagen auf allen Vieren bewältigt werden. Beim Abseilen in die bis zu 350 Meter tiefen Schächten gelte: „Ein Fehler, und du bist weg.“
Bangen um Kameraden
Dass ein Arzt schnell und sicher zum Patienten kommt, haben die Einsatzleiter im Laufe des Mittwochs als oberste Priorität bezeichnet. Dass der Mediziner aus Niederösterreich nun bei Westhauser ist, darf als Meilenstein bei der Rettungsaktion gewertet werden. Denn nur ein Arzt kann entscheiden, ob und wie der verletzte 52-Jährige transportiert werden kann. Bislang wurde er lediglich von Sanitätern versorgt. Für ihr Urteil können die Mediziner nur auf ihre Erfahrung bauen. Denn sie müssen ohne Computertomograph und Röntgen auskommen.
Für den Aufstieg ist es nötig, dass Westhauser mithelfen kann – so gibt es etwa eine Engstelle, die nur passierbar ist, wenn man den Kopf schräg legt und den Bauch einzieht. Unter anderem mit Hilfe von Flaschenzügen könnte er über senkrechte Stellen gebracht werden. Ob das sitzend oder in einem Bergesack möglich sein wird, ist offen. Ebenso unklar ist, wie er geborgen werden soll, falls er nicht aus eigener Kraft etwas tun kann.
„Auf der Intensivstation würde man so einen Patienten keinen Millimeter bewegen“, erklärt Neurochirurg Petermeyer, der im Bedarfsfall selbst zu dem Patienten absteigen wird. Einsatzbereit sind auch Höhlenretter aus Österreich. Es ist ein Pool von bis zu 20 Männern. Wann die Bergung beginnen kann, hängt von der ärztlichen Untersuchung ab. Sie hängt einerseits vom Zustand des Verletzten ab. Entscheidend ist aber auch das Wetter. Der Einsatz wird sich in jedem Fall noch über Tage ziehen. Wie viele? Das wagt längst niemand mehr zu sagen.
Bei den Bemühungen zur Rettung des in rund 1000 Meter Tiefe gefangenen Höhlenforschers spielt der Wetterbericht eine immer größere Rolle. Die Helfer, die seit Tagen die Bergung aus der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden vorbereiten, hoffen, dass der für Donnerstag erwartete Regen die Arbeiten nicht verzögert.
Regen könnte Teilstrecken in der Höhle zeitweise unpassierbar machen. Läuft dagegen alles glatt, könnte der Forscher auf eine Rettung binnen einer Woche hoffen – sofern ein Arzt ihn für transportfähig erklärt.
Für Mittwochabend war mit leichten Wärmegewittern zu rechnen. Für heute, Donnerstag, gibt die Wetterprognose Hoffnung, dass der Einsatz durch Einflüsse von oben nicht noch schwieriger wird. "Das Wetter wird sich eintrüben, ab Mittag erwarten wir leichte Schauer. Erfreulich ist, dass laut Wetterbericht der befürchtete Starkregen ausbleiben soll", zeigte sich der stellvertretende Chef der Bergwacht Bayern, Stefan Schneider, optimistisch.
Bei starken Regenfällen können sich die Schächte, die nach oben führen, in regelrechte Wasserfälle verwandeln. Sogar Wasserzerstäubungen von oben würden das Abseilen unmöglich machen. Andere Passagen könnten aufgrund zu hoher Wasserstände vorübergehend unpassierbar werden.
"Die Retter wissen Bescheid über die Stellen, an denen das Wasser läuft. Es gibt zudem geschützte Rückzugsorte, an denen die Retter ausharren können", geht Schneider nicht von einer unmittelbaren Gefährdung für die Helfer aus. "Aber jedes Ausharren bedeutet eine weitere Zeitverzögerung." Die Einsatzleitung wird daher weiter bange Blicke nach oben richten – in der Sorge um jene, die unten im Berg sitzen.
"Die Erkundung einer 2000 Meter tiefen Höhle: Das ist wie einst die Eroberung von Nord- und Südpol." Das sagte Alexander Klimtschuk, als er vor mehr als zehn Jahren aufbrach, die magische 2000-Meter-Marke zu knacken. Gemeinsam mit seinem Team wollte der Speläologe (Fachausdruck für Höhlenforscher) ein riesiges, nach dem russischen Geologen Kruber benanntes, Höhlen-System am Rande des Schwarzen Meeres in Abchasien erforschen.
Sein Vorgänger war 1956 für Wochen dort drinnen verschwunden. Klimtschuk wusste also, was ihn erwartete. "Wir schleppen fünf Tonnen Ausrüstung nach unten. Sogar schwere Maschinen", berichtete er in National Geographic. Nach vier Wochen unter Tage gingen die Vorräte zur Neige. Das Team hatte 1840 Meter erreicht. Rekord! Und es gäbe dort einen vielversprechenden Gang, der weiter abwärts führe.
Diese Anekdote illustriert recht treffend, was die Faszination der Höhlenforschung ausmacht. Die unterirdische Welt gehört zu den letzten unerforschten Regionen. Man nennt sie den achten Kontinent.
2500 Höhlenforscher
Höhlenforschung ist ein weites Feld. Und mitunter geht einer dafür sogar in die Luft statt unter die Erde. Der Geophysiker Robert Supper von der Geologischen Bundesanstalt in Wien ist so jemand. Mithilfe eines Hubschraubers und modernster Technik hat er eine Karte vom unterirdischen Karst-Höhlensystem von Sian Ka’an in Mexiko erstellt.
"Nur vom Hubschrauber aus kann man das Gebiet großräumig erkunden und Information über die Höhlensysteme bekommen", sagt der Geophysiker Robert Supper von der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Was er nicht sagt: Die Österreicher sind auf ihrem Gebiet – der Aerogeophysik im Karstgebiet – Weltspitze.
Supper ist in Mexiko bereits ein Fernsehstar. Wenn er wieder mit dem Hubschrauber des Militärs auf Erkundungstour geht, kommen oft 100 Journalisten zur Pressekonferenz. Dann schildert er, wie die fünf Meter lange und 150 Kilo schwere elektromagnetische Sonde mit Namen Bird 30 Meter unter dem Hubschrauber hängt. Und er erzählt, dass die Spulen des Cruise-Missile-ähnlichen Gerätes ein elektromagnetisches Feld aussenden, mit dessen Hilfe der elektrische Widerstand des Erdbodens bis in 70 Meter Tiefe ermittelt werden kann. Heute kann Supper den Menschen in Mexiko sagen: "Obwohl ihr sie nicht seht, sind unter euren Füßen Karsthöhlen. Ihr müsst vorsichtig sein, wollt ihr den für den Tourismus wichtigen Naturerbe-Status eurer Heimat nicht durch verseuchtes Grundwasser gefährden."
Bei all der hehren Wissenschaft, weiß auch Supper, was die Leute in die Höhlen zieht. "Ich denke, das große Unbekannte, das man explorieren kann. Dieses Entdeckertum fasziniert die Menschen eben." Auch er hat in Mexiko Höhlentaucher in seinem Team. "Da herrscht ein großer Wettkampf, wer die nächste Höhle entdeckt."
"Was ist hinter der nächsten Ecke? Ein Schacht? Ein See? Oder das Ende? Es gibt noch so viel zu entdecken", sagt auch der NHM-Höhlenforscher Plan: "In Österreich werden jährlich einige Zehner-Kilometer an neuen Höhlengängen dokumentiert und einige neue Höhlen entdeckt. Erst am vorigen Sonntag sind wir auf eine kleine Höhle gestoßen."
Ob die Höhlenforschung gefährlich sei? Geologe Plan: "Nein, es passiert relativ wenig. Das Autofahren zur Höhle ist mindestens genauso gefährlich."
Lange ehe es den Begriff Höhlenforscher gab, zog es die Menschen unter die Erde. Davon legen uralte Höhlenmalereien Zeugnis ab. Und beschäftigen Wissenschaftler. Sie wissen heute, dass die Höhlen nicht das ausgemalte Wohnzimmer unserer Vorfahren waren. Stockfinster, unwegsam, tief im Berg, wurde dort sicher nicht gehaust. Von nur einer Talg-Lampe beleuchtet, erwachten die Felswände zum Leben, je nachdem, aus welchem Winkel sie bestrahlt wurden.
So entsteht der Eindruck, dass ein Tier aus der Wand springt. Die Maler haben die Struktur der Wände einbezogen – plötzlich werden Bisons plastisch und Löwen lebendig.
Die Malstunde war sicher kein Honiglecken. In den Grotten lebten, starben und verrotteten Höhlenbären. Der Gestank dürfte bestialisch gewesen sein. Daher müssen die Malereien binnen kürzester Zeit fertiggestellt worden sein. Für keines der Bilder brauchten die Künstler länger als wenige Minuten, glauben Forscher. Die alten Meister waren schnell wie Graffiti-Sprayer.
Ob Höhlenbär, Mammut oder aber Bison: Aus der Motivwahl können Forscher auch viel über die Vergangenheit erfahren. In der Grotte Cosquer etwa entdeckte man die Darstellung eines Pinguins. Pinguine in Frankreich? Heute wissen die Forscher: Der so genannte Alk starb erst im 19. Jahrhundert aus.
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