Herzalarm im Gefängnis ignoriert

Der ehemalige Häftling liegt zum 29. Mal im Spital.
Gericht wollte vom zugesprochenen Schmerzensgeld nachträglich Verfahrenskosten abzweigen.

Als Dietrich Berner (Name geändert) endlich aus der Justizanstalt ins Krankenhaus überstellt wurde, rief die zuständige Spitalsärztin den Anstaltsarzt an: Ob sie die Leute "in dem Laden jetzt mit System umbringen?" Der wegen einer Jugendsünde für drei Jahre einsitzende Gastwirt hatte Füße, "so dick wie ein Elefant", ein weißes Gesicht, blaue Lippen. Das Fieber bis zu 40,7 Grad hatte man im Gefängnis mit Tee zu bekämpfen versucht, und der Anstaltsarzt hatte dem Häftling Tabletten gegen Halsweh verschrieben.

Die Herzklappen-Entzündung, unter der Dietrich Berner bereits seit Monaten gelitten hatte, war in der Anstalt nicht erkannt worden. Jetzt war es zu spät für eine Behandlung, man musste dem Patienten in einer Notoperation künstliche Herzklappen einsetzen, die sein weiteres Leben massiv beeinträchtigen würden. "Wenn man mich rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht hätte, wäre mir das alles erspart geblieben", sagt Berner. Nach der endgültigen Entlassung aus der Haft erhob er mithilfe des Bregenzer Anwalts Wilfried Ludwig Weh Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich.

Mindestrente

Nach langem Kampf vor Gericht bekam Berner 250.000 Schilling (18.168 Euro) zugesprochen. Man schrieb damals das Jahr 2000. Fünf Jahre später musste er sich wegen einer Infektion der Herzklappen – ausgelöst durch einen eitrigen Zahn – einer neuerlichen Operation unterziehen. Danach suchte der damals 40-Jährige um Rente an, bekam 550 Euro Mindestrente im Monat, und klagte neuerlich den Staat. Dieser sollte für die Spätfolgen seiner Vernachlässigung im Gefängnis aufkommen. Über sieben Jahre dauerte der neue Prozess, mit Gutachten und Gegengutachten. "Der Herzchirurg, der als Gutachter im Prozess ausgesagt hat, hat mich beglückwünscht, dass ich noch lebe", erzählt Berner dem KURIER.

Schließlich drängte ihn der Richter zu einem Vergleich, so empfand es Berner. "Es hieß, nimm 60.000 Euro oder klag ein Leben lang." Seine Ehefrau nannte es "ein unmoralisches Angebot", aber Berner nahm es an. Das war 2012. Das dicke Ende sollte aber noch kommen.

"Der Richter sagte damals: Es kommen keine weiteren Kosten auf Sie zu." Zwei Jahre später flatterte Berner jedoch eine Aufforderung ins Haus, er möge seine Vermögensverhältnisse auflisten. Vor allem solle er bekannt geben, was er mit den 60.000 Euro Schmerzensgeld gemacht habe.

Höchstens 300 Meter

"Ich war sauer", sagt Berner, inzwischen 50 Jahre alt: "Ich hab’ denen das zurückgehaut." Mit dem Schmerzensgeld habe er sich seine magere Pension etwas aufgebessert. "Mein Leben ist kaputt. Ich kann höchstens 300 Meter gehen, dann geht mir die Luft aus. Da sind die 60.000 Euro doch ein Witz."

Und überhaupt: "Gesund zu sein, wäre mir lieber als jedes Geld."

Das Gericht ließ nicht locker und forderte von Berner per Beschluss die Nachzahlung der Verfahrenskosten wie Verfahrenshilfe (Anwalt) und Sachverständigen-Gebühren, von denen er mangels Vermögens befreit worden war, als er noch nicht über die 60.000 Euro Schmerzensgeld verfügt hatte. Das nennt man wohl Chuzpe.

Das Oberlandesgericht Innsbruck machte dem Spuk nun ein Ende und wies die Nachzahlungsaufforderung endgültig zurück. Das Schmerzensgeld hat Versorgungscharakter. "Es ist daher nicht zumutbar, das Schmerzensgeld zur Nachzahlung der gewährten Verfahrenshilfe heranzuziehen."

Vergangenen Freitag kam Berner zum 29. Mal ins Spital. Eine Herztransplantation steht im Raum.

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