Erboste Autolenker befanden, Tempo 30 gehe gar nicht, schon wegen der Frage, welchen Gang sie denn da einlegen sollten: Der zweite zu niedrig, der dritte zu hoch. Umfragen ließen gar Böses erahnen: 56 Prozent der Grazerinnen und Grazer lehnten eine Reduktion des Tempolimits auf maximal 30 km/h in der Stadt kategorisch ab.
Tempo 30 kam dennoch, und es kam, um zu bleiben: Seit 1. September 1992 gilt der 30er in der steirischen Landeshauptstadt flächendeckend auf allen Nebenstraßen, das sind 80 Prozent aller Straßen. „Eigentlich simpel“, überlegt Verkehrsexpertin Lina Mosshammer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ). „Jeder weiß, wenn er auf einer Nebenstraße ist, gilt Tempo 30.“ Zusätzlich gilt das Limit vor Schulen oder Spitälern auch auf Vorrangsstraßen.
Start als Pilotprojekt
Doch so leicht umzusetzen war das damals alles nicht. Die Stadtregierung stellte die entsprechende Verordnung erst einmal für zwei Jahre als Pilotprojekt als Gesamtverordnung für alle betroffenen Nebenstraßen aus, ausgenommen waren nur Vorrangstraßen. Doch die StVO bot Angriffsmöglichkeiten zur Bekämpfung dieser Variante vor Gericht, weshalb der zuständige ÖVP-Vizebürgermeister Erich Edegger ein Ass in der Schublade bereit hielt: Er ließ für jede betroffene Straße oder Gasse zusätzlich eine Einzelverordnung festlegen.
Das Ass zu ziehen war nicht nötig. 1994 wurde aus dem Pilotprojekt ein Dauermodell und Graz zum international viel beachteten Pionier einer mutigen Verkehrspolitik: Keine Stadt weltweit wagte zuvor diesen rigorosen Schritt. Delegationen aus Barcelona über Brüssel und Helsinki bis hin zu Zürich besuchten Graz im Lauf der Jahre und schauten sich einiges für ihre Städte ab.
In der steirischen Landhauptstadt sank indes die Durchschnittsgeschwindigkeit (von 37,1 auf 36,6 km/h), die Anzahl der Verkehrsunfälle mit Personenschäden ging bereits in den ersten Jahren massiv zurück: 1991 waren es 2.543, 1994 2.028. 2022 wurden 668 registriert. Allerdings sind die Daten aufgrund geänderter Zählweise nicht völlig vergleichbar.
Die Grazer haben sich mit Tempo 30 aber rasch angefreundet: Schon 1994 stimmten 77 Prozent dafür, auch wenn sich bis heute als Kfz-Lenker nicht alle daran halten – 2022 gab es rund 210.000 Organmandate und Strafen für Temposünder in den 30er-Zonen.
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