Gewaltprävention: "Sechs Stunden können die Welt nicht immer verändern"
In Vorarlberg starb Dienstag Nacht eine 32-jährige Frau. Vermutlich durch die Hand ihres Mannes. Der 36-jährige Türke war bereits amtsbekannt, seit 2015 seien laut Polizei vier Annäherungs- und Betretungsverbote gegen ihn ausgesprochen worden, zuletzt war er wieder einmal in Untersuchungshaft. Warum musste die Frau trotzdem sterben?
„Solch tragische Fälle kann man nie zu 100 Prozent ausschließen, da man nicht in Menschen hineinschauen kann. Wir können nur auf die Warnsignale reagieren, die Letztverantwortung wird immer der Täter tragen“, erklärt Gewaltexpertin Dina Nachbaur. Sie arbeitet für den Verein Neustart, der seit 1. September 2021 in fünf Bundesländern Beratungen für Gewalttäter durchführt. Wer weggewiesen wird, muss sich binnen fünf Tagen für eine sechsstündige Therapie anmelden.
Weigern sich Betroffene, können Strafen bis zu 5.000 Euro anfallen. „Grundsätzlich steht der Großteil unserer Klienten den Therapie-Gesprächen positiv gegenüber und nimmt das Angebot an. Aber natürlich gibt es Täter, bei denen ein sechsstündiges Gespräch nicht die Welt verändert. Für diese Menschen ist Gewalt ein legitimes Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen.“
In der ersten Hälfte des heurigen Jahres wurden in Österreich laut Innenministerium 8544 Betretungs- und Annäherungsverbote verhängt. Die meisten Überschreitungen entfallen mit 2522 Fällen auf Wien, gefolgt von Niederösterreich mit 1503, Oberösterreich mit 1472 und der Steiermark mit 902. Zum Vergleich: 2021 gab es insgesamt 13.690 Betretungs- und Annäherungsverbote. „Seit unserer Gründung vor einem Jahr haben wir haben insgesamt über 9000 Beratungen gehabt, davon waren über 8000 Männer und 945 Frauen betroffen. Die Täter sind meistens zwischen 31 und 40 Jahre alt und stammen aus dem nahen Umfeld der Opfer“, so Nachbaur.
Wer sind die Täter?
Die Täter lassen sich der Expertin zufolge in drei Typen aufschlüsseln. „Am häufigsten begegnen wir dem ‚Family Only Typ‘. Das sind Männer, die ihr Leben nach außen hin im Griff haben. Sie gehen einem guten Job nach, sind hilfsbereite Nachbarn oder Mitglied bei einem Fußballverein. Nur zuhause wenden sie Gewalt an“, schildert Nachbaur. Diese Männer hätten weder in ihrer Erziehung noch im späteren Leben gelernt, mit Konflikten umzugehen. Wie streitet man, ohne Gewalt auszuüben? Wie argumentiere ich, ohne zuzuschlagen? In den eigenen vier Wänden verliere der „Family Only Typ“ schnell die Beherrschung – und schlägt zu. „Ein Drittel aller Täter kann man diesem Typ zuordnen. Sie haben aber gleichzeitig auch die besten Chancen, ihre Gewaltbereitschaft nachhaltig in den Griff zu bekommen, da sich vieler ihrer Probleme bewusst sind“, betont Nachbaur. Es sei für viele eine traumatische Erfahrung, von der Polizei aus der eigenen Wohnung geworfen und von der Familie weggewiesen zu werden. Deshalb sei die Bereitschaft bei dieser Tätergruppe groß, ihr Verhalten zu ändern.
Der „Anti-Soziale Typ“
Anders sei es beim sogenannten „Anti-Sozialen-Typ“. „Diese Personen sind in ihrer Vergangenheit schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten, hatten eventuell eine schwierige Kindheit und wenden Gewalt bewusst an, um ihre Macht durchzusetzen“, so Nachbaur.
Die dritte Kategorie bezeichne man als „Pathologischen Typ“. Wie der Begriff schon ahnen lässt, leiden die Betroffenen häufig an einer Persönlichkeitsstörung, die sich etwa in Form von extremer Eifersucht oder Verlust- und Trennungsängsten äußert. „Männer wollen dann zum Beispiel ganz genau wissen, wo ihre Frau zu welchem Zeitpunkt war oder kontrollieren regelmäßig ihr Handy“, erklärt die Expertin. Diese Gruppe mache etwas weniger als zehn Prozent aller Täter aus. Bestimmte Nationalitäten könne man den Tätergruppen keine zuordnen. Wie viel Prozent welche Tätergruppe generell ausmache, sei sehr schwierig festzustellen, da es zwischen den drei Typen viele Zwischenstufen gebe. Genauso herausfordernd sei es, Ferndiagnosen zu stellen. „Im aktuellen Mordfall zum Beispiel könnte ich jetzt ohne Vorgespräch mit dem Betroffenen nicht sagen, zu welcher Tätergruppe der Mörder der Frau gehört“, so Nachbaur.
Wieso schlagen Täter zu?
Die Gründe, warum Männer wie Frauen gewalttätig werden, sind laut Nachbaur komplex. „Die Ursachen für häusliche Gewalt liegen oft in den eigenen vier Wänden, ein sehr häufiges Streitthema sind zum Beispiel Kinder und deren Erziehung. Auch bei der Haushaltsführung geraten viele Paare aneinander. Fehlt dann auch noch die finanzielle Sicherheit, rutschen viele in Drogen- oder Alkoholsucht ab und die Gewaltspirale beginnt.“ Ein Problem seien oft außerdem Rollenbilder. „Wenn das traditionelle Männerbild ins Toxische kippt, wird es problematisch.“
Was kann man tun? Der erste Weg zur Besserung sei Selbstreflexion. „Wenn die Betroffenen spüren, wie die Aggression sich anstaut, ist es ganz wichtig, diese zu entladen, bevor sie Frau oder Kinder gegenübertreten. Sport hilft immer, oder auch ein Spaziergang, um sich über seine Gefühlslage bewusst zu werden und diese dann genug zu reflektieren, um nicht gewalttätig zu werden“, schildert die Expertin des Verein Neustart. Grundsätzlich fällt die erste Jahresbilanz von Nachbaur sehr positiv. Verbesserungsbedarf gebe es aber trotzdem. „Ein persönliches Gespräch vor der eigentlichen Therapie könne Betroffenen sicher besser helfen, ihre Hemmungen schneller abzulegen und sich trauen, über ihr Gewaltproblem zu sprechen. Momentan finden vor den Beratungen nur Telefonate mit den Klienten statt“, sagt Nachbaur.
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