Alice Schwarzer polarisiert. Das tat sie in der Vergangenheit und das tut sie nach wie vor. Die Debatte um einen Vortrag der streitbaren Feministin an der Universität für angewandte Kunst Wien am vergangenen Montag brachte nun aber ein Thema nach Österreich, das bisher vor allem an US-amerikanischen Universitäten eine Rolle spielte: den Ruf nach sogenannten „safe spaces“, also Orten, an denen sich auch sensiblere Studierende sicher fühlen können (siehe Infokasten unten).
Auf solche, konkret „eine diskriminierungsfreie Universitätskultur und ein sicheres, solidarisches und respektvolles Umfeld für alle“, pochte nämlich die Hochschüler_innenschaft (ÖH) an der Angewandten als Reaktion auf die Einladung – und sprach sich wegen Schwarzers vermeintlichem „antimuslimischen Rassismus“ gegen die Veranstaltung aus (siehe Gastkommentar am Ende des Artikels).
„Mimosenhaftigkeit“
Um sich greifende „Mimosenhaftigkeit“ konstatiert Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz, angesichts der Debatte gegenüber dem KURIER.
In den USA seien derartige Entwicklungen seit Langem zu beobachten: „Ursprünglich kommt das vom Pochen auf Minderheitenrechte – was an sich natürlich sehr gut ist.“
Ursprung
In anderen Ländern – allen voran den USA – ist die Forderung nach „safe spaces“ und Triggerwarnungen, also Warnungen vor potenziell provokanten oder verstörenden Inhalten, an Universitäten seit Längerem ein Thema. Diese sollen verhindern, dass Studierende mit Inhalten konfrontiert werden, mit denen sie sich unwohl fühlen oder die sie gar traumatisieren könnten.
Widerspruch
Weite Teile der Wissenschaft betrachten diese Forderungen als Form der Zensur, die kritische Debatten, Meinungsvielfalt und damit die akademische Freiheit hemmt. Abwertend werden diejenigen, die für eine „safe space“-Kultur eintreten, auch als „Snowflakes“, also Schneeflocken, bezeichnet.
Europa
Auch an europäischen Universitäten gibt es mittlerweile eine Reihe entsprechende Vorfälle. So berichtete eine Oxford-Dozentin der „FAZ“ im Jahr 2016, viele ihrer Studierenden wollten „gewarnt werden, wenn eine Stelle naht, die irgendetwas in ihnen anrichten könnte“ – wie etwa eine Vergewaltigung in einem Shakespeare-Stück.
Im Oktober konnte der Mitbegründer der rechten „Alternative für Deutschland“ und Ökonomie-Professor Bernd Lucke nur unter größten Sicherheitsvorkehrungen seine Rückkehr-Vorlesung an der Uni Hamburg halten.
Und erst vergangene Woche störten Demonstranten eine Vorlesung des FPÖ-nahen Historikers Lothar Höbelt an der Uni Wien wegen seiner Teilnahme an einer rechtsextremen Veranstaltung mit „Nazis raus“-Rufen.
Im Lauf der Zeit sei es aber ins andere Extrem gekippt, die politische Korrektheit verkomplizierte Alltag und Debatte an den Unis: „Irgendwann durfte beispielsweise mexikanische Geschichte nur noch von Mexikanern unterrichtet werden.“
Vitouch, im Brotberuf Rektor der Uni Klagenfurt, hält das „mit dem Geist einer Universität nicht vereinbar“. Denn gerade dort solle debattiert werden und ein aufklärerischer Geist walten.
„Die Universität ist nicht dazu da, ihre Absolventen vor der Konfrontation mit der Realität zu schützen.“
von Oliver Vitouch
Präsident der Österreichischen Universitätenkonferenz
„Diskriminierung ist in solchen Fällen ein Totschlagargument. Jeder kann sagen, etwas sei für ihn inakzeptabel, weil er sich diskriminiert fühlt. Damit erledigt sich jeder Diskurs“, erklärt Vitouch.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann findet das Vorgehen der Studierendenvertreter gar „skandalös“. Die Meinungsfreiheit sieht er im Gegensatz zu anderen Kommentatoren zwar nicht in Gefahr, sehr wohl aber die Gedankenfreiheit. Meinungen könne man teilen oder nicht, Gedanken wären aber „Überlegungen, die immer argumentiert und begründet werden müssen“. Darum könne man ihnen auch mit besseren Argumenten widersprechen.
Liessmann kritisiert "Denkfaulheit"
Er habe aber das Gefühl, „dass diese jungen Leute sich genau dieser Anstrengung, jemandem, dessen Thesen mir nicht passen, zu widersprechen, entziehen wollen“. Im Grunde sei das Denkfaulheit – und die sei für eine Universität „das Allerschlimmste“.
Zusätzlich vermisst Liessmann die „Lust an der Auseinandersetzung“ – zugunsten der „Lust am Verbieten“. Früher hätte man das für den Gestus der Alten, der Etablierten gehalten. Jetzt seien es aber die Jungen, „die Angst davor haben, sich einem kritischen Prozess zu stellen“.
„Dieser Gedanke der Sicherheit widerspricht der Idee von Wissenschaft schlechthin.“
von Konrad Paul Liessmann
Philosoph, Universität Wien
Die Bundes-ÖH stellt sich hingegen auf die Seite ihrer Kollegen an der Angewandten. „Wir unterstützen Aktivismus, solange er gewaltfrei ist“, sagt Desmond Grossmann vom Vorsitzteam. Er sieht vor allem Gutes am Protest gegen Schwarzer. Denn: „Wie man gemerkt hat, hat das die Debatte erst so richtig in Gang gebracht.“
Die Veranstaltung am Montag fand übrigens statt, begleitet von Protesten. Bis die Aktivisten irgendwann abzogen – nicht, ohne sich noch über den „unsolidarischen Haufen hier“ zu beklagen.
Pro & Contra: War die Einladung Alice Schwarzers an die Angewandte richtig?
Pro von Florian Aigner, Physiker und Wissenschaftspublizist
Menschen sind anstrengend. Sie haben dumme Ideen und streiten. An Universitäten ist das nicht anders, doch genau davon lebt die Wissenschaft: Man versucht, aus der trüben Suppe menschlicher Meinungsverschiedenheiten eine durchsichtige, klare Wahrheit zu destillieren. So gelangen wir zu Erkenntnissen, die viel klüger und verlässlicher sind als die Ideen, die uns alleine eingefallen wären.
Das funktioniert aber nur, wenn man sich Gedanken aussetzt, die sich ganz anders anfühlen als die eigenen. Und genau dafür sind Universitäten da. Die Konfrontation mit fremden Gedanken ist manchmal unangenehm, vor allem wenn man sie für dumm, falsch oder unanständig hält. Aber das gehört dazu. Wer sich von einem Uni-Vortrag verärgert fühlt, sollte mit Argumenten dagegenhalten. Nur so entsteht intellektueller Fortschritt.
Solche Vorträge vorsorglich zu verbieten, ist nicht nur eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, sondern ein Verstoß gegen die Grundidee der Wissenschaft. Natürlich gibt es Grenzen: wenn jemand durch Fakten klar widerlegt wurde, die Niederlage aber nicht zur Kenntnis nimmt. Astrologen, Flacherdler und Holocaust-Leugner wird man an Universitäten nicht dulden. Doch wer sich an die wissenschaftlichen Regeln hält, darf seine Thesen präsentieren – auch wenn sie provokant, kontrovers oder vielleicht sogar falsch sind.
Contra: Vorsitz der Österreichischen Hochschüler_innenschaft an der Angewandten (hufak)
Im Zuge unserer Positionierung gegen Alice Schwarzers Einladung, kam das Thema Meinungsfreiheit auf österreichischen Hochschulen auf. Diese Meinungsfreiheit brauchen wir und müssen wir erhalten, dennoch dürfen wir, als Studierendenvertretung, nicht die Schieflage des Raumes, in welchem Meinungen rezipiert werden, übersehen. Schwarzer hat bereits eine sehr große Bühne, auf welcher sie ihre Meinung seit Jahren teilen kann.
Die Forderungen nach einem diversen Diskurs und unterschiedlichen Sprecher_innen ist auch keine neue. Sie ist eine Forderung, die regelmäßig gestellt und gerne übersehen wird. Als Studierendenvertretung müssen wir diese Bühnen und Meinungen kritisieren können. Wir können sie weder verhindern noch verbieten. Das nennt sich Hierarchie.
Im deutschsprachigen Raum forschen großartige Feminist_innen zu unterschiedlichen Theorien. Sie bekommen viel zu selten eine große Bühne für ihre Forschung und Positionen, auch auf der Angewandten. Die gängigen unangefochtenen Deutungshoheiten müssen hinterfragt werden. Das nennt sich Hierarchie- und Machtkritik.
Hier gibt es großen Nachholbedarf und dafür engagieren wir uns seit jeher und auch weiterhin.
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