Funde bei Grazer Murkraftwerk: "Es herrscht Intransparenz"

Rodungen im Bereich der Kraftwerksbaustelle
Historiker wollen eine Unterbrechung der Bauarbeiten, nachdem auf dem Gelände die Reste eines Zwangsarbeiterlagers gefunden wurden. Energie Steiermark versichert Sensibilität.

Funde von baulichen Strukturen im Umfeld der Baustelle des Murkraftwerkes versetzen Zeithistoriker der Universität Graz in Beunruhigung. Bis zur Klärung des Sachverhaltes sei es unbedingt notwendig, die Bauarbeiten zu unterbrechen, hieß es am Donnerstag in einer Erklärung von mehr als einem Dutzend Historikern von u.a. dem Institut für Geschichte und dem Centrum für Jüdische Studien.

Wo derzeit im Zuge des Baus des Murkraftwerkes gegraben wird, stand vor rund 70 Jahren auch ein Zwangsarbeiterlager. Das Lager Liebenau im Süden von Graz war in der NS-Zeit das größte Zwangsarbeiterlager im Stadtgebiet mit bis zu 5.000 dort untergebrachten Personen. Der Komplex war zudem eine Station der ungarischen Juden auf den Todesmärschen vom "Südostwallbau" im Grenzraum zu Ungarn - mindestens 35 von ihnen wurden dort erschossen. Nach dem Krieg befand sich auf dem Areal ein Flüchtlingslager. Die Geschichte des Lagers hat Barbara Stelzl-Marx vom Grazer Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolgenforschung aufgearbeitet und publiziert. Der Fund der Vorwoche war demnach zu erwarten. Die Grazer Zeithistoriker sind dennoch beunruhigt und beklagen Intransparenz.

Keinerlei Hinweise einer Bauunterbrechung

"Unsere Erhebungen haben keinerlei Hinweise einer Bauunterbrechung ergeben. Diese wäre aber notwendig, um den Verlust von kostbarem Material für die historische Forschung zu vermeiden", betonte Zeithistoriker Stefan Benedik vom Institut für Geschichte gegenüber der APA. "Es ist jetzt nicht klar, was passiert. Es herrscht völlige Intransparenz", beklagte der Sprecher der Grazer Zeithistoriker. Eine Befundung könnte schnell Klarheit darüber bringen, "was dort tatsächlich alles liegt, ob die öffentliche Aufregung zurecht herrscht und eine mögliche Demolierung auch gerechtfertigt" sei.

Zudem fehle eine grundsätzliche Auseinandersetzung, "wie man mit Überresten der NS-Zeit umgeht". Die Stadt Graz habe sich in den vergangenen Jahren "in vorbildlicher Weise" den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte gestellt. "Mit Baumaschinen über die Überreste von schweren nationalsozialistischen Verbrechen hinwegzupflügen, bevor eine sorgsame Beweisaufnahme durch Fachleute stattgefunden hat, widerspricht den internationalen Gepflogenheiten und auch der moralischen Verpflichtung der Stadt", hielten die Zeithistoriker der Uni Graz in einer Aussendung fest. "Man kann die NS-Vergangenheit nicht mit Baggern planieren", formulierte Benedik. Zur Wahrung der Würde der dort eventuell zu findenden Opfer sei es "unbedingt notwendig, die Bauarbeiten bis zur Klärung des Sachverhalts zu unterbrechen".

Es gehe den Zeithistorikern nicht darum, eine Aussage für oder gegen den Kraftwerksbau zu machen, betonte Helmut Konrad, emeritierter Professor für Zeitgeschichte, auf Anfrage der APA. Eingefordert werde allerdings "höchste historische Sensibilität". "Es ist besser, zweimal zu schauen, als einmal zu wenig", sagte der Zeithistoriker.

Reaktion der Energie Steiermark

Die Energie Steiermark reagierte mittlerweile auf den Vorstoß der Zeithistoriker: "Wir gehen mit allen Hinweisen im Zusammenhang mit dem Lager Liebenau sehr aufmerksam um und nehmen sie ernst. Daher arbeiten wir eng mit den Experten des Bundesdenkmalamtes zusammen." Zeithistorikerin Stelzl-Marx zeigte sich etwas überrascht über die Aussendung der Forschungskollegen.

Bereits 2011 hatte die Wissenschafterin vom Institut für Kriegsfolgenforschung an der Uni Graz gemeinsam mit der Stadt eine umfassende Studie durchgeführt, um "eine historisch-profunde, lückenlose und kritische Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Grazer Geschichte sicherzustellen", teilte das Energieunternehmen mit. "Von Beginn an gab es die Zusage, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit bei der Umsetzung des Murkraftwerks mit dem gebotenen Respekt einfließen zu lassen. Die Sensibilität des Themas ist uns bewusst, daher haben wir auch zusätzlich ein Archäologen-Team unter der Leitung von Gerald Fuchs beauftragt, die Arbeiten am Baustellen-Gelände zu begleiten", hieß es weiter in der Stellungnahme der Energie Steiermark.

Stelzl-Marx bestätigte, dass ein Archäologen-Team um Fuchs die Arbeiten ständig begleite, wenn an sensiblen Stellen gegraben werde. Gerade im Bereich der künftigen Gasleitung habe sie mit eigenen Augen beobachtet, wie die Archäologen händisch abgegraben und eine Stiege aus der NS-Zeit freigelegt haben. "Es wird nicht mit Baggern drübergefahren", versicherte sie im APA-Gespräch. Die Stiege sei nach Abschluss der Arbeiten wieder zugeschüttet worden, denn das Bundesdenkmalamt habe "per se keine Strukturen festgestellt, die unter Denkmalschutz gestellt werden" müssten, schilderte Stelzl-Marx.

Die Wissenschafterin erklärte, dass bisher bei den Bauarbeiten keine menschlichen Funde entdeckt worden seien: "Wäre dem so, würde es einen sofortigen Baustopp geben." Entdeckt habe man bisher etwa ein NS-Abzeichen, diverse Metallteile und den Stiegenabgang. Alle Funde werden von Fuchs, seinem Team und dem Bundesdenkmalamt dokumentiert und analysiert. Stelzl-Marx will außerdem nach Ende der Arbeiten das gesammelte Material der Öffentlichkeit präsentieren.

Die Energie Steiermark versicherte: "Sollte während der laufenden Arbeiten ein Fund gemacht werden, muss an dieser Stelle punktuell sofort gestoppt werden, um eine entsprechende Dokumentation und Vermessung zu ermöglichen. Das ist in den vergangenen Tagen umfassend geschehen und selbstverständlich. Alle Dokumentations-Vorgänge sowie alle Bau-Maßnahmen sind mit den Fachexperten des Bundesdenkmalamts im Detail abgesprochen und akkordiert." Seit vergangener Woche sei außerdem eine Task Force in Vorbereitung, die sich um das Thema kümmern wird. Stelzl-Marx wird ihr angehören. Sie war bisher schon mit der Begleitung der Baustelle bis 2019 beauftragt.

"Hier von Intransparenz zu sprechen, kann daher nur auf fehlende Information zurückzuführen sein", erklärte die Energie Steiermark. Man wolle gemeinsam mit der Stadt ein Mahnmal oder eine Gedenkstätte für die Opfer mitfinanzieren, "denn diese Gräuel dürfen nicht vergessen werden, sie sind Faktum - ungeachtet konkreter Funde", so Konzernsprecher Urs Harnik-Lauris von der Energie Steiermark.

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