Zu Beginn des Jahrtausends war die Suche nach einem Platz, von dem aus man sich kurz und vor allem kostenlos im Wörthersee erfrischen konnte, für Touristen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Einheimische wussten von der Handvoll existierender Gratis-Badeplätze, Gäste und Durchreisende aber waren den Strandbädern ausgeliefert, wollten sie das türkis-blau glitzernde Kärntner Naturjuwel nicht nur zwischen Zäunen und Hotels aus der Ferne betrachten.
Nur besonders scharfe Beobachter konnten bei entsprechender Kombinationsgabe von einer Häufung am Straßenrand geparkter, heimischer Autos an scheinbar unsinniger Stelle darauf schließen, dass in der Nähe möglicherweise ein schneller Köpfler auch ohne Bezahlung möglich wäre.
Und auch, wenn sich die Situation diesbezüglich in den vergangenen Jahren leicht verbessert hat, ist das Grundproblem unverändert: Der Wörthersee, und mit ihm viele weitere heimische Gewässer, ist zu weiten Teilen privatisiert und somit für die Öffentlichkeit unzugänglich.
Das zeigen auch Online-Kommentare: „Wer baden will, muss sich einen anderen See suchen oder reich erben“, lautet etwa eine aktuelle Wörthersee-Rezension.
Grundrecht auf Natur
Vergangene Woche lancierte SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr darum einen Vorstoß, ein Grundrecht auf Naturgenuss in der Verfassung zu verankern und sprang damit auf eine bestehende Forderung der Arbeiterkammer Wien, der Naturfreunde und des Alpenvereins auf. Konkret wünscht sich Herr ein Verkaufsverbot sowie ein Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand für Seegrundstücke.
Wasserreich
25.000 stehende Gewässer mit einer Fläche von zumindest 250 Quadratkilometern gibt es im Land.
Badetauglich
2.140 davon messen mehr als einen Hektar und werden somit als Badesee oder Badeteich gezählt. Zusammengezählt bedecken
sie rund 613 Quadratkilometer. 0,7 Prozent der Staatsfläche sind somit als Badesee ausgewiesen.
Groß vs. klein
62 badetaugliche Gewässer weisen eine Fläche von mehr als 50 Hektar auf und zählen somit als „große Seen“. Von diesen 62 Seen sind 43 natürlich entstanden und 19 künstlich angelegt.
Wahre Größe
Der größte zur Gänze in Österreich gelegene See ist der Attersee mit 46 Quadratkilometer. Der Neusiedler See kommt auf 320 Quadratkilometer, der Bodensee auf 535 Quadratkilometer. Während der Neusiedler See zum Großteil in Österreich liegt, zählt nur ein kleiner Teil ds Bodensees zum Staatsgebiet.
An Seen mangelt es in Österreich grundsätzlich nicht. Rund 25.000 stehende Gewässer verzeichnet das Landwirtschaftsministerium, 2.140 davon qualifizieren sich ob ihrer Wasserfläche von zumindest einem Hektar als Badesee (siehe Infobox oben). Rund 70 Prozent davon befinden sich im Eigentum der Österreichischen Bundesforste und gehören damit uns allen.
Dass es einen See gibt, bedeutet aber noch nicht, dass man ihn auch erreicht, zumindest ohne dafür zu löhnen. Zwar besagt der wasserrechtliche Gemeingebrauch, dass jedes öffentliche Gewässer von der Allgemeinheit zu gewissen Zwecken, darunter auch zum Baden, genutzt werden darf. Der Zugang ist darin jedoch nicht inkludiert.
Die Frage ist also: Wo kann man auch abtauchen?
Keine Daten vorhanden
Offizielle, belastbare Zahlen über die Zugänglichkeit der heimischen Badegewässer gibt es nicht. Die mittlerweile eingestellte Rechercheplattform Addendum vermaß jedoch 2019 die größten heimischen Badeseen in Eigenregie. Das Ergebnis: wechselhaft bis trostlos (siehe Grafik unten).
Rund 48 Prozent der Ufer der zehn größten Badeseen sind im Schnitt in Privatbesitz, punktuell liegt der Wert noch weit höher. Der Privatisierungsgrad am Wörthersee hat mit 82 Prozent ein Ausmaß angenommen, das im Ausland bereits als Negativbeispiel herhalten muss. So warb die slowenische Opposition im Vorjahr für ein Referendum zum Uferschutz, indem sie eindringlich vor einer Privatisierung nach Kärntner Modell warnte. Mit Erfolg: 85 Prozent unterstützten das Anliegen.
Doch auch im Inland sorgt die Situation für Aufruhr. So wurde im Mai eine dem russischen Oligarchen Igor Schuwalow zugerechnete Villa am Attersee, dessen Ufer zu 76 Prozent im Privatbesitz ist, von Aktivisten besetzt. Als Signal gegen den Krieg in der Ukraine – aber auch, um gegen die vielen mondänen Anwesen am größten See des Salzkammerguts zu protestieren.
Zur weit gediehenen Privatisierung kommen je nach Örtlichkeit Uferstrecken, die aus topografischen Gründen nicht zugänglich sind oder unter Naturschutz stehen – Letzteres besonders rund um den Neusiedler See. An Freibädern mangelt es dennoch auch am burgenländischen Steppensee nicht, einen kostenlosen Zugang zum kühlen, wenn auch momentan recht dürftigen Nass gibt es jedoch nur an einer einzigen Stelle – in Jois.
Soziale Barriere
Das kann man mit Humor nehmen, wie der Anrainer in Neusiedl, der meint, zumindest sehe er den See vom zweiten Stock seines Hauses aus, ohne dafür zu bezahlen. Man kann es aber auch als Problem sehen. Zwischen 5,50 und 6 Euro kostet die Tageskarte für Erwachsene in den Seebädern. Mit Familie kommt da schnell etwas zusammen; eine Barriere vor allem für geringere Einkommensschichten.
Doch nicht nur aus sozialen, auch aus volkswirtschaftlichen Gründen ist leistbarer Zugang zu Gewässern von Bedeutung, sagt Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo).
Schwimmen gilt als niederschwellige und schonende Bewegungsart, die auch bis ins hohe Alter betrieben werden kann. Und: Sie erfordert keine kostspielige Spezialausrüstung wie viele andere Sportarten. Kostenlose Bademöglichkeiten sind also zweifellos sinnvoll, aber eben auch: Mangelware.
Klimakrise wird zunehmend zum Faktor
Verschärft wird die Situation durch die immer stärker spürbaren Auswirkungen der Klimakrise. Nicht nur Österreichs Gletscher kämpfen längst ums Überleben, mittlerweile drohen die ersten Gewässer diesen Kampf zu verlieren. So ist der Föhrensee in Niederösterreich bereits beinahe ausgetrocknet (siehe Artikel unten).
Andernorts ist der Wasserstand noch kein Problem, die Zugänglichkeit jedoch sehr wohl. Ist Herrs Verfassungsvorstoß also sinnvoll?
Als reine Staatszielbestimmung wäre er relativ zahnlos, sagt Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck. Konkrete Vorschriften wie ein Vorkaufsrecht und eine ebenfalls von Herr geforderte Wegefreiheit an den Ufern könnten hingegen in der Theorie etwas bewirken.
Begrenzter Spielraum
In der Praxis muss sich die öffentliche Hand die schnell in hohe Millionenbeträge gehenden Seegrundstücke erst einmal leisten können und wollen. Und die Wegefreiheit ist im Nachhinein auch nur mehr bei noch unverbauten Grundstücken zumutbar. „Über private Grundstücke drüberlaufen geht nicht“, so Bußjäger.
In Vorarlberg war man hingegen rechtzeitig dran. Bereits seit 1969 gilt am Bodenseeufer, dass ein zehn Meter breiter Streifen – mit wenigen Ausnahmen – jederzeit von Fußgängern betreten werden darf. Weil der österreichische Uferanteil im Vergleich zu jenen in Deutschland und der Schweiz damals noch nicht so verbaut war, konnte der Zugang so weitgehend erhalten werden. „Da hat man gerade noch die Kurve gekratzt“, sagt der gebürtige Vorarlberger Bußjäger.
Ein weiteres Positivbeispiel ist der Tiroler Achensee. Dort ließ die Gemeinde Innsbruck als Grundeigentümerin keine großflächige Verbauung zu. Bis heute sind 62 Prozent des Ufers öffentlich zugänglich – Rekord.
In Kärnten war man nicht so weitsichtig. Lange Zeit wusste man mit den feuchten Wiesen am See nichts anzufangen, Anekdoten zufolge wechselten Grundstücke, die heute Millionen wert sind, für ein paar Festmeter Holz den Besitzer. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es aber mit dem Ausverkauf der Seegrundstücke so richtig los.
Nun versucht man hier und dort mit gehöriger Verspätung, Fehler der Vergangenheit auszubügeln.
Späte Einsicht
In Oberösterreich ist der Zugang der Allgemeinheit zu Seen seit 2019 in der Landesverfassung festgeschrieben, in Kärnten hat der Landtag Selbiges eben erst beschlossen – auf Druck der Zivilbevölkerung. 12.000 Menschen hatten 2020 das privat initiierte Seenvolksbegehren unterschrieben, um den Ausverkauf der Seeufer zu stoppen.
Beide Länder versuchen nun, die gesetzten Ziele mit Leben zu erfüllen. In Kärnten wurden in den vergangenen Jahren 24 neue Seezugänge geschaffen, sieben davon am Wörthersee. Um zusätzliche Grundstücke zu erwerben, wurde auch die Motorbootabgabe zweckgewidmet. In Oberösterreich verweist man darauf, alleine am Attersee in diesem Jahr zwei neue Zugänge geschaffen zu haben.
Wirtschaftsfaktor
Eine Studie aus 2020 attestiert den heimischen Sommer-Tourismusregionen große Versäumnisse.
Standortpolitik
Während die Beschäftigung rund um den Mondsee fast sechs Prozent über dem Schnitt liegt, liegen die Kärntner Seen um bis zu sieben Prozent darunter. Das liegt nach Ansicht regionaler Unternehmer vor allem an schlechter Standortpolitik.
Mobilität
Auch an zeitgemäßer Mobilität mangelt es laut der Studie. Manche Regionen leben nach wie vor von Investitionen der Vergangenheit, etwa in Schifffahrt oder Seilbahnen. In Sachen E-Mobilität gibt es laut der Studie aber großen Aufholbedarf.
Kleine Schritte. Die aber immerhin zeigen, dass mit dem entsprechenden politischen Willen und der entsprechenden Mehrheit etwas möglich ist. Ein Problem für SPÖ-Umweltsprecherin Herr: Denn sie mag den Willen haben, doch die Mehrheit hat sie nicht.
Die grüne Landwirtschaftssprecherin Olga Voglauer sieht zwar Handlungsbedarf, doch den falschen Adressaten, seien Raumordnung und Naturschutz doch Ländersache. Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak ortet überhaupt „populistisch-sozialistische Ideen“ Herrs. ÖVP und FPÖ äußerten sich auf KURIER-Anfrage nicht.
„Der Bodensee ist nur dann wirklich attraktiv, wenn er den Bürgern und Einwohnern dieses Lebensraumes auch zur Verfügung steht und von Ihnen in unterschiedlichster Form genutzt werden kann“, heißt es in einer Studie des Dornbirner Instituts für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung aus dem Vorjahr. Das kann man für alle Seen des Landes so stehen lassen.
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