Fluss findet wieder Stadt: Auf der Mur tut sich was
Kaum war der Bauzaun weggeräumt, saßen Mitte April 2020 auch schon die ersten Besucherinnen und Besucher mitten in der neu errichteten Bucht. Das mag zum Teil an der Corona-Pandemie und ihren Einschränkungen gelegen haben, die gerade einmal Erholung im Freien erlaubte. Aber auch daran: Die neue Bucht im Grazer Augarten machte es möglich, der sonst tief im Flussbett eingegrabenen Mur näher zu kommen.
Jahre später ist die Bucht – rechtlich und politisch vor ihrem Bau umstritten – zum wichtigen Ankerpunkt in Graz geworden. An mehreren Stellen ist der Flusszugang möglich, wenn auch nicht zum Schwimmen in der Mur gedacht. Doch eine flache Stelle nützen Tapfere im Winter schon zum Eisbaden, andere wagen sich immerhin mit den Zehen hinein. Auch darüber hinaus hat sich viel getan, damit das Erlebnis Fluss in Graz wieder stattfindet.
- Murinsel
Sie schwimmt seit 2003 in der Mur, oder besser: sie ankert. Denn eigentlich ist die von Vito Acconci konzipierte Insel ein Schiff. Errichtet als Projekt der Kulturhauptstadt 2003 hätte auch sie den Fluss näher an die Grazerinnen und Grazer bringen können, doch das Potenzial wurde nicht richtig genützt.
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Die Insel – sie gehört über eine Tochtergesellschaft der Stadt Graz – kommt bei Einheimischen hauptsächlich als zusätzliche Brücke an – und die dürfte oft begangen werden: Die Zählstellen registrieren pro Jahr an die 700.000 Zutritte. Allerdings ist sie laut Umfragen das drittbeliebestete Fotomotiv von Touristinnen und Touristen, gleich nach Uhrturm und Schloßberg.
- Stadtbootshaus, Stadtstrand und Stadtbalkon
Mit der Errichtung des – von Naturschützern wegen umweltrechtlicher Bedenken bekämpften – Wasserkraftwerkes im Bezirk Puntigam wurde die Mur im innerstädtischen Bereich durch das Aufstauen ruhiger. Das machte nicht nur den Bau der Augartenbucht möglich, sondern auch einen Stadtstrand in der Nähe der Staustufe. Weiter nördlich in Innenstadtnähe wurden ein Stadtbootshaus (für Kajakfahrer) sowie ein Stadtbalkon (Aussichtsfläche mit Sitzgelegenheiten) errichtet.
Ein historischer Rückblick zeigt, dass die letzten Fahrten auf der Mur bereits im 17. Jahrhundert stattfanden. 1673 war Schluss, da legte das letzte Schiff in Bruck an der Mur an, in Leoben erfolgte das bereits 1643: Die Schifffahrt auf der Mur wurde eingestellt – der Fluss war historischen Aufzeichnungen zufolge zu verwildert, um durchzukommen.
Bis dahin war ein Schiff der schnellste Weg, Waren zu transportieren, flussabwärts schaffte man es in zwei Tagen von Bruck nach Radkersburg im Südosten. Flussaufwärts dauerte es freilich länger, da mussten dann auch Pferde eingespannt werden: Bis zu 16 Tiere gingen sie am rechten Ufer und zogen Schiffe bis in das steirische Oberland, ein unterfangen, das bis zu 16 Tage dauern konnte.
Menschen starben
Der Versuch, die Schifffahrt wieder zurückzuholen, endete im 19. Jahrhundert mit einer Tragödie: 1888 nahmen zwei Passagierdampfer in Graz den Betrieb auf, „Graz“ und „Styria“ getauft. Bereits 1889 rammte eines die Radetzkybrücke, kurz darauf krachte auch das zweite gegen einen Brückenpfeiler: Dabei kamen sechs Menschen ums Leben. Das Projekt Schifffahrt wurde wieder eingestellt.
Boote, Flöße oder Plätten waren allerdings bis in das 20. Jahrhundert regelmäßig auf der Mur unterwegs, auch wenn die Eisenbahn ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend Konkurrenz machte.
Dennoch: Aus 1898 ist eine Zahl eines Berichts der k. u. k. Statthalterei bekannt – 2.728 Flöße wurden auf der Mur gezählt. Warentransporte auf dem Fluss sind seit dem 13. Jahrhundert belegt. Ausgangspunkte waren Bruck oder Leoben, in Graz gab es Anlegestellen; befördert wurden unter anderem Holz, Salz und Eisenwaren.
- Stand-up-Paddeln und Kajakfahren
Wer selbst ein Kajak oder ein Stand-up-Paddelboard besitzt, kann damit an den zugänglich gemachten Stellen in die Mur eintauchen und einfach loslegen. Am Stadtstrand wurde aber zusätzlich ein Verleihsystem samt Kursangeboten auf die Beine gestellt, um Anfängern oder Hobbysportlern Lust darauf zu machen, die Gegend vom Wasser aus zu erkunden. Die Stadt Graz hat sich auch für die Mur der sanften Mobilität verschrieben, Elektroboote stehen nicht im Vordergrund.
- Floß fahren
Elisabeth Dirninger und Christoph Staber ließen eine alte Tradition neu aufleben – sie sind mit einem Floß auf der Mur unterwegs. Die Gründer der „Flößerei“ kommen aus dem Kajaksport und wollten „etwas für nicht so sportaffine Menschen anbieten“, begründet Staber. „Gerade die Grazerinnen und Grazer kennen diese Perspektive ja kaum, vom Fluss auf die Stadt und unter Brücken durch.“ Seit Mai dieses Jahres ist ihr Floß vom Stadtstrand Richtung Augarten unterwegs, flussaufwärts geht es mithilfe eines Elektromotors, abwärts reicht die Strömung. Die Hauptsaison läuft bis Oktober, bis zu 50 Personen haben Platz, die Fahrt dauert in etwa eine Stunde. Zusätzlich werden allerlei Events angeboten – von Yoga auf dem Fluss bis hin zum mehrstündigen Workshop, wie man selbst ein wassergängiges Floß baut.
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