First Lady Schmidauer: "Wo sind die Männer, die sagen: So sind wir nicht?"
Der Raum in der Sozialberatung der Caritas in Wien-Wieden ist voll mit Kinderkleidung – fein säuberlich nach Größen sortiert. Sie wird armutsbetroffenen Kindern zur Verfügung gestellt. Vorne, da wo die Menschen auf eine Beratung warten, hat sich schon eine lange Schlange gebildet. Der Bedarf nach Hilfe ist groß.
Doris Schmidauer, als Frau von Alexander Van der Bellen die First Lady Österreichs, ist auch wegen Unterstützung hier. Nicht, um sie selbst in Anspruch zu nehmen, sie will auf das Thema Frauenarmut aufmerksam machen. Der KURIER hat sie gemeinsam mit Doris Anzengruber, der Leiterin der Sozialberatung, zum Gespräch gebeten.
KURIER: Wie gleichberechtigt ist Österreich?
Doris Schmidauer: Mit Gleichberechtigung ist gemeint, dass wirklich überall Halbe-halbe gilt – von der Zusammensetzung in den Chefetagen bis zur Verteilung der Hausarbeit. Davon sind wir noch weit entfernt.
Doris Anzengruber: Wir sehen täglich in unserer Beratungsstelle, dass die Care-Arbeit, die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen bei Weitem nicht gerecht verteilt ist, sondern dass viele Frauen zu uns kommen, die das alleine schultern müssen. Mit den multiplen Krisen hat sich das noch verstärkt.
Inwiefern?
Anzengruber: Die Anzahl der Menschen, die sich hilfesuchend an die Caritas wenden, ist grundsätzlich größer geworden – und da ist der Frauenanteil ein sehr hoher. Zwei von drei Klienten, die zu uns in die Sozialberatung kommen, sind weiblich. Und natürlich wird das Auskommen mit dem Einkommen auch aufgrund der anhaltenden Teuerungen immer mehr zur Herausforderung. Am Ende des Geldes ist oft noch viel zu viel Monat da. Gestiegene Mieten, hohe Energierechnungen, teure Lebensmittel – das können viele nicht mehr ohne Unterstützung stemmen. Und da rede ich noch nicht von Freizeit oder etwa der Förderung für ein Kind.
Woran liegt es, dass viel mehr Frauen um Hilfe bitten als Männer?
Anzengruber: Armut ist weiblich, das zeigen auch die offiziellen Zahlen. Es sind besonders viele Alleinerzieherinnen und Mindestpensionistinnen betroffen, das sehen wir täglich in der Sozialberatung.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ja schon vieles zum Positiven verändert. Was sind die neuen Herausforderungen?
Schmidauer: Wenn ich in die 1970er-Jahre zurückblicke, an die Ikone Johanna Dohnal denke, an die großen Reformen im Familienrecht oder die Fristenlösung, dann hat sich viel geändert. Doch jetzt ist teilweise Stillstand eingetreten. Wir haben dieser Tage von AMS-Chef Johannes Kopf gehört, wie es gelingen kann, dass auf allen Führungsebenen eine 50-prozentige Frauenquote erreicht wird. Es ist gar nicht so schwer, hier fehlt oft der Mut und der Wille, um zu sagen: Wir wollen Gleichstellung sehen. Wir wollen nicht immer das Mittelmaß, sondern top sein. Wir wollen, dass das Potenzial der Frauen in diesem Land optimal genutzt wird.
Anzengruber: Es ist schwer, als alleinerziehende Mutter wieder Fuß zu fassen und mehr als eine Teilzeitbeschäftigung zu bekommen. Das führt wiederum dazu, dass viele Frauen von Altersarmut betroffen sind und nicht über die Runden kommen. Wenn mir Pensionistinnen sagen, es sei ihre Schuld, weil sie einfach zu wenige Jahre gearbeitet und sich um die Kinder gekümmert haben, trifft mich das besonders. Das ist ein strukturelles Problem.
Gefährdet
In Österreich sind laut der Europäischen Gemeinschaftsstatistik 533.000 Frauen armutsgefährdet
Alleinerziehende
Ein-Eltern-Haushalte verzeichnen mit einer Quote von 32% die höchste Armutsgefährdung aller Haushaltstypen – in Österreich sind das zu 90% Frauen
Schlafplatz
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Wie kann man eine Änderung ankurbeln? Derzeit hat man das Gefühl, es kommt bei Themen wie dem Weltfrauentag oder dem Gender-Pay-Gap eher zu einem kollektiven Aufseufzen.
Schmidauer: Was die gesetzlichen Rahmenbedingungen betrifft, ist die Politik gefordert. Es gibt ja klare Rezepte – etwa die Quotenregelung, die sehr wirksam ist, wie wir bei den Aufsichtsräten gemerkt haben. Was die Armutsbekämpfung betrifft, muss man bei der schlechten Entlohnung vieler klassischer sogenannter Frauenberufe ansetzen. Hier gäbe es Hebel und dann wären vielleicht manche Jobs auch für Männer attraktiver. Bei der Karenz-Regelung müssen Männer mehr in die Pflicht genommen werden. Dann würde sich vieles einfach regeln.
Auf den Straßen sieht man mehr wohnungslose Männer. Woran liegt das?
Anzengruber: Frauen sind vielfach verdeckt wohnungslos. Das bedeutet, sie leben in provisorischen Wohnverhältnissen bei Bekannten, pendeln von Couch zu Couch oder begeben sich in Zweckpartnerschaften und damit vielfach in Abhängigkeitsverhältnisse. Es gibt viele Frauen, die prekär leben und keine andere Wahl sehen, als in gewaltvollen Beziehungen zu bleiben.
Schmidauer: Das ist etwas, das mich sehr erschüttert hat: Wenn Frauen nicht rauskommen aus diesen Gewaltbeziehungen, weil sie Sorge haben, was mit ihren Kindern passiert, wenn sie sich befreien.
Was bräuchte es, um die Situation zu verbessern?
Anzengruber: Eine verbesserte finanzielle Situation und ein armutsfester Sozialstaat. Ein höheres Einkommen fördert Unabhängigkeit und das Vertrauen der Frauen in sich selbst kann wachsen. Der Gedanke „Ja, ich schaffe es alleine“ kann eine wichtige Schraube sein.
Schmidauer: Das Wichtigste ist, nicht so zu tun als wären das lauter Einzelfälle. Es ist ein strukturelles Problem, und da muss man langfristig präventiv Maßnahmen setzen. Enorm wichtig sind niederschwellige Angebote wie diese Beratungsstelle. Ich habe hier viele Role Models kennengelernt, die selber diese Hilfe in Anspruch genommen haben. Sie können anders kommunizieren und so andere betroffene Frauen ermutigen. Sie haben gewagt, sich Hilfe zu holen. Das ist so ein mutiger erster Schritt, finde ich.
Das Thema Gewalt an Frauen wurde in den vergangenen Tagen aufgrund der vielen getöteten Frauen erneut diskutiert. Ist der Aufschrei in Österreich groß genug?
Schmidauer: Der Aufschrei ist das eine. Das andere sind gesetzte Maßnahmen, um diese Gewalt zu verhindern. Hier sind vor allem auch die Männer gefragt, damit das Thema kein klassisches Frauenthema bleibt. Wo sind die Männer, die hier als positive Role Models wirken? Die Männer, die sagen „So sind wir nicht“. Die Frage, welche Rollen vorgelebt werden, muss in den Kindergärten und den Schulen anfangen. Hier wäre der wirksamste Ansatz – neben allem, was es an Hilfe selbstverständlich geben muss.
Als First Lady sind Sie per definitionem „die Frau von“. Ist das im Sinne der Gleichberechtigung ein Problem für Sie?
Schmidauer: Mir ist diese Rolle deshalb wichtig, weil sie es ermöglicht, dass ich auch eigenständige Projekte entwickeln kann. Natürlich sind mein Mann und ich gut abgestimmt, wir sind ein gutes Team und wir beraten uns wechselseitig in allen Belangen. Insofern lebe ich in einer gleichgestellten Beziehung. Aber selbstverständlich ist mein Mann das gewählte Staatsoberhaupt und ich bin seine Frau. Dafür gibt es keine Jobdescription, keine Struktur und kein Pflichtenheft. Es liegt an einem selbst, was man daraus macht.
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