Extreme Unwetter ohne Vorwarnung sind jederzeit möglich
Am Tag nach den so plötzlich aufgetretenen wie heftigen Unwettern, die in Kärnten und Niederösterreich am Donnerstag fünf Menschen das Leben kosteten, stellt sich vor allem eine Frage: Wie konnte das passieren? Wie konnte eine so heftige Gewitter- und Sturmfront ohne ausreichende Vorwarnung über weite Teile des Landes ziehen?
Der Leiter des steirischen Katastrophenschutzes, Harald Eitner, sagte am Freitag, es habe nur rund 20 Minuten Vorwarnzeit gegeben – viel zu wenig, um die Bevölkerung noch zu erreichen.
Der deutsche Wetterexperte Jörg Kachelmann sprach am Freitag hingegen gegenüber dem Spiegel von „einem Gewittersturm mit stundenlanger Ansage“, auf dessen „langem Weg nach Nordosten man sich hätte irgendwas denken können“ – nur habe sich niemand etwas gedacht.
Modelle gescheitert
Österreichische Meteorologen sehen das freilich deutlich anders.
„Wir haben etwa sieben Wettermodelle, die wir uns am Vortag für die Vorhersage anschauen“, sagt ORF-Wettermann Manuel Oberhuber. „Da hat es für gestern zwar Diskrepanzen gegeben, einzelne hatten Böen berechnet. Aber kein einziges Modell hatte eine Linie mit Sturmböen so weit östlich berechnet.“
Kein Einzelfall
In diesem Fall hätte man die Vorhersage kaum besser machen können. Was er überhaupt mit Gewissheit sagen kann, sei, dass es immer wieder passieren wird, dass die Vorhersagen nicht alle Wetterphänomene punktgenau vorberechnen werden: „Es sind eben Modelle, nicht die Realität.“ Wobei die Evaluierung der Vorhersagen beim ORF der Drei-Tage-Vorschau rund 90 Prozent Treffergenauigkeit bescheinigt.
Zur Donnerstag-Vorhersage meint Oberhuber: „Bei so einer signifikanten Wetterlage scheitern die Vorhersagen der Modelle sehr selten.“ Die Gewitterlinie, die von Korsika über Italien und mit etwa 80 km/h dann auch über Österreich gezogen ist, war aus meteorologischer Sicht „perfekt organisiert, wie aus dem Lehrbuch“. Aber nicht extrem außergewöhnlich: „So eine Linie zieht alle paar Jahre über Österreich.“
Der Satellitenfilm zeigt deutlich, wie schnell die Gewitterfront am Donnerstagnachmittag über Österreich gezogen ist
Mit 80 Stundenkilometern fegten die Unwetter über das Land
Um 15.30 Uhr entwurzelten die starken Windböen Bäume am St. Andräer See, zwei Kinder starben
Um 17 Uhr wurde die Wandergruppe im Mostviertel überrascht, drei Frauen verloren ihr Leben
Außergewöhnlich waren aber die Windspitzen. 140 km/h wurden gemessen, Oberhuber geht aber davon aus, dass es an manchen Stellen, etwa wo die Strommasten geknickt wurden, noch stärkere Böen gegeben hat.
Ein Sturm wie ein Wasserfall
Wie es zu so starken Windspitzen kommt?
„Normal bleiben die starken Winde oben, dieses Gewitter konnte diese Winde auf den Boden bringen.“ Passiert ist das unter anderem, weil in der heißen Luft mehr Niederschlag (Hagel, Graupel, Regen) verdunstet ist.
Der Meteorologe beschreibt das Phänomen so: „Die kalte Luft von oben verdrängt die heiße Luft am Boden. Dieser Sturm wird wie ein Wasserfall vor der Gewitterlinie hergeschoben.“
Besonders heimtückisch, besonders gefährlich, weil die Sturmböen in diesem Fall „brutal schnell und sehr stark“ auftreten: „Anders als bei den Gewittern, die wir kennen.“ Zwar hat sich das Gewitter beim Grenzübertritt aus Italien abgeschwächt, durch die schwüle, warme Luft in Unterkärnten wieder an Kraft gewonnen. Mit den tragischen Auswirkungen.
"Extrem unwahrscheinlich"
Eine andere Frage ist die nach der generellen Qualität von Wetterprognosen. Grundsätzlich sind diese in den vergangenen 50 Jahren deutlich besser geworden, allerdings bezogen auf Großwetterlagen. Auf lokale Unwetterereignisse sei das nicht direkt übertragbar, sagt Nikolas Zimmermann von Ubimet.
Und auch Georg Pistotnik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) betont, dass „die Atmosphäre am Donnerstag einen Weg eingeschlagen hat, den wir als extrem unwahrscheinlich angesehen haben“.
Keine Sicherheit
Zwar hätten die Kollegen am Donnerstagvormittag zur Sicherheit eine gelbe Gewitterwarnung für ganz Kärnten herausgegeben. So wirklich daran geglaubt haben sie aber selbst nicht. „Wir müssen immer entscheiden: Was geben wir raus, was lassen wir weg, um die Leute nicht zu überfordern?“
Daher kann auch keiner der Experten sagen, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Man lerne aus jeder weniger guten Prognose etwas, sagt Pistotnik. Vieles bleibe aber unvorhersehbar – „es wäre uns wohler, wäre das anders“.
Klimawandel befeuert Extreme
Und dann kommt bei allen Extremwetterereignissen der Einfluss des Klimawandels dazu. Höhere Temperaturen bewirken mehr Verdunstung, was zu mehr Energie in der Atmosphäre führt – die auch wieder raus muss. Im Fall von Donnerstag lud zudem das extrem warme Wasser des Mittelmeers die Front mit Energie auf.
Zwar scheuen die Experten häufig davor zurück, einzelne Unwetter auf den Klimawandel zurückzuführen. Die Tendenz ist aber eindeutig. „Es war eine extrem unglückliche Situation“, sagt Pistotnik. „Aber der Klimawandel führt dazu, dass solche unglücklichen Kombinationen häufiger werden.“
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