Ex-ÖVP-Stadtchef Nagl kritisiert "Intensivnörgler" der sozialen Medien scharf

Elke Kahr, Siegfried Nagl
Mehr als 18 Jahre lang war Siegfried Nagl Bürgermeister von Graz, nun wurde er als 48. Ehrenbürger ausgezeichnet.

"Interessant, wie das Leben so spielt", sinniert Elke Kahr: "Vor 14 Monaten hätte ich mir diesen Rollenwechsel nicht vorstellen können." Ihr Vorgänger im Bürgermeisteramt wohl auch nicht, doch Siegfried Nagl hat sich wie seine Nachfolgerin in die neue Rolle gefunden: "Als Bürgermeister habe ich gelernt, zuzuhören und, wo nötig, nicht zurückzuweichen. In der Niederlage durfte ich lernen, mich neu zu erfinden und nicht zu hadern."

Seit ein paar Monaten ist Nagl Energie-Sonderberater der Wirtschaftskammer Österreich. Zuvor war er 18 Jahre und fünf Monate lang Stadtchef von Graz und somit der längstdienende in diesem Amt. Davor fungierte er fünf Jahre lang als Finanzstadtrat, fünfmal trat er für die ÖVP als Spitzenkandidat an. Bei den Kommunalwahlen 2021 verlor seine Partei jedoch massiv, die KPÖ wurde stimmenstärkste Fraktion. Deren Obfrau Elke Kahr wurde am 17. November 2021 zum ersten weiblichen Stadtoberhaupt überhaupt gekürt.

Ex-ÖVP-Stadtchef Nagl kritisiert "Intensivnörgler" der sozialen Medien scharf

Genau ein Jahr später überreicht sie Nagl die höchste Auszeichnung der Landeshauptstadt: Nagl ist nun Ehrenbürger, ein Titel, den unter anderem Ex-Bundespräsident Heinz Fischer und Altbürgermeister Alfred Stingl (SPÖ) tragen. Insgesamt hat Graz somit 48 Ehrenbürger – unter ihnen nur eine Frau: Altlandeshauptfrau Waltraud Klasnic.

Obwohl politisch völlig konträr eingestellt – im Wahlkampf schloss Nagl etwa eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten dezidiert aus – ist die Stimmung am Donnerstag gelöst und freundlich. „Tausend Dank für deine Arbeit und dein Engagement“, wendet sich Kahr an Nagl. Er wäre "ein Getriebener" in seinem Bestreben gewesen, für Graz etwas weiterzubringen, auch wenn sie politisch nicht immer denselben Standpunkt vertreten habe. "Aber das ist demokratisch legitim", betont Kahr.

Beinahe Amokopfer

Sie würdigt speziell Nagls Verhalten am 20. Juni 2015, dem Tag der Amokfahrt mit drei Toten und mehr als 100 Verletzten: Obwohl selbst beinahe Opfer des Anschlags geworden, habe sich Nagl "so verhalten, wie man es sich von einem Bürgermeister nur wünschen kann". Der ÖVP-Stadtchef konnte dem Auto des Amokfahrers gerade noch ausweichen und blieb unverletzt.

Nagl genießt es sichtlich, wieder im Rathaus im Mittelpunkt zu stehen. Und er nützt die mediale Aufmerksamkeit für Kritik an der "selbst gemachten schleichenden Krise, einer Vertrauenskrise" durch soziale Medien und ihre vorschnellen Pauschalurteile. Beinahe alle etablierten Institutionen, von der Politik über die Kirche bis zur Justiz und Sozialpartnerschaft, würden verbal attackiert. "Intensivnörgler, die sich als Kampfschreiber austoben", nennt Nagl das Phänomen, durch das es aber "kalt geworden ist in unserer Gesellschaft. Es geht nur noch um das Gewinnen und Denunzieren." Er wünsche sich Respekt statt Ressentiments, schließt Nagl, und durchaus Konkurrenz, aber keine Konfrontation.

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