EU-Umweltkommissar zur Wolf-Debatte: "Wölfe haben schon vor uns hier gelebt"
Im KURIER-Interview nimmt der Litauer Virginijus Sinkevičius Stellung zur Debatte um Wölfe und Bären in Österreich. Er will die Frage rational diskutieren und warnt vor dem Schüren von Ängsten.
Wie sieht die EU-Kommission die Diskussion um die Wiederkehr von Wölfen und Bären in Europa und in Österreich?
KURIER:In Österreich wird der Schutzstatus des Wolfs gerade regionsweise gelockert. Da sind die Regelungen je nach Gebiet sehr unterschiedlich. Hier wurde nun auch wieder der Ruf lauter, dass man strengere EU-weite Lösungen braucht. Wäre das vorstellbar?
Virginijus Sinkevičius: Wir haben eine EU-weite Richtlinie, die es seit 30 Jahren gibt und die bereits Ausnahmeregelungen zulässt. Manche Länder sind sehr erfolgreich dabei, diese Ausnahmeregelungen zu nutzen, andere weniger. Ich bin immer bereit, mit den Mitgliedsländern zu arbeiten und die spezifische Situation anzusehen. Natürlich muss man schauen, ob alle möglichen Maßnahmen für eine Koexistenz und Prävention verwendet worden sind. Wenn alle Optionen ausgeschöpft wurden, dann kann man das letzte Mittel nutzen.
Also verstehen Sie, dass die sogenannten Problemwölfe als letzte Möglichkeit auch geschossen werden müssen?
Ich bewerbe das nicht, aber ich verstehe, worum es hier geht. Allerdings glaube ich nicht, dass die Probleme so gelöst werden können. Wir waren in den Regionen Europas sehr viel erfolgreicher, wo tatsächlich Schutzmaßnahmen umgesetzt worden sind. Zäune, Sprays, Hirtenhunde … es kommt eben auf die Situation an. Wir haben unser „Life-Programm“ (Programm der EU, das auch dazu beiträgt, das Zusammenleben von Mensch und Wolf zu verbessern, Anm.), das sehr großzügig ist und es werden nicht nur Maßnahmen finanziert, sondern auch Forschungen, um in spezifischen Regionen die richtigen Lösungen zu finden. Wenn Tiere immer wieder kommen und Schaden anrichten, dann wird normalerweise eine Ausnahme genehmigt.
In Österreich war der Wolf lange ausgestorben, bis es wieder gelang, ihn anzusiedeln. Viele argumentieren daher, dass es den Wolf oder den Braunbären gar nicht braucht. Warum muss er beschützt werden?
Große Raubtiere sind sehr wertvoll für die Ökosysteme. Wenn man eine Spezies komplett ausrotten würde, könnte es einen großen negativen Effekt haben. Die Population einer Spezies, die der Wolf etwa jetzt bejagt, könnte dann extrem zunehmen. Wölfe haben in Europa schon vor uns gelebt, es ist eine natürliche Spezies und nicht invasiv.
Dennoch fürchten sich Menschen in den Gebieten, wo viele Wölfe leben, vor diesen Tieren. Das Gleiche passiert dort, wo Bären leben. Gibt es neue Initiativen, die darauf abzielen, das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes von Wölfen zu schärfen und den Menschen zu erklären, warum sie keine Angst haben müssen?
Man muss natürlich zwischen Wolf und Bär unterscheiden. Bären sind weit gefährlicher für Menschen, als Wölfe. Wenn wir vom Wolf sprechen, müssen wir uns vor Augen führen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt – etwa in Österreich – , wo Wölfe Menschen anfallen. Das ist wichtig, denn es gibt eigentlich keine Fälle. Es muss eine rationale Diskussion geben. Ich kann den Schmerz von Landwirten verstehen, die Nutztiere verlieren, hier muss etwas getan werden. Aber es gibt teilweise auch künstliche Inputs in die Debatte, die Ängste schüren und das hat negative Auswirkungen auf uns alle.
Im Jänner haben Sie die Bestäuberinitiative in einer überarbeiteten Form präsentiert. Das hat viel mit Pestizidreduktion zu tun, der die EVP wieder ablehnend gegenübersteht. Wann wird letztere Initiative umgesetzt?
Das ist schwierig zu sagen. Ich bin nicht federführend in diesem Fall. Es gibt Diskussionen über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden. Ich denke, wir müssen die Argumente der Landwirte berücksichtigen, die von einer erheblichen Verringerung der Erträge sprechen, und Lösungen finden, wie wir ihnen vielleicht im Rahmen der Präzisionslandwirtschaft und Ähnlichem helfen können, auch um ihre Betriebskosten zu senken.
Der Wolf galt in Österreich lange als ausgerottet. Mittlerweile konnten die Tiere wieder angesiedelt werden. Etwa 60 sind per Genetik oder durch Risse nachgewiesen. Das freut allerdings nicht alle.
In Tirol befürchtet die Tourismusbranche mittlerweile, dass Wölfe etwa Wanderer angreifen könnten. Die Jagd auf die Tiere wurde daher heuer weiter erleichtert. In der neuen Almschutz-Verordnung wurde beschlossen, sämtliche Almen als nicht schützbar einzustufen und als Alpschutzgebiete auszuweisen. Das hat zur Folge, dass bei Rissen durch einen Wolf nicht zunächst versucht werden muss, diesen zu vergrämen oder die Herde zu schützen. Werden auf einer Alm wiederholt Weidetiere getötet, erlässt die Landesregierung per Umlaufbeschluss sofort eine Abschussverordnung für Wölfe innerhalb eines Radius von zehn Kilometern.
"Problemwölfe"
Neben dem Tourismus gibt es auch in der Landwirtschaft viele, die den Schutz des Wolfs wegen der vermehrt aufgetretenen Nutztierrisse aufweichen wollen. In Kärnten ist im Vorjahr eine neue Wolfsverordnung in Kraft getreten. Diese hat die Tötung der eigentlich streng geschützten Tiere wesentlich erleichtert. Seither wurden schon fünf Tiere geschossen. In Niederösterreich wurde der Abschuss heuer ebenso erleichtert, wenn etwa sogenannte "Problemwölfe" sich öfter menschlichen Siedlungen nähern.
Tierschützer argumentieren wiederum damit, dass durch den Schutz der Wölfe die biologische Vielfalt bewahrt werden kann. Sie plädieren für eine koexistente Lösung, die sowohl den Schutz der Wölfe als auch den Schutz der Nutztiere gewährleistet. Die Wichtigkeit von Maßnahmen wie etwa der Einsatz von Herdenschutzhunden und Zäunen und auch dementsprechende Förderungen werden dabei betont.
19.000 Wölfe soll es mittlerweile in Europa geben. Die Reproduktionsrate liegt bei bis zu 30 Prozent pro Jahr, die Zahl der Risse von Nutztieren nimmt jedes Jahr zu. So auch in Österreich. 2022 wurden vom "Österreichzentrum Bär Wolf Luchs" 70 bis 80 Wolfsindividuen gezählt. Heuer gab es seit Jahresanfang bis knapp ins zweite Quartal hinein etwa 33 gesicherte Nachweise
Das Thema wird inzwischen kontroversiell diskutiert.
Wir können dieser Frage nicht ausweichen. Ich möchte daran erinnern, dass sie Teil des globalen Rahmenübereinkommens zur biologischen Vielfalt ist, das eben auch die Verringerung des Einsatzes und der Risiken von Pestiziden vorsieht. Wir Europäer waren erneut führend in der Forderung dieser globalen Reduktion. Es wäre schwierig, davon abzurücken. Wir müssen Verantwortung übernehmen.
2024 sind die EU-Wahlen . . .
Ja, wir kommen ans Ende unserer Amtszeit und es bleibt womöglich nicht genug Zeit, um alle Themen abzuschließen, die wir begonnen haben. Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir das weiterverfolgen werden. Die Meinung Österreichs ist dabei sehr wichtig, da Österreich das führende Land in Bezug auf den ökologischen Landbau ist. Österreichs Landwirte übertreffen unsere Ziele in Bezug auf den ökologischen Landbau in der EU. Daher begrüßen wir immer die österreichische Position und die Fachkenntnisse in den Arbeitsgruppen, wie diese Ziele auf bestmögliche Weise erreicht werden können.
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