„Sie schicken sie in den Tod“

„Sie schicken sie in den Tod“
Warum die Justiz eine illegale Deportation nach Kasachstan nicht verhinderte.

Die illegale Abschiebung von zwei Kasachinnen von Rom nach Kasachstan mit einem österreichischen Firmen-Jet hat nicht nur in Italien eine veritable Regierungskrise ausgelöst, sondern sogar die UNO auf den Plan gerufen.

Dem KURIER liegt nun das Protokoll des Verfassungsschutzes über diesen folgenschweren Flug vor. Und es zeigt, dass es mehr als drei Stunden in der Hand der österreichischen Justiz gelegen ist, der verschleppten Mutter und ihrer Tochter die Freiheit zu geben.
In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai stürmten in Rom 50 schwer bewaffnete Geheimpolizisten ein Haus, verschleppten die 47-jährige Alma Shalabayeva und ihre sechsjährige Tochter Alua – das war illegal. Denn gegen beide lag nichts vor, sie hielten sich legal in Italien auf. Es handelt sich dabei um die Ehefrau und die Tochter des vom kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew weltweit gejagten Oligarchen und Oppositionellen Mukhtar Ablyasov, der nun von „Geiselnahme“ spricht.

Ab den Abendstunden des 31. Mai war die inneritalienische Angelegenheit auch eine österreichische. Da ging der erste Hilferuf in dieser Causa beim Journaldienst des BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) ein.

20.54 Uhr Ein österreichischer Rechtsanwalt urgiert beim Journaldienst dringend einen Rückruf. Denn gerade in diesen Minuten würden aus Rom zwei Angehörige eines Kasachen mit einem österreichischen Flugzeug entführt. Es handelt sich um das Kennzeichen OE HOO.

22.00 Uhr Die Austro Control teilt mit, dass es sich um ein Flugzeug der Wiener Firma Avcon Jet handelt.

22.07 Uhr Der Avcon-Firmenjurist bestätigt den Abflug der Maschine nach Kasachstan mit der Frau und der Tochter eines Oppositionellen. Gleichzeitig behauptet ein weiterer Vertreter von Ablyasov, dass es sich um eine Entführung handelt. Der Avcon-Jurist zieht die Rückholung des Flugzeuges in Erwägung.

Es gelingt die Verbindungsaufnahme mit dem Piloten. Der bestätigt die Anwesenheit der Kasachinnen. Es handle sich aber um keine Entführung, sondern um eine offizielle Abschiebung. Das Flugzeug befindet sich inzwischen im Luftraum über Russland. Die Austro Control bietet als Ausweichflughafen Ankara an, weil für den Rückflug der Treibstoff nicht mehr reicht.

22.50 Uhr Die Journalbeamtin der Staatsanwaltschaft Wien wird vom Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Sie trifft keine Entscheidung wegen widersprüchlicher Angaben. Die Staatsanwältin entscheidet, den Weiterflug nach Astana zu genehmigen.

23.44 Uhr Die zweite Tochter Madina meldet sich aus der Schweiz. Mutter und Schwester sind entführt worden. Sie bittet um polizeiliche Unterstützung.

23.58 Uhr Erstmaliges Gespräch des BVT-Journalbeamten mit dem Piloten. Er erklärt, dass es kein Bedrohungsszenario gegenüber den Frauen gebe. Ihm wird die Genehmigung zum Weiterflug erteilt.

Beim BVT entsteht der Verdacht, der Pilot könnte unter Druck stehen.

00.05 Uhr BVT -Beamte werden für rasche Ermittlungen einberufen.

01.08 Uhr Ein Anwalt übermittelt acht Dokumente, welche beweisen, dass sich die beiden Kasachinnen legal in Italien aufhielten.

01.26 Uhr Ein Anwalt vermittelt ein Gespräch mit der zweiten Tochter Madina in der Schweiz. Sie fleht um Hilfe und meint: „Sie schicken meine Familie in den Tod“.

02.37 Uhr Der Pilot wird per Handy erreicht. Er ist gelandet. Vorher hat er bei der Avcon-Jet-Führung noch angefragt, ob er die Türen des Flugzeuges öffnen soll. Die beiden Frauen wurden von der Polizei abgeholt.

03.36 Uhr Der Pilot übermittelt Handy-Fotos von Reisedokumenten. Darunter ist auch eine kasachische Verbalnote mit der Grußfloskel: „Die Botschaft der Republik Kasachstan in Italien spricht erneut ihre Hochachtung an das Immigrationsbüro der Quästur Rom aus.“ Das weitere Schicksal der beiden Frauen ist ungewiss. Sie sollen sich unter Hausarrest befinden.

„Sie schicken sie in den Tod“

Offenbar war es dem kasachischen Botschafter gelungen, Polizeibeamte für die illegale Aktion zu gewinnen. Premier Enrico Letta hob die Ausweisung gegen die beiden Kasachinnen wieder auf und lud sie wieder ins Land ein – was ihnen mangels Bewegungsfreiheit nicht viel bringt.

Sachverhaltsdarstellung

In einer Stellungnahme von UNO-Menschenrechtsexperten wurde die Rechtswidrigkeit der „zwangsweisen Verbringung“ angeprangert. Die Regierung wäre an der Affäre beinahe zerbrochen.

In Österreich übermittelte das BVT eine Sachverhaltsdarstellung gegen die Avcon an die Staatsanwaltschaft. Als „äußerst suspekt“ wird angemerkt, dass dem Piloten und der Firmenführung der völlig unübliche Ablauf nicht aufgefallen wären. So sei der Flug nicht im Auftrag des italienischen Staates, sondern der kasachischen Botschaft durchgeführt worden. Außerdem befanden sich nicht wie üblich Polizeibeamte an Bord, sondern der Konsul der kasachischen Botschaft und dessen Sekretär. Zudem entstand der Eindruck, dass der Pilot unter Druck stünde.

Die Staatsanwaltschaft Wien stellte das Ermittlungsverfahren ein – mit der Begründung: „Allfällige Straftaten italienischer Polizei- oder Justizorgane im Vorfeld des Fluges sind einer Prüfung der österreichischen Strafjustiz nicht zugänglich.“ Außerdem sei weder für die Avcon noch für den Piloten ersichtlich gewesen, dass die beiden Kasachinnen gegen deren Willen nach Kasachstan verbracht wurden.

Dagegen brachten Anwälte der beiden Kasachinnen einen Antrag auf Fortführung ein. Seitens der Firma Avcon war dazu keine Stellungnahme zu erhalten.

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