Floridsdorf, Favoriten, Simmering. Der Wiener Arbeiterbezirk hat grundsätzlich eine schlechte Nachrede. Dabei gibt es kaum eine Stadt, die in jedem ihrer Bezirke so vielseitig ist wie Wien. Es gibt keine „Gettos“ und auch keinen Bezirk, der ausschließlich nobel ist – selbst Hietzing hat auch wenig pittoreske Ecken. Das hat unter anderem historische Gründe. Der soziale Wohnbau der 1920er-Jahre wuchs über die Stadt verteilt, man vermied dadurch die Bildung von reinen Problemvierteln.
Trotzdem haben manche Gegenden ein schlechtes Image, ob zu Recht oder zu Unrecht, liegt wohl im Auge des Betrachters. Vor einigen Tagen sorgte eine ORF-Doku über den elften Bezirk für Aufregung. Ähnlich wie bei Elizabeth T. Spiras Reportage über die Großfeldsiedlung vor bald 20 Jahren, empfanden manche den Blick auf Simmering als wenig wohlwollend, um nicht zu sagen, voreingenommen.
Die Statistik scheint dem strengen Blick recht zu geben. Derzufolge gehört der Elfte zu den Wiener Bezirken mit sehr niedrigem Akademiker-Anteil und im Vergleich zum Wiener Durchschnitt sehr hohem Anteil an arbeitslos gemeldeten Personen.
Doch abseits statistischer Härte ist Simmering durchaus liebenswert. Ein paar gute Gründe liefert folgende Aufzählung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, natürlich.
1 Der Zentralfriedhof Ob man dort Joggen soll, ist Geschmackssache (es gibt zwei markierte Laufstrecken). Aber unabhängig davon, ob man dort einen der drei Millionen Verstorbenen besuchen will: Zum Flanieren und um Tiere zu beobachten ist der Zentralfriedhof traumhaft.
2 Das Concordia Schlössel Man muss kein Fan der hier feilgebotenen „Schnitzel-Trilogie“ sein. Doch das 1881 errichtete Schlössel gegenüber dem Friedhofstor 1 ist bezaubernd. Und die gigantische Jesus-Statue im Gastgarten hat Kultstatus.
3 Weinhaus Hochmayer Dass es den Innereien-Spezialisten Barbanek nicht mehr gibt, haben viele nicht überwunden. Glücklicherweise ist im Gasthaus Hochmayer auf der Simmeringer Hauptstraße die Zeit stehen geblieben. Das urige Weinhaus fasziniert mit dunklem Holz-Interieur, Gulaschvariationen und lang anhaltender olfaktorischer Begleitung.
4 Der Friedrich-Engels-Hof 1925 bis 1926 nach Entwürfen der Architekten Franz Kaym, Alfons Hetmanek (beide Otto-Wagner-Schüler) und Hugo Gorge errichtet, 2008 renoviert. Außergewöhnlich schöne architektonische Details, wie die Erker mit dem geometrischen Muster.
5 Weißenböcksiedlung Die zwei- bis dreigeschoßigen Mehrparteienhäuser, ebenfalls in der Zwischenkriegszeit nach Entwürfen von Hetmanek und Kaym errichtet, wirken mit ihren Gärten und dem „Marktplatz“ samt Zierbrunnen wie kleine Stadt-Villen – best of Gemeindebau.
6 Alt Simmering und seine Pfarrkirche Ein Dorf in der Großstadt.
7 Szene Wien Die Konzertlocation in der Hauffgasse hat nach einem Besitzerwechsel 2008 zwar gehörig an Flair verloren, aber die Erinnerung an legendäre Konzerte kann einem keiner nehmen.
8 Gasometer Nach dem Umbau der ehemaligen Gasbehälter aus dem Jahr 1896 ist nicht alles so gelaufen, wie geplant. Sehenswert sind die von Stararchitekten verschönerten gigantischen Industriebauten immer noch. Innen ist vor allem die Klangfarbe, mit 3.500 Quadratmetern Österreichs größtes Musikgeschäft, einen Besuch wert.
9 Die Gärtner von Kaiserebersdorf Ob Gemüse, Blumen oder die Feigenplantage am Biohof Himmelreich – Simmering ist Wiens Gemüseversorgungsbezirk.
10 Schloss Neugebäude Der Elfte hat ein waschechtes Renaissance-Schloss, errichtet im 16. Jahrhundert von Kaiser Maximilian II.
11 Friedhof der Namenlosen Stille Stätte beim Alberner Hafen für Ertrunkene und andere armen Seelen. Berührend schön.
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