Lichteraktion in Wien: „Ein Zeichen des Miteinanders“
Mittlerweile reden alle vom „Lichtermeer“. Doch die Organisatoren der Lichteraktion #Yes we care zögern ein bisschen bei diesem Vergleich – zu groß ist die Erwartungshaltung, die die Erinnerung an das Lichtermeer auslöst: An die 300.000 Menschen sollen allein in Wien dabei gewesen sein, als SOS Mitmensch 1993 zur Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit aufrief. So viele werden es, bei allem Optimismus, am Sonntag wohl nicht sein. Und außerdem: Das Meer als bewegter, unsicherer Ort ist in Zeit einer wabernden, ausufernden Pandemie wohl kein gutes Zeichen, sagt Mit-Organisator Daniel Landau.
5.127 Kerzen wurden am 18. Dezember 2020 am Stephansplatz entzündet – für jede und jeden Verstorbenen eine Kerze. Mit einem stillen Gedenken am Stephansplatz wollten die Initiatoren der Caritas der Trauer und dem Schmerz um die Opfer der Pandemie Raum geben. Damals setzten Menschen in ganz Europa Zeichen der Solidarität – und die ersten Impfungen gaben Anlass zur Hoffnung, dass die Pandemie bald bewältigt sein werde.
300.000 Menschen
Vor 28 Jahren, am 23. Jänner 1993, bewegte die bisher größte Demonstration Österreich das Land. Das „Lichtermeer“ war eine von SOS Mitmensch initiierte und von verschiedenen zivilgesellschaftlichen, politischen und religiösen Organisationen unterstützte Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. In Wien nahmen bis zu 300.000 Menschen an der Aktion teil, weitere Demonstrationen gab es in Städten wie Graz, Linz, Innsbruck und Salzburg. Unmittelbarer Anlass war das Ausländervolksbegehren der FPÖ („Österreich zuerst“), die Kundgebung richtete sich aber auch gegen die Asyl- und Zuwanderungspolitik der Großen Koalition. Vorbild für das Lichtermeer waren die Großdemonstrationen in Deutschland 1992. In Ostdeutschland hatten Rechtsradikale im Spätsommer und Herbst Asylwerberheime angegriffen. Ende November starben bei Anschlägen auf von türkischen Familien bewohnte Häuser in Schleswig-Holstein drei Menschen. Daraufhin demonstrierten in mehreren Städten Hunderttausende mit Lichterketten gegen rechtsradikale Gewalt.
Mindestens 13.000 Kerzen sollen am Sonntag unter dem Motto „Yes we care“ die Wiener Innenstadt entlang des Rings und des Kais beleuchten. Auch über Kerzen, die daheim in die Fenster gestellt werden, freut man sich. Eine überparteiliche Allianz der Zivilgesellschaft, organisiert vom Innsbrucker Roman Scamoni und dem Wiener Daniel Landau, will damit der Verstorbenen der Corona-Pandemie gedenken. Doch das „Zeichen der Solidarität“ geht darüber hinaus. Man will an Angehörige und Pflegende denken, aber auch ein Zeichen gegen Hetze und Antisemitismus setzen.
Ein Lichterkranz
Treffpunkt ist 19. Dezember, 18.30 Uhr, um 19 Uhr sollen die mitgebrachten Kerzen entzündet werden. Wer keine Kerze dabei hat, kann natürlich auch mit Handy oder Taschenlampe leuchten. Gelingt die Aktion, wird ein riesiger Lichterkranz zu sehen sein, den Unterstützerin Nicola Werdenigg von oben filmen lassen will, wie sie im Gespräch mit dem KURIER erzählt. Wie genau das erfolgen soll, darüber hält sich Werdenigg noch bedeckt, um die Aktion nicht zu gefährden. Nur so viel: Filmstudenten werden dabei helfen. Von einer Demonstration will Werdenigg ausdrücklich nicht sprechen. „Uns geht es um ein Zeichen der Verantwortung, der Solidarität und um ein Miteinander“, sagt die ehemalige Skirennläuferin. Der Kontrapunkt zu den Demonstrationen der Impfgegner, die mittlerweile jeden Samstag die Innenstädte in Beschlag nehmen, sei längst überfällig, zugleich will man das Gemeinsame über das Trennende stellen. „Wir wollen einander die Hände reichen – dort, wo es noch geht.“
Gegendemonstranten
Dass sich Gegendemonstranten angekündigt haben, wisse und nehme man ernst, lasse sich aber nicht abschrecken, schließlich sei auch die Polizei vor Ort, so Organisator Roman Scamoni. Ursprünglich war die Aktion früher, bereits um 16.30 Uhr angesetzt. Nach Gesprächen mit der Polizei wurde sie nach hinten verlegt – um den Verkehr und den Handel am Einkaufssonntag nicht zu stören, so die Begründung der Polizei.
Organisator Landau ist dennoch zuversichtlich, dass genügend Menschen teilnehmen – obwohl viele die Lockdowns und Ausgangssperren bereits verinnerlicht hätten. Dazu kommt: „Die Menschen gehen eher aus Protest als für ein Anliegen auf die Straße.“
Unterstützt wird die Aktion #Yes we care von allen Seiten des politischen Spektrums: Von Gewerkschaft, Attac, Volkshilfe bis Israelitischer Kultusgemeinde, Ärztekammer oder Bundeskanzleramt. Was nicht nur auf Begeisterung stößt: Das Gesundheitspersonal brauche bessere Arbeitsbedingungen und „keine Kerzerln“, schreibt ein User auf Twitter.
Dennoch: „Wir freuen uns über jede Unterstützung, von links bis rechts, so weit es halt geht“, sagt Landau und erzählt von einer älteren Dame, die erklärtermaßen „noch nie auf einer Demonstration gewesen ist, aber bei unserer Aktion heute mitmacht.“
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