Ein Sommernachtsmord: Der Fall Helmut Gostentschnigg
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2015 erwachte in Graz Kehlberg kurz vor Mitternacht ein Paar in seinem Einfamilienhaus. Von draußen kamen seltsame Geräusche, die die beiden zunächst nicht zuordnen konnten. Sie standen auf, drehten das Licht auf und näherten sich der Terrassentüre. Draußen sahen sie die schemenhaften Umrisse eines Mannes am Boden. Als sie die Türe öffneten, erkannten sie ihren Nachbarn, den 54-jährigen Helmut Gostentschnigg. Aus zahlreichen Verletzungen auf seinem Körper flossen große Mengen Blut.
Während seine die Frau die Rettung rief, versuchte der Nachbar Erste Hilfe zu leisten. Doch es war bereits zu spät. Helmut Gostentschnigg starb auf der Terrasse seiner Nachbarn, noch bevor die Einsatzkräfte erschienen. Seine letzten Worte: Jemand möge sich um seine 16 Katzen kümmern.
Was in dieser heißen Sommernacht vor fünf Jahren genau passiert ist, ist bis heute ungeklärt.
„In dieser Nacht ist das Opfer in seinem angemieteten Haus von einem bislang unbekannten Täter durch vier Messerstiche getötet worden“, erzählt Reinhard Nosofsky. Er ist Ermittler des Cold Case Managements im Bundeskriminalamt. „Das Opfer hatte in dieser Nacht die Haustüre zum Durchlüften geöffnet. Der Täter muss das Haus betreten haben und das schlafende Opfer unvermittelt attackiert und schwer verletzt haben.“
Cold-Case-Ermittler Nosofsky rekonstruiert den Tathergang
Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass die Stiche mit einer einschneidigen, etwa acht Zentimeter langen Klinge erfolgt sein mussten. Todesursächlich war schließlich inneres und äußeres Verbluten.
Obwohl sich Gostentschnigg danach noch zu den Nachbarn retten konnte, nannte er dort den Namen seines Mörders nicht. Warum? Kannte er den Täter vielleicht gar nicht? Das ist nur eines der vielen Rätsel in diesem Fall. Nicht nur vom Täter und der Tatwaffe, auch von einem möglichen Motiv fehlte zunächst jede Spur.
Die große Einsamkeit
Helmut Gostentschnigg, der kleine, tierliebe Mann mit dem kurzen grauen Haar und dem Tigerkopf-Tattoo auf dem Arm hatte weder Familie noch Freunde. Er arbeitete als Leiharbeiter und lebte zurückgezogen in dem kleinen weißen Haus in der ruhigen Nachbarschaft am Grazer Stadtrand – von Obstbäumen umgeben mit Blick auf Wald und Weinberge.
Dass der alleinstehende Mann dort sehr einsam gelebt haben musst, fiel auch der steirischen KURIER-Reporterin Elisabeth Holzer auf. Sie war im Jahr 2015 eine der ersten Journalisten am Tatort. "Es war nicht besonders aufgeräumt in dem Haus, man hätte nicht gemerkt, dass da jemals eine zweite Person gewesen wäre. Das Opfer hat sicher allein und sehr zurückgezogen gelebt, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er dort Gäste bewirtet hätte", erzählt sie. Generell sei auffällig gewseen, dass das Haus für die Gegend realtiv ungepflet war. "Es sind sehr viele Katzen herumgestreunt, es ist Katzenfutter herumgestanden an allen Ecken und enden, es war sehr viel altes Mobilar vor dem Haus", beschreibt Holzer die Szenerie, die sich ihr damals bot.
KURIER-Journalistin Holzer erinnert sich an den Fall
Weil Gostentschnigg beinahe überhaupt keine sozialen Beziehungen gepflegt hatte, erfuhren die Ermittler nur wenig Privates über das Opfer. Einzig, dass der Tote früher einmal im Rotlichtmilieu tätig war und im Raum Graz Zimmer an Prostituierte vermietet hatte, wurde schnell bekannt. Im Milieu soll er den Spitznamen "Tschechen-Heli" getragen haben. Einen Zusammenhang zwischen dem Mord und Gostentschniggs Vergangenheit soll es laut Polizei aber nicht geben. Denn: „Die Rotlichtvergangenheit dürfte sehr lange zurückliegen, etwa zwanzig Jahre bis zum Tatzeitpunkt“, erklärt Nosofsky.
Ein interessanter Hinweis tauchte schließlich auf, als die Ermittle die Nachbarn aus den umliegenden Häusern zu ihren Beobachtungen aus der Mordnacht befragten. Einige von ihnen gaben an, einen Mann auf einem Fahrrad vom Tatort flüchten gesehen zu haben. Eine Personenbeschreibung konnten sie aufgrund der Dunkelheit zwar nicht geben, eine Nachbarin sagte jedoch aus, schon Tage zuvor einen Fremden gesehen zu haben, der auf einem Fahrrad durch die Nachbarschaft fuhr und scheinbar etwas suchte. Sie beschrieb ihn als Mann mittleren Alters, etwa 1, 80 Meter groß, sportliche Figur und zurückgekämmtes längeres grau meliertes Haar.
Dieser Mann, vermutet die Polizei, könnte etwas mit dem Mord an Gostentschnigg zu tun gehabt haben. Vielleicht hatte er schon zuvor den späteren Tatort ausgekundschaftet und sich einen Fluchtweg überlegt?
Außerdem glauben die Ermittler, dass es eine Opfer-Täter-Beziehung gegeben haben muss, da der Täter sehr geplant vorgegangen sei. Und auch ein Raubmord ist ausgeschlossen – Geldtasche und Handy des Opfers blieben gut sichtbar am Tatort zurück.
Dass Gostentschnigg den Namen seines Mörders trotzdem nicht nannte, findet der Kriminalpsychologe Reinhard Haller nicht ungewöhnlich. Vielleich war ihm gar nicht klar, dass er sterben wird. "Opfer von Messerverletzungen sagen tatsächlich, sie haben gar nicht sonderlich viel gespürt. Das berühmteste Beispiel ist Kaiserin Sisi, die man in Genf erstochen hat. Sie nachher ihre Begleiterin gefragt, was der Mann eigentlich wollte, der war gar nicht klar, was passiert ist", erklärt er.
Keine Asse im Ärmel
Dennoch: Wenn es eine Opfer-Täter-Beziehung gab, dann muss es auch ein Motiv geben. Hier verfolgen die Ermittler des Cold Case Teams gegenwärtig einen speziellen Ermittlungsansatz: Lopoca.
Hinter dieser Bezeichnung versteckt sich eine Glücksspielplattform mit einer Lizenz aus Malta. Lopoca steht für Lotto, Poker und Casino. Gostentschnigg, wie auch sein verstorbener Bruder, dürfte auf der Plattform aktiv gewesen sein, wie die Polizei erfuhr.
„Lopoca ist eine online Spieleplattform, bei der man unterschiedliche Glücksspiele umsetzen kann. Grundsätzlich ist das etwas ganz Solides und vollkommen in Ordnung “, erklärt Wirtschafts-Experte Markus Miller, der auch als Wirtschaftsjournalist arbeitet und die Plattform http://www.geopolitical.biz gegründet hat. Dennoch wurden die Ermittler hellhörig, als sie von der Lopoca-Verbindung erfuhren.
Bub, Dame, König Tod
Der Grund dafür liegt im Vertriebsmodus der Plattform. „Lopoca setzt beim Vertrieb auf ein sogenannte Network Marketingsystem. Das heißt, man kann selber zum Vermittler von Glücksspieldienstleistungen werden, und dadurch zusätzliche Provisionen erzielen“, sagt Miller. Dabei würden die Vertriebspartner das enorme Verlustrisiko allerdings oft unter den Tisch fallen lassen. Er habe bereits von mehreren Fällen gehört, bei denen Mensch so um ihr gesamtes Erspartes gebracht wurden, erzählt Miller.
Dass Gostentschnigg als Vermittler für die Plattform tätig war, ist fix. Aber hat er jemanden angeworben, der in weiterer Folge sein Erspartes verloren hat? Hat jemand Helmut Gostentschnigg für seinen finanziellen Ruin verantwortlich gemacht und ihn deshalb ermordet?
Während diese Fragen offen bleiben, wächst in Graz Kehlberg weiterhin das Gras auf dem verlassenen Grundstück rund um das kleine Haus, in dem Helmut Gostentschnigg wohnte. Die Zufahrt ist mit Absperrband versperrt. Nur, dass heute noch viele Katzen ums Haus schleichen, erinnert an seinen ehemaligen Bewohner.
Hier geht es zum Podcast rund um den Mord an Helmut Gostentschnigg:
Hinweise bitte an das Bundeskriminalamt unter der Nummer: (01)24836/985025.
Folgen Sie Dunkle Spuren gerne auch auf Instagram, dort haben wir jede Menge zusätzliches Material für Sie. Hier entlang
Kommentare