Ein schweres Erbe: Welterbestätten droht der Verlust des Status
Wenn sich im September die internationalen Welterbehüter der UNESCO in Saudi Arabiens Hauptstadt Riad zu ihrer zwölftägigen Sitzung treffen, dann wird es ernst für Österreich. Oder, konkreter: für zwei seiner zwölf Welterbestätten.
Sowohl dem historischen Zentrum Wiens, als auch dem Neusiedler See drohen nämlich der Entzug des honorigen Titels, den weltweit derzeit 1.157 besonders schützenswerte Bauwerke oder Naturgebiete tragen.
Der Steppensee könnte von der UNESCO auf die „Rote Liste des gefährdeten Erbes der Welt“ gesetzt werden – eine Art Warnschuss.
Darüber ist man in Wien längst hinaus: Dem historischen Zentrum, das wegen des Hochhausprojekts am Heumarkt bereits seit sechs Jahren auf der Liste steht, droht im Herbst der endgültige Verlust des Titels.
55 Kandidaten auf der Liste
Allein sind die beiden Welterbestätten mit diesem Schicksal freilich nicht. 55 Orte weltweit stehen derzeit auf der Liste. Die Gründe reichen „von den Auswirkungen des Klimawandels bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen“, die den einzigartigen, universellen Wert der Stätten bedrohen, wie Florian Meixner von der Österreichischen UNESCO-Kommission sagt. Auf der Liste stehen etwa das afghanische Bamiyan Tal (in dem die Taliban Denkmäler zerstörten), der Garamba-Nationalpark im Kongo (dessen weiße Nashörner in Gefahr sind) sowie (ganz aktuell) die Altstadt der ukrainischen Stadt Odessa.
Die Probleme, deretwegen die beiden heimischen Stätten auf der Liste landeten, sind – salopp gesagt – weitgehend hausgemacht. In beiden Fällen sind es Bauprojekte.
Während man in Wien den geplanten Gebäudekomplex bereits mehrfach (halbherzig) redimensionierte und nun auf das Urteil der UNESCO wartet, steht am Neusiedler See ein heikler Besuch erst bevor. Für Juni wurde eine Expertengruppe der UNESCO eingeladen, „um sich Problemfälle vor Ort anzuschauen“, sagt Hannes Klein, Geschäftsführer des dortigen Welterbe-Vereins.
Ein Bauprojekt
Grund für die Eintragung in der Roten Liste könnte der niedrige Wasserstand sein. Dahinter steckt aber mehr: Im Fokus der Kritik steht ein Bauprojekt in Fertörákos. Auf dem einzigen größeren Strand auf der ungarischen Seite des Steppensees wird seit 2021 an einem riesigen Tourismus-Ressort gebaut, das Naturschützer erregt. Vor wenigen Tagen hat ein Gericht in Györ eine Umweltverträglichkeitsprüfung gekippt.
Aber auch die Bautätigkeit auf österreichischer Seite – dazu zählen neben Immobilien in Ufernähe auch Windkraftanlagen in der Region – wirken sich laut Klein negativ aus: „Irgendwann ist ein Kipppunkt erreicht. Dann ist die Idee der Welterbestätte nicht mehr gegeben.“
Zwölf in Österreich
Hierzulande gibt es zwölf Welterbestätten: die historischen Zentren von Wien, Graz und Salzburg, Hallstadt, die Semmeringeisenbahn, Schönbrunn, die Wachau, den Neusiedler See, die prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen, die alten Buchenwälder, den Donaulimes und Baden bei Wien als Teil der wichtigsten Kurorte in Europa
International
1.157 Stätten stehen weltweit auf der Liste. Darunter das Tadsch Mahal (Bild), die Chinesische Mauer und der Grand Canyon. Die meisten Stätten – nämlich 59 – befinden sich in Italien
1972ins Leben gerufen
Am 16. November 1972 verabschiedete die UNESCO das „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“. Auslöser war der Bau des Nil-Staudamms 1960, der am Ufer liegende Kulturstätten gefährdete. Seit 1993 gilt die Welterbekonvention in Österreich
Kultur und Natur
Die UNESCO unterscheidet beim materiellen Welterbe zwischen Kultur- und Naturerbestätten. Zudem gibt es seit 2003 ein Abkommen zum „Immateriellen Kulturerbe‘‘, das Bräuche schützen soll – in Österreich etwa die Goldhauben
Aberkennung
Erstmals entzog die UNESCO 2007 einen Welterbestatus: Weil der Oman die Oryx-Antilope nicht ausreichend schütze, verlor ein dortiges Reservat den Titel. Das Dresdner Elbtal traf es 2009 nach Errichtung einer vierspurigen Elbquerung
Ist es tatsächlich so schwer, die Stätten zu erhalten? „Je komplexer die Stätte, desto komplexer ist die Gemengelage an Aspekten, die es in die Zukunft zu tragen gilt“, sagt Meixner von der UNESCO. Im österreichischen Fall zeigt sich: Überall, wo Welterbestätten nicht vorrangig touristisch genutzt werden (und ihr Erhalt Selbstzweck ist), sondern wo Interessen aufeinandertreffen und es einen Nutzungsdruck unterschiedlicher Gruppen gibt, wird es schwierig. Und: Ein Ensemble oder gar eine ganze Region zu schützen, könne schwieriger sein, als ein Einzeldenkmal zu bewahren, sagt Meixner.
So hat man auch an fast allen Stätten eine differenzierte Haltung zum Welterbe.
Bringt der Status Touristen?
„Dass der Status allein die Touristen bringt, ist ein Irrglaube“, sagt etwa Dieter Hardt-Stremayr, Chef von Graz Tourismus. Früher habe man mit dem Titel für das historische Zentrum und Schloss Eggenberg intensiv geworben, nun nicht mehr. Es gebe „mittlerweile eine derartige Bandbreite an Orten, Klöstern, Tempeln auf der ganzen Welt“, die Welterbe sind. Das führe „auch zu einer Verwässerung“, sagt er. „Unendlich dürfen diese Listen nicht werden.“
Auch in anderen Welterbe-Arealen – in Baden, aber auch in der Wachau und in der Region rund um die Semmeringbahn – ist man sich einig: Die Voraussetzungen zu erhalten, erfordere „viel Aufmerksamkeit“, der Titel sei eine „Verpflichtung“. Oder, wie es der zuständige Badener Stadtrat Hans Hornyik formuliert: „Auch dort, wo es den Wunsch nach Veränderung gibt, muss man Versprechen halten, sonst fliegt man hinaus.“
Von Hallstatt bis Schönbrunn
Jede Stätte stehe „vor anderen Herausforderungen“, bestätigt Meixner. In Hallstadt wird man ihm beipflichten: Die Verleihung des Status führte dort einst zu noch mehr Besuchern (vor allem aus China). Im Jahr 2019 zählte man 145.000 Nächtigungen. Mehr „sollen nicht mehr kommen“, sagen die Gemeinde-Oberen.
Leichter tut man sich etwa in Schönbrunn – eine reine Touristenattraktion –, wo man den Titel als „Zeichen der Anerkennung“ wertet, wie Florian Felder von der Schönbrunn GmbH sagt. In Konflikt mit den Welterbehütern kommt man selten. Zuletzt hielt man Rücksprache, als vor dem Schloss ein neuer Busparkplatz gebaut wurde.
Noch weniger Sorgen um den Erhalt des Welterbes muss man sich am Attersee machen: Die dortigen Pfahlbauten sind im Wasser geschützt, Schlamm- und Schotterschichten bewahren die Siedlungsreste. Nur Motorboote können den Relikten gefährlich werden.
Ob abseits des historischen Zentrums Wiens und des Neusiedler Sees auch andere österreichische Stätten in Gefahr geraten könnten, wir sich übrigens bald weisen. Derzeit läuft in Europa das alle sechs Jahre wiederkehrende Reporting, bei dem alle Stätten umfangreiche Berichte liefern müssen.
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