Ein dritter Stich verletzte sie am Oberschenkel, ein vierter in der Brust. Als sie der Lehrling der Sennerei blutüberströmt fand, lebte sie noch. Er lief ins Nachbarhaus, um Hilfe zu holen. Doch kurz nachdem die Rettung eingetroffen war, starb die damals 32-Jährige und Mutter zweier Kinder.
Schon ein paar Stunden danach war sich die Polizei sicher, wer der Täter war. Nämlich jener 18-jährige Lehrling Martin K., der Hilfe geholt hatte. Es schien alles auf ihn hinzudeuten. Immerhin wurde Angelika Föger in seinem Zimmer – Martin K. wohnte auch im Betrieb – schräg gegenüber vom Büro gefunden. Er soll sie nach dem Angriff hinübergeschleift haben. Und noch am Weg zur Polizeiinspektion legte er ein Geständnis ab. Die Tat soll sexuell motiviert gewesen sein. Im März 1992 wurde Martin K. am Landesgericht Innsbruck zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt.
Doch Witwer Walter Föger glaubt bis heute nicht, dass Martin K. der wahre Mörder seiner Frau ist. Er spielte gerade Fußball, als die Polizei an jenem Tag zu ihm auf den Platz kam, um ihm die traurige Nachricht zu überbringen. „Ich habe gleich gewusst, dass etwas Furchtbares passiert ist. Aber ich habe eigentlich an einen Autounfall gedacht. Als sie mir dann gesagt haben, dass Angelika ermordet worden ist, hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, erzählt er.
Das Schlimmste stand ihm aber noch bevor: Er musste seinem damals achtjährigen Sohn und seiner sechsjährigen Tochter beibringen, dass ihre Mutter umgebracht worden ist. „Ich bin dagesessen und habe nicht gewusst, wie ich es ihnen erklären soll. Wie erklärt man so etwas?“
Die ersten Zweifel an der offiziellen Version kamen ihm während des Prozesses. Da stellte heraus, dass in Angelika Fögers Hand ein Büschel blonder Haare gefunden worden war. Diese hatte sie dem Täter wohl während des Kampfes ausgerissen. Doch: Der Lehrling hatte braunes Haar.
Auch der zeitliche Ablauf gab Rätsel auf. Beim letzten Stich wurde die obere Hohlvene verletzt. Wie schwer, ging aus dem Obduktionsbericht nicht hervor. Wenn sie durchstochen worden ist, wie die US-amerikanische Forensikerin Terri Haddix annimmt, hätte sie nur noch fünf Minuten überleben können. Offiziell aber lebte sie nach Beginn des Angriffs noch 30 Minuten. In dieser Zeit soll sie der Lehrling in sein Zimmer geschleift haben, ins Nachbarhaus gelaufen sein, die Rettung eingetroffen sein. Der letzte Stich wurde ihr demnach also zugefügt, als Martin K. bereits im Nachbarhaus war.
Und schließlich stimmten auch die Blutspuren am Tatort nicht mit der offiziellen Version überein. Zu dem Schluss kam zumindest der Forensiker Kenton Wong. Hätte der Lehrling Angelika Föger tatsächlich kurz nach dem Angriff in sein Zimmer geschleift, hätte das aufgrund der schweren Verletzungen eine massive Blutspur verursachen müssen. Auf den Tatortfotos ist davon aber nichts zu sehen. Darauf zeigt sich lediglich eine große Blutlache beim Schreibtisch, wo sie angegriffen worden ist.
Dass der Lehrling Martin K. sein Geständnis noch während des Prozesses widerrufen hatte, überraschte Witwer Walter Föger schließlich nicht mehr. Seine Zweifel hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon längst gefestigt. Ebenso wenig die zahlreichen Ermittlungsfehler, die zutage kamen. So wurden keine Fingerabdrücke von der Tatwaffe genommen und der Tatort schon ein paar Stunden nach dem Mord freigegeben.
„Vor Gericht war all das aber kein Thema“, sagt Föger. „Und der Gerichtsmediziner hat plötzlich behauptet, Angelika hätte sich die blonden Haare selbst ausgerissen. Dabei hatte sie durchgängig dunkelbraunes Haar.“ Es sei ihm so vorgekommen, als hätten die Behörden den Fall einfach nur schnell abschließen wollen.
Auch Martin K. konnte, nachdem er sein Geständnis widerrufen hatte, nichts zur Aufklärung der Unstimmigkeiten beitragen. Zum Zeitpunkt der Tat hatte er 1,8 Promille. „Er hat immer betont, sich an nichts erinnern zu können“, erzählt seine Schwester Simone K. Sie beschreibt ihren Bruder als liebevollen und fürsorglichen Menschen, der eine solche Tat niemals hätte begehen können. Er hätte es im ersten Moment nur zugegeben, weil er die Befragung schnell hinter sich bringen wollte. Nach dem Urteil beantragte Martin K. die Wiederaufnahme des Verfahrens, scheiterte aber. Danach gab er auf und saß seine Haftstrafe ab.
Walter Föger hingegen kann nicht aufgeben. Ihn quälen bis heute die offenen Fragen: Wieso scheinen die Spuren nicht zum Zeitablauf zu passen? Von wem sind die blonden Haare? Und wer sonst hätte ein Motiv gehabt, seine Frau zu töten?
Er glaubt, dass die Inhaber der Sennerei etwas mit dem Mord zu tun hätten. „Angelika war Buchhalterin. Vielleicht hat sie etwas in den Zahlungsvorgängen entdeckt?“, mutmaßt er. Außerdem habe der Sohn der Besitzer blonde Haare gehabt. Beweise für die Anschuldigungen hat er keine. Der Anwalt der Familie weist diese Vorwürfe zurück.
Immer wieder versuchte Föger herauszufinden, von wem die Haare stammen und beantragte einen DNA-Abgleich mit Personen aus dem Umfeld der Sennerei. Vergebens. Und als er Jahre später noch einmal anfragte, waren die Haare in der Gerichtsmedizin nicht mehr auffindbar. Eine KURIER-Anfrage dazu und den anderen Unstimmigkeiten blieb unbeantwortet.
32 Jahre nach dem Mord an seiner Frau ist Walter Föger immer noch den Tränen nahe, wenn er vor dem Haus mit den verstaubten Fenstern steht. Man sieht ihm an, wie ihn die Ungewissheit quält. Dieses Gefühl, dass der Mord an seiner Frau nicht aufgeklärt ist. Und der wahre Mörder noch frei herumläuft.
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