Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

Die Religionszugehörigkeit von Schülern ist oft Grund für Diskriminierung.
2018 wurden bundesweit 260 Fälle von Diskriminierung im Bildungswesen gemeldet. Deutschförderklassen waren mit ein Grund.

Im Werkunterricht sagt eine Lehrerin zu einem Schüler mit dunkler Hautfarbe: "Wenn du nicht handarbeiten willst, kannst du ja zurück nach Afrika gehen und dort verhungern."

Ein Biologie-Lehrer erklärt in der ersten Klasse AHS, dass es ein Gen gäbe, das manche Menschen intelligenter mache als andere. Europäer hätten es von Natur aus, Asiaten nur wenig und Afrikaner gar nicht.

Im Rechnungswesen-Unterricht an einer HAK beschimpft der Lehrer eine muslimische Schülerin wiederholt als "ISIS-Terroristin", als "Islamistin" und "Dschihadistin".

Oder - dieser Fall machte sogar Schlagzeilen - einer Professor der Fachhochschule des BFI Wien stellt folgende Prüfungsfrage: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein tschetschenischer Terrorist, uns man stellt sie vor die Wahl, einen russischen Panzer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny oder ein Kino in Moskau in die Luft zu sprengen. Was werden Sie tun? Begründen Sie Ihre Antwort in einem Satz."

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

IDB-Vorstand: Jenny Simanowitz, Sonia Zaafrani, Marlies Parchment und Persy Lowis-Bulayumi.

Fälle wie diese hat die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB) in ihrem Jahresbericht 2018 dokumentiert. Heute, Dienstag, präsentiert sie die Ergebnisse. Zu ihren zentralen Forderungen gehören das Aus für "sogenannte Deutschförderklassen" und eine Absage des ebenfalls von Türkis-Blau in die Wege geleiteten Kopftuch-Verbots an Volksschulen.

Religionsbekenntnis als Hauptmotiv

260 Fälle von Diskriminierungen im Bildungswesen wurden der IDB im vergangenen Jahr insgesamt gemeldet.

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

Das sind 87 Fälle mehr als noch 2017 - was einem Zuwachs von 50,28 Prozent entspricht. Was nicht bedeuten muss, dass 2018 tatsächlich mehr Diskriminierungen als im Jahr 2017 stattfanden - sondern nur, dass der IDB aufgrund zunehmend stärkerer Vernetzung mehr gemeldet wurden.

Die häufigsten Gründe für Diskriminierungen waren Religion (48%) und Ethnie bzw. Hautfarbe (45%). In 12 Fällen kam es infolge von Behinderungen zu Schlechterstellungen und in vier aufgrund von Sexismus.

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

Waren Religion bzw. Weltanschauung der Grund für die Diskriminierung, dann in den aller meisten Fällen (122 von insgesamt 126) wegen Islamfeindlichkeit.

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

In zwei Fällen war Antisemitismus der Grund. Wobei die Sichtbarkeit der Religionszugehörigkeit (Stichwort: Kopftuch bei muslimischen Schülerinnen) nicht immer ausschlaggebend war. Lediglich bei knapp einem Drittel der Fälle (36) war laut IDB äußerlich zu erkennen, dass die Betroffenen Anhänger einer bestimmten Religion waren. Viel öfter ging es um den Namen oder das Aussehen der Diskriminierungsopfer.

Wien hält Negativrekord

Im Vergleich der verschiedenen Schultypen liegen punkto Diskriminierungshäufigkeit die Volksschulen mit 72 Fällen (und 27,7%) an unrühmlicher erster Stelle. Dahinter folgen AHS mit 61 Fällen (23,5%), NMS mit 57 (21,9%) und Unis mit 39 (15%).

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

Im Bundesländervergleich liegt Wien mit 170 gemeldeten Diskriminierungsfällen (65,4%) vor Niederösterreich (37, 14,2%) und dem Burgenland (10, 3,8%).

Diskriminierung im Bildungswesen: Rekord bei gemeldeten Fällen

Nur in 51 von 260 gemeldeten Fällen gab es Konsequenzen für die Täter. Meistens deshalb, weil Zivilcourage geleistet wurde (73,5%). Bei den Folgen handelte es sich meistens um ein klärendes Gespräch mit Vorgesetzten, selten um einen Verweis oder eine Verwarnung.

Aus für Deutschförderklassen gefordert

Um die Situation nachhaltig zu verbessern, fordert die IDB zum einen ein Aus für die umstrittenen "sogenannten Deutschförderklassen" ab dem nächsten Schuljahr, weil es sich bei dieser Maßnahme von ÖVP und FPÖ um "eine massive Diskriminierung" der betroffenen Schüler handle, wie IDB-Sprecherin Sonia Zaafrani erklärt. "Die Kinder verlieren den Anschluss an ihre Mitschüler in ihren jeweiligen Altersklassen und werden zudem stigmatisiert", meint die Ärztin.

Wie berichtet, meinen zahlreiche Experten, das türkis-blaue Modell sei kontraproduktiv. Vom pädagogischen Standpunkt wäre es besser, die Kinder in ihrer Stammklasse zu belassen, wo sie sich durch die Kommunikation mit ihren deutschsprachigen Mitschülern und unterstützt von Förderlehrern die Sprache frei aneignen könnten. Zuletzt forderte auch Österreichs oberster Lehrer-Gewerkschafter - Paul Kimberger von der ÖVP-nahen "Fraktion Christlicher Gewerkschafter" (FCG) - die Abschaffung der Deutschförderklassen.

Zum anderen spreche sich die IDB gegen das "diskriminierende Kopftuch-Verbot an Volksschulen" aus, so Sonia Zaafrani.

"Mehr Lehrer mit Migrationshintergrund"

Weitere Forderungen der IDB sind eine umfassende Datenerhebung zum Thema Diskriminierungserfahrungen von Schüler*innen an öffentlichen Schulen in Österreich; die Schaffung einer unabhängigen Melde- bzw. Beschwerdestelle für von Diskriminierung betroffene Schüler*innen sowie die Einführung von Anti-Diskriminierungsbeauftragten an jeder Schule.

"Leicht und mit null finanziellem Aufwand" sei zudem die "Diversifizierung von Direktor*innen und Lehrer*innen" zu bewerkstelligen, meint Zaafrani. Das bedeutet: Nach Meinung der IDB sollten gezielt Pädagogen mit Migrationshintergrund und/oder Mitglieder religiöser Minderheiten sowie Personen ohne Bekenntnis eingestellt werden, weil das das Vertrauensverhältnis zu von Diskriminierung betroffenen Schülern begünstige.

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