Die Weltkriegsgranate, die aus dem See kam
Ruhig liegt das grüne Boot inmitten des Ossiacher Sees. Der Nebel hängt tief, die Sommerurlauber sind abgereist. Begonnen hat ihre Saison: Die der Männer auf dem grünen Boot. "Einmal im Jahr sind wir für sechs Wochen am Ossiacher See", erklärt Wolfgang Korner, während er locker eine rote Leine in Händen hält. Noch bevor der Leiter des Entminungsdienstes weitersprechen kann, wird dreimal daran gezogen – das Zeichen von Taucher Martin, dass er am Seegrund etwas entdeckt hat. Dieses "etwas" ist "eine 10,5-Zentimeter-Sprenggranate", erklärt Chef Korner, hievt das Kriegsrelikt wenig später an Bord und legt es neben Kollegen Andreas.
Urlauber starb
Es ist der Arbeitsalltag der Experten des Entminungsdienstes des Verteidigungsministeriums, der hier in Kärnten erlebbar wird. Dass das Interesse der Öffentlichkeit für die Arbeit der 15 Männer, die immer dann gerufen werden, wenn Bomben oder Munition aus den Weltkriegen zur Gefahr werden, heuer besonders groß ist, hat einen tragischen Hintergrund. Vor knapp zwei Wochen war ein deutscher Urlauber, der bewusst nach Kriegsrelikten im Ossiacher See getaucht hatte, bei der Explosion einer Handgranate gestorben.Korner und seine Männer überrascht dies nicht: "Wir können nur sagen: Finger weg, sonst sind sie weg", sagt der große Mann mit dem streng nach hinten gebundenen Pferdeschwanz.
Dass der Ossiacher See in der Szene der Kriegsrelikt-Fans eine besondere Rolle spielt, wird umso klarer, umso länger der 60-Jährige erzählt: 1.000 Waggons mit Munition seien nach Ende des Zweiten Weltkrieges am Villacher Bahnhof gestrandet. "In einem Gefangenlager in Treffen wurde die Munition bewacht. Nach Ende des Krieges musste sie verschwinden. Man hat schwimmende Brücken gebaut, ist mit Lkw darübergefahren und hat links und rechts die Munition in den See gekippt", sagt Korner, bevor die rote Leine wieder dreimal zuckt. Die Auswirkungen von einst gelangen in Form einer gut 20-Kilogramm-Granate an die Oberfläche.
Dass kein anderer See in Österreich so voller Kriegsrelikte ist wie der Ossiacher See, verdeutlicht der Umstand, dass er der einzige See der Alpenrepublik ist, an dem die Entminer jährlich fix Station machen. Sogar deutsche Tauchmagazine werben mit den "historischen Ansichten" unter Wasser. "Grundsätzlich kann nichts passieren, solange die Munition nicht manipuliert wird", sagt Taucher Andreas, der die Stellung ober Wasser hält.
Die Arbeit seines Kollegen Martin unter Wasser kann man sich so vorstellen: Der Taucher bewegt sich mehr oder minder auf allen vieren vorwärts. Sobald er mit den Füßen oder Händen auf etwas stößt, gräbt er aus dem knietiefen Schlamm aus, bindet es an die Leine und zieht dreimal daran. Alles bei einer Sichtweite von rund 40 Zentimetern. 45 Minuten dauert ein Tauchgang, drei bis fünf sind es täglich.
Wie Passanten reagieren, wenn sie die Entminer bei ihrer Arbeit entdecken? "Es kommt auf die Generation an. Wenn wir sagen, dass wir nach Munition tauchen, verstehen Ältere, was gemeint ist", sagt Korner. Und Kollege Andreas fügt hinzu: "Manche Junge können die Granaten aber auch ganz genau bestimmen, weil sie sie aus Videospielen kennen."
Keine Gefahr beim Baden
Angst vor dem nächsten Bad im Ossiacher See müsse keiner haben, betonen die Experten. Angst sei auch bei ihrer Arbeit fehl am Platz. Respekt hingegen stets vorhanden. Konzentriert wird jedes Mal die rote Leine eingeholt, sobald Taucher Martin das Zeichen gibt. Am Ende sind es 13 unterschiedliche Granaten, die im grünen Boot liegen. Sie werden in Niederösterreich kontrolliert zerstört werden.
Korner und seine Männer kommen nächstes Jahr am Ende der Badesaison wieder. "Die Arbeit geht uns hier nicht aus", sagt der Chef, während er die rote Leine in seinen Händen für heute ein letztes Mal zusammenrollt.
Fakten
2013 wurde der Entminungsdienst, der früher dem Innenministerium unterstellt war, dem Verteidigungsministerium zugeordnet. 15 Männer sind in ganz Österreich im Einsatz, es gibt drei Außenstellen in Wien, Graz und Hörsching.
Niederösterreich ist jenes Bundesland, in dem es im Jahr 2020 mit 603 Alarmierungen die meisten Einsätze des Entminungsdienstes gab. Gefolgt von der Steiermark mit 186, OÖ (128) und Kärnten (101).
26 Tonnen Kriegsmaterial musste alleine im vergangenen Jahr in ganz Österreich geborgen werden. Darunter 30 Streubomben und 18 Bombenblindgänger über 50 Kilo.
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