Der letzte Brief: Der ungelöste Mordfall Johann Fritz
Es ist kurz vor 10 Uhr am Vormittag, als Johann Fritz sein Fahrrad gegen die Wand lehnt und das vierstöckige Haus in der Schulgasse in Knittelfeld durch eine Tür im Innenhof betritt. So wie immer am Anfang des Monats trägt er auch an diesem Dienstag im Dezember die Pensionen aus.
Plötzlich trifft ihn ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Und noch einer. Und noch einer. Insgesamt zwölf Mal schlägt ein Unbekannter auf den Kopf des 57-Jährigen mit aller Wucht ein. Der Briefträger fällt blutüberströmt zu Boden. Der Täter packt ihn, schleift ihn hinunter in den Keller und reißt rund 80.000 Schilling (entspricht inflationsbereinigt 23.280 €) an sich.
Am Abend des 2. Dezember 1975 stirbt Johann Fritz im Spital an den schweren Kopfverletzungen. Wer dafür verantwortlich ist, ist bis heute ungeklärt.
Blutige Hose
Georg Tkaletz ist damals einer der ersten Ermittler vor Ort. Die Anhaltspunkte seien spärlich gewesen. Niemand habe etwas beobachten können, von Tatwaffe und Geld fehlt jede Spur. Bis der Polizei ein merkwürdiger Zufall in die Hände spielt. „Die Mutter eines Gymnasiasten aus dem Ort hat angerufen. Sie wollte Anzeige erstatten, weil die Hose ihres Sohnes von der Wäscheleine gestohlen worden ist“, sagt er.
Als die Beamten den Dieb in Knittelfeld aufgreifen, fällt ihnen sogleich der Blutfleck auf der gestohlenen Hose auf. Der erste Gedanke: „Wenn jemand einen blutenden Menschen unter den Achseln packt und Stufen hinunterzieht, könnten sich solche Spuren ergeben“, so der Ermittler. Die Untersuchung der Gerichtsmedizin bestätigt es: Es handle sich um Blut der Blutgruppe B, Rhesusfaktor negativ. Die gleiche wie die von Opfer Johann Fritz.
Da die Hose erst nach dem Mord gestohlen worden ist, gerät der Gymnasiast ins Visier der Ermittler. Zudem hat er kein Alibi. Zwar sollte er zum Zeitpunkt der Tat in der Schule sein, doch wirklich bestätigen können das weder Lehrer noch Mitschüler. Also kommt es zur Anklage, im Oktober 1976 findet der Prozess gegen den 18-Jährigen statt.
Jeder ist verdächtig
Die Familie von Johann Fritz sitzt damals in der ersten Reihe. Vor dem Prozess habe man auch sie wie Verdächtige behandelt. Der Sohn ist zum Zeitpunkt des Mordes 18 Jahre alt, seine Schwester 17. „Beim Verhör haben sie uns mit den absurdesten Sachen konfrontiert. Zu mir haben sie gesagt, ich hätte Geld für ein Auto gebraucht. Und meiner Schwester haben sie ein Verhältnis mit dem Tatverdächtigen nachgesagt“, erzählt Sohn Johann Fritz.
Dabei sei das Familienleben harmonisch gewesen. Aloisia Fritz beschreibt ihren getöteten Ehemann als sanften Vater. Und lustig sei er gewesen, auf Händen habe er sie getragen, sagt die heute 88-Jährige. „Der Mörder weiß nicht, was für einen wunderbaren Menschen er umgebracht hat.“
Beim Prozess hofft die Familie, endlich abschließen zu können. Doch nach sechs Verhandlungstagen wird der Schüler freigesprochen.
Wer brauchte Geld?
Die Beweise seien zu dürftig gewesen, meint Hans Tafner. Der ehemalige Kriminalbeamte und Autor hat sich viel mit dem Fall beschäftigt. „Das Blut auf der Hose hat man nie eindeutig dem Opfer zuordnen können. Und niemand hat den Gymnasiasten in der Nähe des Tatorts gesehen.“ Außerdem gebe es keinen Hinweis darauf, dass er Geld gebraucht hätte. Trotz Freispruchs sei er für viele in Knittelfeld der Mörder geblieben. „Das ist unglaublich.“
Wer aber hätte sonst ein Motiv gehabt? Der ehemalige Kriminalbeamte Tafner glaubt, es müsse jemand aus dem Ort gewesen sein. Ebenso sieht es Familie Fritz. Denn der Täter habe die Route des Briefträgers gekannt. Wusste, dass er das Haus stets durch den Innenhof betrat.
Um diese Frage nach 49 Jahren vielleicht doch noch zu beantworten, haben die Staatsanwaltschaft Leoben und das Bundeskriminalamt die Ermittlungen wiederaufgenommen. Bei der Spurenanalyse sind sie auf die DNA einer unbekannten, männlichen Person gestoßen. „Sie hat sich auf einem am Tatort sichergestellten Taschentuch befunden“, sagt Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwaltschaft Leoben. „Wir warten jetzt auf Vergleichsmaterial, das hoffentlich irgendwann einläuft.“ Lässt sich der Täter nämlich etwas zuschulden kommen, ergibt seine DNA-Probe einen Treffer. Zudem erhoffe man sich Hinweise auf Tatwaffe und Anzahl der Täter durch die computergestützte Analyse der Tatortfotos.
Das große Rätsel bleibt hingegen der Blutfleck auf der Hose. Die biologischen Spuren seien mittlerweile in einem so schlechten Zustand, dass man nicht mehr überprüfen könne, ob das Blut tatsächlich von Johann Fritz stamme.
Die Familie hofft derweil auf ein Geständnis. „Mein einziger Wunsch ist, dass der Mörder es nicht mehr aushält und die Wahrheit sagt“, so die Witwe. Erst dann könne seine Mutter in Ruhe sterben, sagt ihr Sohn beim Abschied.
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