Das Tiroler Venntal: Wo die Isolation Routine ist

Das Tiroler Venntal: Wo die Isolation Routine ist
Sechs Tiroler haben nicht nur in Corona-Zeiten im Grenzgebiet zu Italien ein ganzes Tal für sich allein.

Langsam erwacht im Venntal wieder das Leben. Jetzt im März meldet sich die Sonne zurück, die irgendwann im Spätherbst hinter den schroffen Berggipfeln verschwunden ist und das enge Tiroler Tal in den Wintermonaten finster und kalt zurückgelassen hat. Es wird noch einige Wochen brauchen, bis der ganze Schnee geschmolzen ist und die letzten Spuren des Winters beseitigt sind. Auf 1.400 Metern Seehöhe halten sich die Jahreszeiten nicht an den Kalender.

„Wir sind froh, dass wir uns hier so frei bewegen können“, sagt Rosi Kerschbaumer, „gerade jetzt.“ Jeden Tag spaziert sie mit Hund Fredy bis zum Talschluss, wo der mächtige Kraxentrager (2.999 Meter) über dem Tal thront. Sie muss nicht fürchten, dass sie bei ihren Ausflügen jemandem zu nahe kommen könnte. Neben Rosi Kerschbaumer leben derzeit nur noch fünf weitere Personen in den zwei entlegenen Höfen.

Das Tiroler Venntal: Wo die Isolation Routine ist

Grenzgänger

Das Venntal grenzt unmittelbar an Italien, das Land, das in Europa am meisten unter dem Coronavirus leidet. Obwohl die beiden Bauernhöfe zur Gemeinde Gries am Brenner gehören, ist seit jeher der Brenner der wichtigste Bezugspunkt der Menschen aus Venn. Seit Generationen reisen die Venner zum Sonntagsgottesdienst über die Grenze ins nahe „Ausland“, ihre Toten sind auf italienischem Staatsgebiet begraben, die vier Kinder von Rosi Kerschbaumer haben am Brenner den Kindergarten besucht. „Wenn wir Lebensmittel brauchen, kaufen wir sie dort ein.“

Kerschbaumer hat bereits im November jeweils 50 Kilo Mehl und Zucker besorgt. Sie legt diese Vorräte jedes Jahr an. Wenn die Lawinen von den Hängen ins Tal donnern, dann sind die Venner oft von der Außenwelt abgeschnitten. Der heurige Winter war mit knapp einer Woche Abgeschiedenheit ein harmloser, im Jänner 2019 war das Venntal gleich drei Wochen gesperrt.

Selbstversorger

Vielen Menschen in Tirol bereiten die strengen Quarantäne-Maßnahmen gerade enorme Probleme, für die Venner ist es Routine, isoliert und auf sich allein gestellt zu sein. „Wir sind es gewohnt“, sagt Rosi Kerschbaumer, die eine kleine Jausenstation betreibt. Die Tiefkühltruhen sind voll mit Wildfleisch, das Brot wird in traditioneller Manier im alten Ofen vor dem Bauernhof gebacken. „Wir haben immer alles hier, was wir brauchen.“

Das Tiroler Venntal: Wo die Isolation Routine ist

Rosi Kerschbaumer (re.) und Tochter Magdalena vor dem 400 Jahre alten Jagahof.

Mittlerweile klappt es im engen Tal auch mit dem Handyempfang und dem Internet. In Venn gab es nie ein Festnetztelefon, bei Notfällen wurde früher einer aus dem Tal Richtung Brenner geschickt, um Hilfe zu holen. Heute noch wird im 400 Jahre alten Jagahof ausschließlich mit Holz geheizt.

Für Langeweile haben die Venner dieser Tage keine Zeit. Benjamin, der Mann von Rosi Kerschbaumer, muss sich um seine Blobe-Ziegen kümmern und die steilen Felder von den Bäumen, Steinen und Tierkadavern befreien, die die Lawinen ins Tal befördert haben. „Wenn wir im Winter eingeschneit sind, ist es mühsamer, weil wir wegen der Lawinen nicht aus dem Haus dürfen“, erzählt Rosi Kerschbaumer. „Jetzt genießen wir es umso mehr, dass wir raus können.“

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