Ab jetzt wird heftig polarisiert

Ab jetzt wird heftig polarisiert
Es ist gut, dass auch in der Krise alles hinterfragt wird. Die Debatte darüber wird zunehmend härter und polarisierend geführt.

Beginnen wir mit einem Auszug aus unserer E-Mail-Box, in der im KURIER die Leserbriefe gesammelt werden.

Samstag, 9.30 Uhr:
Die Regierung hat es geschafft, die große Katastrophe abzuwehren. Die vom Hass auf Kurz zerfressenen politischen Gegner und Medien schießen sich auf die Maßnahmen ein, die das, bis jetzt, verhindert haben. Wenn jemand nicht zu 100 % auf der Hasslinie gegen Kurz ist, der wird gemobbt und ein Shitstorm gestartet.
Josef Leitgeb, Wien

Montag, 10.46 Uhr:
Warum lassen Sie keine öffentliche Diskussion zu mit Vertretern der Maßnahmen und deren Skeptikern, damit man sich ein Bild selbst machen kann, ohne Manipulation der Staatsmedien, die hauptsächlich die Narrative der Regierung bedienen und nur den Schein einer unabhängigen Kontrolle aufrecht erhalten.
Robert Heidenreich, Wien

Zwei Meinungen, zwei ziemlich gegensätzliche, zwei Beispiele von vielen. In den sozialen Medien werden die Konflikte hart, zum Teil gehässig geführt. Es ist oft ein Pingpong der Argumente, die Bälle sind Studien oder Statistiken – gepaart mit Selbstvertrauen in das eigene Wissen. Man hat das Gefühl, jeder Spieler habe den Doppeldoktor in Medizin mit Schwerpunkt Virologie und in Mathematik. Politikwissenschaft hat man ja ohnehin im Selbststudium mitgemacht.

Auch Journalisten und ganzen Medien wird vorgeworfen, in die eine oder andere Richtung zu ideologisieren. Einzelne Berichte, sogar einzelne Sätze, werden als Beispiele dafür herangezogen, dass man entlang der Regierungslinie schreibe. Andere wiederum als Beispiel dafür, dass man die Regierung nun mit kleinteiliger Kritik mies machen und von weiteren Großtaten abhalten wolle.

Die Frankfurter Allgemeine veranlasste das zur Feststellung: „Nur weil Sie es nicht gelesen haben, heißt das nicht, dass wir es nicht gebracht haben“.

Und auch auf die Politik schießt man sich ein. Wenn Sebastian Kurz auf CNN von Gesichtsmasken im Gasthaus spricht und später präzisiert, dass es nur um Personal und nicht um Gäste gehe, wird ihm das als unverzeihlich vorgeworfen (inklusive der Tatsache, dass er das überhaupt auf CNN erstmals sagte). Zitat: „Jetzt reicht es, ich werde mir sicher nicht das Gulasch durch die Maske saugen“. Und wenn Heinz Fischer in der Frage der Absage von Mai-Kundgebungen während der Tschernobyl-Krise in einer Live-Diskussion im ORF irrt, trifft selbst den Alt-Bundespräsidenten ein Shitstorm.

Phase der Polarisierung

Wir beginnen also in eine Phase einzutauchen, in der es nur noch schwarz oder weiß zu geben scheint. Der Bestsellerautor und Leiter des Rheingold-Instituts Stephan Grünewald spricht von einer „Phase der Polarisierung“, die nun anbricht. Nach den Wochen der unmittelbaren Bedrohung, in der die Staatsgläubigkeit in den Vordergrund gerückt ist, komme nun eine Phase, in der die Solidarität wieder schwindet. Der politische Prozess werde jetzt viel schwieriger. Das Wort Quarantäne komme ja von Quarante, und das sind 40 Tage, und diese Phase haben wir Ende dieser Woche erreicht. Es seien nun Perspektiven notwendig.

Die Polarisierung betrifft viele – eigentlich fast alle Facetten – der aktuellen Corona-Diskussion. Fünf davon seien hier exemplarisch erwähnt:

Öffnung vs. Shutdown

Diese Debatte wird gerade mit voller Wucht in Deutschland geführt. Da wollen einige Länderchefs rasch und weitgehend lockern, andere warnen massiv davor. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird für ihre Aussage von „Öffnungsdiskussions-Orgien“ (in geheimer Sitzung) unter Beschuss genommen. Orgien während einer Krise sagt man nicht, so die Kritiker.

In Österreich beginnt die Debatte über Schulöffnungen immer heißer zu werden. Und die Ausgangsbeschränkungen gelten ja vorerst bis Ende April. Ob im Falle einer Verlängerung die Volksseele weiterhin ruhig bleibt, ist mehr als fraglich.

Die Welt vs. Schweden

Das ist das Spielfeld der „Corona-Leugner“ gegen die „Autoritäts- und Obrigkeitshörigen“, wie sich die Gruppen gegenseitig verächtlich nennen. Es kann unmöglich einen Weg dazwischen geben. Auch der Regierung hierzulande wird zunehmend vorgeworfen, dem Land durch überzogene Maßnahmen zu schaden. Denn in Schweden, wo man kaum Restriktionen anordnete, gebe es auch sinkende Zahlen.

Übersehen wird dabei, dass mit Ausnahme einiger weniger Länder der Welt (Weißrussland, Brasilien) alle anderen auch auf den Shutdown setzen. Der Sieg gegen das nicht erschienene Phantom des Massensterbens wird angesichts von hohen Arbeitslosenzahlen und Pleitewellen aber schwierig zu „verkaufen“ sein. Schon der deutsche Virologe Christian Drosten sagt: „Es gibt keine Ehre für gelungene Prävention“.

Staat vs. Privat

Die einen übertreffen sich im Erfinden neuer Hilfsmaßnahmen für möglichst viele Branchen und neuer Steuervorschläge für Reiche, andere wie der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Eric Gujer warnen vor einem „Seuchen-Sozialismus“ und pochen auf das Prinzip der Selbstverantwortung. Die einen wollen, dass das Billionen-schwere Hilfspaket der EU von allen Ländern geschultert wird, die anderen sagen, Schulden solle der zurückzahlen, der sie auch gemacht hat.

Föderal oder zentral

Der Fall Ischgl ist Wasser auf die Mühlen jener, die schon immer wussten, dass föderale Entscheidung ins Verderben führen. Als hätten bundesstaatliche Behörden noch nie eine Lage falsch eingeschätzt. In Deutschland singt man hingegen das Loblied auf den Föderalismus. Nur dadurch habe man die Krise besser bewältigt als das zentralistisch organisierte Frankreich.

Studie A vs. Studie B

Über nichts kann man trefflicher streiten als über Studien, die man selbst nicht gelesen hat. Jeder Tag bringt eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Behauptungen, die oft ungeprüft zitiert werden. Das gleiche gilt für Statistiken. So leiten viele aus gleichen Charts völlig unterschiedliche Aussagen ab. Meist jene, die zur Untermauerung des eigenen Standpunkts dienen.

Für diese gegensätzlichen Paare fehlt oft das Maß und die Mitte. Und die Weisheit Goethes, die der frühere KURIER-Chefredakteur Peter Rabl auf Twitter geteilt hat: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“ Zum Glück aber das Wissen auch.

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