Corona-Krise: Häusliche Gewalt steigt verzögert an
Woche vier der Ausgangsbeschränkungen hat begonnen. Und damit für viele Frauen die vierte Woche in Folge, in der sie gezwungen sind, mit einem Partner unter einem Dach zu leben, der sie mit Gewalt bedroht. 961 Betretungs- oder Annäherungsverbote wurden im März ausgesprochen, das ist im Vergleich zu Jänner (937) und Februar (874) zwar nur ein geringer Anstieg. Aber dabei wird es nicht bleiben, wie Susanne Raab, Ministerin für Frauen und Integration, im Interview mit dem KURIER befürchtet.
„Derzeit haben viele Frauen aufgrund der Corona-Situation noch mehr Angst davor, ihre Beziehung aufzugeben, in ein Frauenhaus zu gehen oder ihren Partner anzuzeigen“, sagt Raab. Die Anzeigen würden zwar derzeit nur leicht steigen. „Aber wir beobachten eine enorme Zunahme der Anfragen an unsere Einrichtungen“, sagt Raab.
Experten rechnen damit, dass mit einer Rückkehr zur Normalität nach der Corona-Krise die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt massiv zunehmen werden. Derzeit würden viele Frauen diesen Schritt wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht wagen.
Mehr Beratungen
Untermauert wird diese Vermutung zum einen durch die Erfahrungen anderer Länder, die schon länger im Krisenmodus sind und einen deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt verzeichnen. In Frankreich nahmen die Anzeigen um 32 Prozent zu, in Spanien haben sich die Anfragen bei Beratungseinrichtungen verdreifacht. Zum anderen weisen die aktuellen Zahlen in Österreich in eine ähnliche Richtung. „Der Anstieg im März ist zwar nicht signifikant, aber wir erkennen eine Tendenz“, sagt Raab.
So sind die Anrufe bei der Frauen-Helpline um 71 Prozent gestiegen, insgesamt wurden im März 1.500 Anrufe verzeichnet. Fünf Prozent der Anrufer waren übrigens Männer, die sich Sorgen um Frauen oder Kinder in ihrem Umfeld machen.
Hilfe für Frauen
Unter der Telefonnummer 0800/222 555 helfen Experten rund um die Uhr Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Parallel dazu gibt es täglich von 15 bis 22 Uhr eine Online-Beratung unter www.haltdergewalt.at. Weitere Informationen, Hilfsangebote und Unterstützung gibt es auf www.frauenhelpline.at
Rat von Psychologen
Die Hotline des Berufsverbandes österreichischer Psychologen (BÖP) ist täglich von 9 bis 16 Uhr unter 01/504 8000 erreichbar. Geholfen wird auch unter helpline@boep.or.at
Auch andere Betreuungseinrichtungen melden in diesen Tagen erhöhten Beratungsbedarf. Dieser dürfte dann wiederum in einigen Wochen in einen starken Anstieg der Anzeigen münden.
Denn der Weg dahin sei ein längerfristiger, erklärt Raab: „Jetzt sehen wir, dass viele Frauen Hilfe brauchen und Beratung in Anspruch nehmen.“ Dadurch würde oft erst der Weg geebnet, sich zu einer Anzeige durchzuringen. Gerade in der Corona-Krise sei die Abhängigkeit vom Partner noch deutlicher spürbar. „Durch die Kombination der Risikofaktoren Überforderung durch Isolation, fehlende soziale Kontakte und Rekordarbeitslosigkeit entsteht eine Mischung, die viel Unsicherheit mit sich bringt“, sagt Raab.
Neue Kampagne
Unterschiede zwischen Land und Stadt gibt es nicht. Die Beratungsintensität ist nicht nur in Wien, sondern auch in den Bundesländern stark angestiegen. „Wir müssen sehr wachsam sein“, warnt Raab und verweist gleichzeitig auf freie Kapazitäten in den Frauenhäusern. Diese haben trotz Corona-Krise nämlich ganz normal geöffnet.
Sollte es in einer Einrichtung zu einer Infektion mit Covid-19 kommen, würden in allen Ländern Ersatzquartiere bereitstehen. „Meine Botschaft ist: Keine Frau ist allein. Frauen und Kinder, die von Gewalt bedroht sind, bekommen Unterstützung. Plätze in den Frauenhäusern sind ausreichend vorhanden“, sagt Raab und appelliert an die Zivilcourage der Bevölkerung: „Wenn man zu Hause Gewalt beim Nachbarn wahrnimmt oder sich Sorgen um Frauen oder Kinder in seinem Umfeld macht, dann bitte die Helpline oder Polizei anrufen. Sicher ist sicher.“
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