Wiederkehr: "Ungeeignete Lehrkräfte soll man kündigen dürfen"
Als Wiener Bildungsstadtrat kann Christoph Wiederkehr einiges gestalten, aber ihm sind auch Grenzen gesetzt – etwa durch Bundesvorgaben. In seinem Buch „Schule schaffen“ skizziert er, wie er sich ein Bildungssystem vorstellt, das Antworten auf die Herausforderungen der Zeit hat.
KURIER: Angenommen, Sie wären Bildungsminister. Was würden Sie zuerst angehen?
Christoph Wiederkehr: Mich bewegt aktuell das Thema demokratische Grundwerte am meisten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir in 20 Jahren noch in einem demokratischen, freien Europa leben werden. Damit das so bleibt, müssen jetzt die Weichen gestellt werden – und das viel stärker in der Schule. Wir sollten dazu ab der Volksschule ein eigenes Fach „Demokratie“ einführen, auch weil ich zunehmende kulturelle Konflikte sehe. Es gibt aber noch zwei weitere Punkte, die ich sofort angehen würde.
Welche sind das?
Wir müssen die Schulen, die besondere Herausforderungen haben, von Bundesseite besser unterstützen. Da gibt es Modelle wie einen Chancenindex, den es in anderen Ländern gibt. Dort bekommen Schulen an herausfordernden Standorten mehr Geld. Das aktuelle System ist extrem unfair. Ein Kind in Ottakring bekommt weniger Geld als eines am Wörthersee. Dritter Punkt ist ein mittleres Management, das sofort umsetzbar wäre. Gerade in den Pflichtschulen braucht es neben der Direktion eine Lehrkraft, die die eigene Aufgabe bekommt, um die Schule weiterzuentwickeln. Wir haben Schulen mit über 150 Lehrkräften. Es kann nicht sein, dass eine Direktion kein mittleres Management hat.
Probleme bereiten reaktionäre muslimische Familien, in denen die Kinder aufwachsen. Reicht Demokratieunterricht als Ausgleich?
Er ist eine wichtige Voraussetzung – je jünger die Kinder, desto mehr entwickeln sie sich noch. Wir müssen aber auch das Elternhaus einbeziehen: Ich erlebe, dass manche zugewanderte Männer nicht mit weiblichen Lehrkräften reden. Das ist inakzeptabel. Ich bin hier für klare Sanktionen: Wenn Eltern nach Suspendierungen Gesprächsangebote der Schulen nicht annehmen, muss es Strafen geben, die man spürt – bis zu 1.000 € Verwaltungsstrafe etwa. Dafür bräuchte es eine bundesgesetzliche Änderung – im Regierungsprogramm steht interessanterweise, dass man Elternarbeit stärker einfordert.
Die Grünen lehnen Strafen ab und fordern eine Schule, in der sich Eltern willkommen fühlen.
Mein erstes Projekt als Bildungsstadtrat war, Elternarbeit zu forcieren. Manche Eltern haben eine Barriere, die wir ihnen nehmen müssen, etwa mit Elterncafés. Es ist aber lebensfremd, zu glauben, dass bei extremistischen Anschauungen mehr Freiwilligkeit etwas bringen wird. Ich habe freiwillige Deutschkurse im Sommer eingeführt – fast 3.000 Kinder profitieren davon. Wir haben aber Eltern, die lieber neun Wochen Urlaub im Ursprungsland machen, wo die Kinder gar nicht Deutsch reden. Hier sollte es die Möglichkeit geben, dass die Kinder verpflichtet werden, um im Sommer Deutsch zu lernen. Schließlich es geht um deren Bildungschancen.
Deutsch sollte man vor Schuleintritt beherrschen. Sie sind für die Kindergärten zuständig.
Ich sehe es ein bisschen größer: Die Probleme, die es auf der Welt gibt, spiegeln sich in der Schule wider. Themen wie Gewalt oder schlechtere Deutschkenntnisse haben auch mit globalen Krisen zu tun – Ukraine, Nahostkonflikt, Familienzusammenführung etc. Wir haben im letzten Schuljahr 4.000 Kinder gehabt, auch im Kindergartenalter, die über die Familienzusammenführung kommen. Viele von denen, die kein Deutsch sprechen, sind in Wien geboren. Der Grund: Die Anzahl der Kinder, die im Kindergarten nicht Deutsch können, ist manchmal eine so große Herausforderung, dass innerhalb von ein, zwei Jahren der Deutscherwerb nicht möglich ist. Wir bauen die Sprachförderkräfte deshalb massiv aus.
Sie fordern die Abschaffung der Bildungsdirektionen. Warum?
Ihre Konstruktion ist ein Problem, weil sie eine gemischte Bund-Land-Behörde sind. Dadurch gibt es viele Problemstellungen, wo der Servicecharakter gegenüber Lehrkräften viel besser werden muss. Ich würde die Behörde ganz auflassen und dafür den Schulen mehr Autonomie gewähren.
Heftige Kritik üben Sie auch an der Lehrergewerkschaft.
In Wien habe ich sie als destruktiv und in vielen Bereichen nicht kooperationsfähig erlebt. Meine erste vertrauliche Besprechung als Stadtrat war in der Pandemie zum Thema: „Wie können wir die Schulen offenhalten? Das war mir unglaublich wichtig, weil jeder Tag geschlossene Schule ein bildungspolitisch verlorener war. Die Lehrergewerkschaft ist zu dem Termin nicht einmal gekommen. Gleichzeitig werden aus parteitaktischen Gründen Interna an die ÖVP kommuniziert.
Sie wollen die Volksschulzeit auf sechs Jahre verlängern, „weil diese Schulform funktioniert“. Glauben Sie das wirklich?
Ich bin überzeugt, dass im Bereich der Volksschule viel Gutes passiert. Dort gibt es viel Innovation und Pädagoginnen, die eine sehr offene Geisteshaltung haben. Das Problem: In der 4. Klasse Volksschule haben wir einen Ausnahmezustand für alle Betroffenen – für die Kinder, die unter Druck gesetzt werden. Für die Eltern, weil sie wollen, dass die Kinder aufs Gymnasium kommen. Und für die Lehrer, weil die Eltern Druck machen. Das heißt, wir haben ein System mit einer frühen Trennung zwischen Gymnasium und Mittelschule, die für alle im System schlecht ist. Eine verlängerte Volksschule würde das entschärfen und die Bildungsgerechtigkeit verbessern.
Die Eltern würden da wohl nicht mitmachen.
Es ist der einzige Lösungsweg, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu kommen, ohne die in Österreich festgefahrene Diskussion der gemeinsamen Schule wieder aufzumachen. Zwei Jahre mehr Volksschule sind für die Kinder auch aus entwicklungspsychologischer Sicht gut.
Was schmerzt Sie als Bildungsstadtrat am meisten?
In Österreich wird kaum über Bildung diskutiert, was eine Schande und ein Riesenproblem ist. Bildung ist das Wichtigste, was wir als Gesellschaft haben, auch für die Zukunft. Aufgrund der Defizite im System wird oft den Kindern die Schuld gegeben. Da müssen wir eine positive Vision zeichnen, mit dem Ziel, dass Kinder gerne in die Schule gehen. Mein Buch ist ein Appell an meinen Optimismus.
Ohne gute Lehrpersonen wird das nicht gehen.
Wir müssten in der Ausbildung viel ändern. Worum geht es heutzutage als Lehrkraft? Es geht vor allem um Pädagogik und Didaktik. Fachwissen braucht man, aber viel wichtiger ist, wie ich mit den Kindern umgehen kann. Habe ich eine Beziehungsebene? Kann ich ihre Talente fördern? Ich bin dafür, dass die Schulen volle Personalhoheit haben und Lehrkräfte selbst einstellen. Das bedingt auch, dass die paar Pädagogen, die nicht geeignet sind, gekündigt werden können. Das möchte ich klar festhalten. Es ist in kaum einem Beruf so schwer wie bei Lehrkräften, einen Vertrag aufzulösen, auch bei nicht bestehender Leistung. Die Direktion – natürlich mit einer gewissen Kontrollinstanz – muss die Autonomie haben, über das eigene Personal zu entscheiden. Damit könnte Schule viel besser werden.
Buchtipp: Christoph Wiederkehr, „Schule schaffen“, Goldegg Verlag. 220 Seiten. 22,95 Euro
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