In der Nacht auf den 14. Oktober 2023 verschwindet eine 54-jährige Linzerin spurlos. Acht Monate später wird ihre Leiche gefunden. Sie war in einem Feld verscharrt worden.
Christa Pichler ist aufgekratzt am Abend des 13. Oktober 2023. Die 54-jährige Köchin aus Linz soll am nächsten Tag ihre neue Wohnung beziehen. Ein lange gehegter Wunsch geht in Erfüllung. Christa ist euphorisch. Gemeinsam mit einer Freundin zieht sie von Lokal zu Lokal. Es ist einer dieser Tage, an denen sie ihre „Turnpatschen“ anhat, wie es ihre Schwester Petra später formulieren wird.
Christa feiert ausgelassen, sie tanzt und singt. Es fließt Alkohol. Im Lokal „Raimundstüberl“ trifft sie auf ihre Schwester Elisabeth. Um Mitternacht ist Sperrstunde. Plötzlich steht ein Taxi vor dem Lokal und wartet auf die Köchin.
Abschied für immer
„Christa, wo willst denn jetzt hin?“, fragt Elisabeth. „In die neue Wohnung“, antwortet Christa. „Bring meine Schwester ja gut heim. Dein Gesicht merk ich mir“, mahnt Elisabeth noch den Taxifahrer. „Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“
Doch Christa will nicht nach Hause. Sie will weiter um die Häuser ziehen. Sie bittet den Fahrer, sie ins Lokal „Mon Bijoux“ zu bringen. Dort trifft sie auf einen Bekannten. Gemeinsam will man weitertrinken. Doch auch hier ist Sperrstunde. Wenig später ist die 54-Jährige nicht mehr erreichbar, ihre neue Wohnung wird sie nie beziehen.
Sorgen einer Mutter
Anfangs macht sich Christas Familie noch keine allzu großen Sorgen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Frau ein paar Tage abtaucht, wenn sie in Feierlaune ist. Doch spätestens nach drei Tagen kam Christa zu ihrer Mutter.
„Sie war mein Sorgenkind“, beschreibt Mutter Margot Reiter. „Sie ist halt oft fortgegangen und nicht heimgekommen. Christa, dir passiert einmal was, wenn du so weiter tust, hab ich ihr auch schon gesagt. Geh Mutti, mir passiert schon nichts, hat sie geantwortet.“ Die Mutter erstattet schließlich Vermisstenanzeige.
Doch auch die Polizei geht anfangs davon aus, dass Christa wohl bei Freunden weiterfeiert. Erst am 7. November werden Ermittlungen eingeleitet. Die Polizei geht von Freiheitsentziehung aus. „Die Polizei hat dann das ganze Umfeld ermittelt, hat geschaut: gibt es einen Anhaltspunkt, wo sich die Dame aufhalten hätte können?“, beschreibt Ulrike Breiteneder, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Linz.
Bezugspersonen wurden befragt, die letzten Stunden und Tage wurden rekonstruiert, Krankenhäuser kontaktiert. „Und nach dem Ausschlussprinzip war es dann irgendwann so, dass man sagt: Es ist naheliegend, dass hier was strafrechtlich Relevantes passiert ist.“
Das Wohnhaus in Ebelsberg
Der erste Weg führt die Polizei zu jenem Mann, den Christa in der Nacht auf den 14. Oktober im „Mon Bijoux“ getroffen hat. Er lebt in einer Wohnung in Linz-Ebelsberg. Ja, gibt dieser zu. Er sei im Anschluss noch mit Christa in seine Wohnung gegangen. Dort habe man noch gemeinsam Bier getrunken. Christa sei dann eingeschlafen. Am nächsten Tag, so schildert er der Polizei, habe sie sich verabschiedet und sei gegangen.
Die Polizei durchsucht seine Wohnung, auch Polizeihunde sind im Einsatz. Doch sie finden nichts Verdächtiges.
Ins Visier der Ermittler gerät gleichzeitig ein anderer Mann. Mit ihm wollte die Frau ursprünglich die neue Wohnung beziehen. Doch als er mehr als Freundschaft wollte, zerschlug sich dieser Plan. Zudem fanden sich auf seinem Handy unzählige Fotos der Frau. „Weil sie ständig ihr Handy verloren hat, hat sie mich gebeten, dass ich Fotos von ihr mache für ihre Familie“, erklärt er bei seiner Polizei-Einvernahme. Derartige Fotos kamen bei der Familie allerdings nie an.
Monate vergehen. Noch immer gibt es kein Lebenszeichen der Frau. Die Familie will nicht mehr untätig abwarten. Sie beginnt selbst damit, die zweifache Mutter von zwei erwachsenen Kindern zu suchen. Flussufer werden abgegangen, auch der Fußweg vom „Mon Bijoux“ zur Wohnung in Ebelsberg. Selbst Hellseher werden zurate gezogen. In den Sozialen Medien werden Aufrufe gestartet.
Am 18. Mai 2024 taucht plötzlich ein neues Facebook-Profil der Frau auf. Am Profilbild ist Christa Pichler im Bikini zu sehen. Dazu ein Hilferuf: „Bitte hilft (sic!) mir!!!“
Angeblicher Hilferuf
Damit nicht genug. Von dem Profil werden Verwandte angeschrieben. Darunter auch Margot Reiter, die Mutter. „Ich sitze im Ausland fest und komme nicht weg. Ich habe mich in einen falschen Mann verliebt, der mir ohne zu fragen, den Ausweis weggenommen hat und mit mir nach Bulgarien gefahren ist und mich verkaufen wollte. Ich war zwar bei einer Sekte, aber war immer nur eingesperrt und habe mich gewehrt, mit anderen zu schlafen. Ich bin jetzt endlich entkommen und brauche aber dringend Geld, damit ich wieder nach Hause kommen kann“, lautet die Nachricht. „Ich habe schon geglaubt, dass die von Christa stammt“, sagt die Mutter.
Überdosis
Doch wenig später ist alles anders. Am 18. Juni 2024 wird die Leiche von Christa Pichler in einem Feld in Ebelsberg gefunden. Nur 300 Meter von der Wohnung entfernt, in welche die Frau in der Nacht auf den 14. Oktober noch mit dem Bekannten ging. „Ja“, gibt dieser schließlich zu. „Christa ist in meiner Wohnung gestorben.“ Er habe Panik gehabt, die Rettung zu rufen, habe sie dann geschultert und eingegraben.
Christa, so stellt später ein Gerichtsmediziner fest, starb an einer Überdosis Substitol, das sie intravenös zu sich genommen hatte. „Ich habe ihr nichts gegeben, habe ihr nicht dabei geholfen“, beteuert der 44-jährige Mann.
Am 19. November wird ihm im Landesgericht für Strafsachen in Linz der Prozess gemacht. Er ist wegen Imstichlassen einer Verletzten mit Todesfolge und Störung der Totenruhe angeklagt. Zu dem Prozess sind viele Familienangehörige der Frau gekommen. Sie glauben der Geschichte des Angeklagten nicht.
„Schau, was du uns angetan hast“, schreit eine Schwester dem Mann nach, der seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hat. Der drogensüchtige Angeklagte bleibt bei seiner Version, die so viele Fragen offenlässt. Wie soll es der schmächtige Mann im berauschten Zustand geschafft haben, die tote Frau alleine so weit zu tragen und dann auch noch mitten in der Nacht ein 1 Meter tiefes Grab auszuheben? „Ich weiß nicht wie, ich habe es halt gemacht“, erklärt er bei seinem Prozess.
„Er hat in dieser Nacht alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, sagt der Staatsanwalt. Anstatt dem Rat eines Freundes zu folgen und die Rettung zu rufen – er telefonierte drei Mal in der Nacht mit ihm – sah er der Frau beim Sterben zu. „Ich dachte, sie schläft sich nur ihren Rausch aus“, meint der Mann.
Zwei Jahre hinter Gittern
Die Richterin verurteilt ihn schließlich zu sechs Monaten Haft. Zudem wird eine ältere, teilbedingte Strafe in eine unbedingte umgewandelt. Insgesamt muss der 44-Jährige nun zwei Jahre hinter Gitter.
Für die Familie ist das kein Trost. Nach dem Prozess kochen die Emotionen hoch. Der Neffe des Angeklagten wird von Familienangehörigen zur Rede gestellt. Er hatte der Polizei den Tipp gegeben, was mit Christa passiert ist. Auch beim Prozess ist er Zeuge. Doch für die Familie ist er ein möglicher Komplize. „Warum lügst du?“, wird er gefragt. „Ich lüge nicht!“, schreit er. Die Familie glaubt ihm nicht.
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