Seine Kopfhaut war von Wanzen zerfressen, fließendes Wasser oder eine Dusche kannte er nicht. Ganz zu schweigen von körperlichen und mentalen Einschränkungen. Dass er heute so fröhlich durch die Gänge des Tageszentrums tobt, ist also alles andere als selbstverständlich. Auch für seine Mutter Vera*. Leicht fällt es ihr nicht, über die letzten Jahre zu reden. Einsamkeit und psychische Probleme prägten ihren Alltag. Fidans Vater hatte kein Interesse an seiner Familie, und auch sonst fand sie nirgendwo Halt. Sich um ihren Sohn zu kümmern, das wurde ihr mit einem gebrochenen Bein endgültig zu viel.
Bis sie vom Concordia Zentrum hörte, wo Fidan sechs Monate unter- und wieder auf die Beine kommen konnte. Heute ist Vera jede Woche im Tageszentrum, die Familie wurde wieder zusammengeführt. Und dank freiwilliger Helfer hat sie nun auch wieder eine Wohnung, die diesem Wort gerecht wird: Mit fließendem Wasser und warmer Heizung.
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Probleme, die in einem EU-Land eigentlich unvorstellbar sind. Aber Vera und Fidan sind bei Weitem keine Einzelfälle. Im Gegenteil; die Concordia und andere Hilfsorganisationen kämpfen in dem Land an vielen Fronten. Und gegen viele Vorurteile. Vor allem jene gegen die Roma-Gemeinschaften, die mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert sind.
"Teufelskreis durchbrechen"
„Es geht darum, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen“, sagt Bernhard Drumel, Geschäftsführer der Concordia. Will heißen: Menschen, die in Armut leben, werden selbst früh zu Eltern. Und die nächste Generation? Die wächst in ein Leben ohne Bildung, Perspektiven und Hoffnung hinein. Das gilt für Bulgaren ebenso wie für Roma. Wobei Letztere nicht nur in Armut leben. Was sie erleben, das ist wahres Elend – und das traurigerweise auch aufgrund der Regierung.
Eine von ihnen ist Vanja*. Sie lebt im kleinen Örtchen Malki Iskar, zirka 80 Kilometer von Sofia entfernt. Adresse? Hat sie keine. Denn die Wohnsiedlung, die sich die Roma-Familien dort aufgebaut haben, gibt es in den Augen des Staates nicht. In Bulgarien heißen diese Wohnsiedlungen Mahalas. Ein altes Wort für Nachbarschaft – das heute nicht mehr für Gemeinschaft, sondern für das Leben der Ärmsten der Armen steht.
Vanja, ihr Mann und ihre sechs Kinder leben in einem kleinen Ziegelbau. Aber die 30-Jährige hat mehr mit ihrem Leben vor. „Ich möchte nach Deutschland, wo meine Kinder ein besseres Leben führen können.“
Ausgrenzung mit System
Ein Traum, den viele Roma mit ihr teilen. Dafür arbeitet sie auch hart an sich: Sie will ihren Schulabschluss nachholen und den Führerschein machen. Und sie besucht das Concordia-Tageszentrum in der Nähe, wo sie Beratung findet.
Wobei: Arbeitskräfte und Menschen, die etwas aus sich machen wollen, könnte das Land mit seinem enormen Wirtschaftswachstum dringend brauchen. Stattdessen aber werden die Roma zum Spielball der Politik gemacht. Wofür es in den letzten Jahren auch ein Übermaß an Gelegenheiten gab: Seit April gibt es erstmals wieder eine Regierung, wenn auch eine instabile. Zuvor war seit 2021 fünf Mal gewählt worden, ein Land im Dauerwahlkampf. Und wer sich als Politiker gegen die Roma stellt, der kann sich der Stimme vieler Bulgaren sicher sein. Denn die Vorurteile gegen die Roma sind tief verankert. Bei den Bulgaren ebenso wie bei den Roma selbst, die ihre Rolle in Armut über Generationen erlernt haben: In den vergessenen Vierteln, unterhalb des Radars der Regierung und in den eigens für sie eingerichteten Gipsy Schools.
Ein Teufelskreis, der sich schon zu lange dreht. Aber auch einer, der durchbrochen werden kann. Und zwar von den Jüngsten der Gesellschaft, für die Bulgaren und Roma keine Kategorien sind. „Uns geht es darum, Kindern und ihren Familien zu einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen“, sagt Drumel. Ein Weg, der Zeit braucht. Und Erfolgsgeschichten. Wie jene von Fidan, der fleißig an seiner Zukunft baut. Nicht nur mit bunten Bauklötzen.
* Namen geändert
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