Tatsächlich waren die Anschlagswellen – es gab bis Dezember 1996 fünf Bombenserien – prägend für die österreichische (Kriminal-)Geschichte. Profiler und Kriminalpsychologen wurden eingesetzt, um die Tätergruppe zu fassen, die vermeintlich hinter den Anschlägen stand: Die „Bajuwarische Befreiungsarme“, kurz BBA, zeichnete verantwortlich für die längste Terrorwelle der Zweiten Republik – vorgeblich. Denn allen Mehrtätertheorien zum Trotz „ist Franz Fuchs die BBA, die BBA ist Franz Fuchs“, wie der Staatsanwalt knapp sechs Jahre nach der Detonation der ersten Briefbombe im Mordprozess festhalten sollte.
Zufall oder Taktik?
Franz Fuchs, ein eigenbrötlerischer Vermessungstechniker aus dem südsteirischen Gralla, wurde am 1. Oktober 1997 verhaftet. Auch ein Vierteljahrhundert später ist die eine Frage ungeklärt: Zufällig, weil er sich von zwei Frauen verfolgt fühlte, die mehrmals im Auto an dem Haus vorbeifuhren, in dem der 48-Jährige mit seinen Eltern wohnte? Oder wurde er durch Kriminaltaktik in die Enge getrieben?
Geklärt ist aber der Ablauf jener Nacht: Die beiden Frauen fühlten sich von einem weißen Mitsubishi verfolgt und alarmierten die Exekutive. Als Gendarmen den Wagen stoppten, stieg der Lenker aus – und zündete eine Sprengfalle. Franz Fuchs verlor dabei beide Hände und überlebte nach einer mehrstündigen Notoperation.
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August Janisch, sein erstes Opfer, schildert, er habe auch nach der an ihn adressierten Briefbombe „keine Angst“ verspürt. „Ich habe danach gewusst, ich muss noch mehr reden, es hat mich in meiner Arbeit bestärkt.“
Janisch war in den 1990er-Jahren sehr engagiert in der Flüchtlingshilfe, in der Zeit wurden erstmals Betreuer von Migrantinnen und Migranten in Hartberg angestellt und musten nicht ehrenamtlich tätig sein. Als das Geld dafür vom Bund eingestellt wurde, ärgerte sich der Pfarrer öffentlich, ein TV-Interview darüber könnte Fuchs auf ihn aufmerksam gemacht haben.
„Ein armer Mensch“
Als Fuchs verhaftet wurde, war Janisch bei einer Predigt in Oberösterreich. Vor der Kirche sammelten sich plötzlich Journalisten: „‚Sie haben mich gefragt, was sagen Sie, Herr Pfarrer?“ , erinnert sich Janisch. „Ich habe gesagt, er ist in meinen Augen ein armer, bedauernswerter Mensch. Ein Mensch, der sein Wissen, seine vielen Talente zu nichts gebrauchen konnte. Das ist doch armselig.“ Das sieht der 81-Jährige auch heute noch so. „Jeder Mensch will doch gebraucht werden, das liegt mir immer im Kopf, wenn ich an ihn denke.“
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Am 2. Februar 1999 begann im Grazer Straflandesgericht der Prozess gegen Fuchs. Bei der Vorführung aus der U-Haft schrie er permanent Parolen, weil er wusste, dass ihn der Schwurgerichtshof wegen Störung ausschließen würde. Auch das Urteil, gefällt am 26. Februar 2000, hörte er deshalb nicht im Gerichtssaal, sondern in der Zelle: Lebenslange Haft. Ein knappes Jahr darauf verübte Fuchs Suizid.
Pater Janisch versuchte, den Briefbombenbauer nach dessen Verhaftung zu besuchen. Doch Fuchs wollte den Kontakt nicht. Was der Pfarrer ihn gefragt hätte? „Nicht warum oder wieso, sondern ‚Wie geht’s Ihnen jetzt? Wie kann ich ihnen helfen‘“, betont Janisch. „Was sollte man denn sonst fragen?“
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