Briefbomben-Serie: Als der Terror ein Gesicht bekam
Am Ende war es dann doch nur einer.
Ein Einzeltäter, auch wenn er die BBA um sich erfand, die Bajuwarische Befreiungsarmee. Aber – so sollte der Staatsanwalt später beim Prozess festhalten: „Franz Fuchs ist die BBA. Die BBA ist Franz Fuchs.“
Vor 25 Jahren bekam der Terror, der am 3. Dezember 1993 mit den Briefbomben begann und letztlich vier Todesopfer und 15 zum Teil schwer verletzte Menschen forderte, ein Gesicht. Und einen Namen: Am 1. Oktober 1997 wurde Franz Fuchs, ein freischaffender Vermessungstechniker, im südsteirischen Gralla gefasst. Ob zufällig – weil er sich von zwei Frauen verfolgt fühlte, die nachts in einem Auto in seiner Nachbarschaft vorbei fuhren – oder gezielt – weil von Ermittlern und Psychologen taktisch in die Enge getrieben – ist bis heute ungeklärte Streitfrage.
Dezember 1993
Am 3. 12. werden August Janisch, Pfarrer in Hartberg, und ORF-Moderatorin Silvana Meixner durch Briefbomben verletzt, am 5. 12. trifft es den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk. Bomben an Terezija Stoisits, Johanna Dohnal, Helmut Schüller, Madeleine Petrovic, den slowenischen Kulturverein in der Steiermark sowie an eine Wiener Anwaltskanzlei werden abgefangen
August 1994
Der Polizist Theo Kelz
verliert am 24. 8. bei der Detonation einer Rohrbombe in einer Schule in Klagenfurt beide Hände
Februar 1995
Peter Sarközi, Josef Simon, Karl Horvath und Erwin Horvath werden am 4 .2. in Oberwart durch eine Rohrbombe getötet. Am 6.2. geht eine Bombe in einem Altstoffsammelzentrum hoch, ein Mann verliert eine Hand
Juni 1995
Arabella Kiesbauer ist Adressatin einer Briefbombe, eine Mitarbeiterin wird am 9. 6. beim Öffnen verletzt. In Linz wird die Inhaberin eines Partnervermittlungsbüros durch eine Briefbombe verletzt; am 13. 6. SPD-Geschäftsführer Thomas Rother in Lübeck
Oktober 1995
Am 6. 10. werden Maria Loley in Poysdorf und ein aus Syrien stammender Arzt in Stronsdorf durch Briefbomben verletzt
Dezember 1995
Zwei von vier Briefbomben detonieren am 11. 12. in einem Grazer Postkasten: Sie sind an das Wiener Büro des
Flüchtlingshochkommissariats, eine in Wien lebende indische Familie, Angela Resetarits sowie an ein Partnervermittlungsbüro
in Ungarn gerichtet
Dezember 1996
Eine Briefbombe geht an Lotte Ingrisch. Sie detoniert
am 9. 12. bei der Entschärfung durch die Polizei
Oktober 1997
Franz Fuchs wird verhaftet
Doch Fakt ist: Der damals 48-Jährige hatte eine Sprengfalle im Auto, als ihn Gendarmen anhielten. Denn die beiden Frauen, die sich ihrerseits von dem Mann im weißen Mitsubishi bedroht fühlten, hatten die Exekutive alarmiert. Zwei Streifenbeamte stoppten ihn, um eine Lenkerkontrolle durchzuführen. Fuchs stieg aus – und hielt ein Paket in der Hand: Eine Bombe, die er in dem Moment zündete, sprengte ihm die Hände weg und verletzte auch die Gendarmen, vor denen er noch flüchten wollte.
Nach 150 Metern und mehreren Warnschüssen ließ er sich festnehmen – erst in dem Moment bemerkten die Gendarmen, dass der Mann keine Hände mehr hatte. Fuchs wurde mehrere Stunden lang notoperiert und erhielt später Armprothesen, die er jedoch nie trug.
Das erste Opfer
Unter seinen ersten Opfern war August Janisch. Der Pfarrer aus der Oststeiermark wurde am 3. Dezember 1993 beim Öffnen seiner Post durch eine Briefbombe verletzt. Janisch’ erste Reaktion nach Fuchs’ Verhaftung 1997: „Das ist ein armer Kerl.“ Er habe Fuchs auch im Gefängnis besuchen wollen, verriet Janisch: „Aber er wollte nicht, er wollte niemanden sehen.“
Auch seinen Rechtsanwalt nicht, jedenfalls wollte er nicht mit ihm sprechen. Gerald Ruhri meldete sich freiwillig als Verteidiger in diesem Mordprozess, da war der damals 31-Jährige gerade erst ein paar Wochen eingetragener Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Graz. Rechtlich als Mitarbeiter des offiziellen Verfahrenshelfers – Fuchs wollte keinen Anwalt bezahlen, sondern bekam einen gestellt – führte Ruhri die gesamte Verteidigung. „Auch die Rechte eines Franz Fuchs waren zu würdigen“, begründet Ruhri sein Interesse an dem Fall, der natürlich auch „ein Karriereboost“ für ihn als jungen Anwalt gewesen sei. „Aber jeder hat das Recht auf eine angemessene Verteidigung. Ich verteidige ja nicht Verbrechen, sondern Menschen, denen man etwas vorwirft.“
Im Fall Franz Fuchs waren die Vorwürfe freilich erdrückend schwer. Seit Dezember 1993 gab es fünf Briefbombenserien mit Adressaten bis nach Deutschland und Ungarn sowie einen Rohrbombenanschlag im burgenländischen Oberwart, bei dem vier Menschen getötet wurden. Dutzende Bekennerschreiben wiesen auf eine größere Tätergruppe hin, die Bajuwarische Befreiungsarmee alias BBA. Als jedoch nach Fuchs’ Verhaftung am 1. Oktober 1997 dessen Zimmer – er wohnte bei den Eltern – durchsucht wurde, entdeckten die Kriminalisten nicht nur Baupläne jener Briefbomben, die seit vier Jahren im Umlauf waren. Sondern auch Rohre, Chemikalien, Sprengmittel – und Blumentöpfe, die bereits als weitere Sprengfallen präpariert waren.
Anwalt Ruhri verfolgte im Prozess jedoch als Verteidigungsstrategie die oft diskutierte Mehrtätertheorie. Der Jurist hält auch heute noch daran fest. „Davon bin ich überzeugt“, gesteht Ruhri zu. „Wenn man den Akt kennt, dann kann man sagen: Fuchs als Einzeltäter kann diese Dinge allein nicht zustande gebracht haben.“ Doch wie soll sich der als Eigenbrötler beschriebene Steirer in eine komplexe Gruppe eingefügt haben? Darauf habe er auch keine Antwort, so Ruhri.
Ein Staatsverweigerer
Antworten erhielt er übrigens auch von seinem Mandanten keine. „Wir haben normal geredet. Aber er hat mir nichts gesagt“, erinnert sich Ruhri. „Er hat den Staat abgelehnt, damit auch das Verfahren dieses Staates.“ An verhandlungsfreien Tagen habe Fuchs wissen wollen, wie er von Beobachtern eingeschätzt werde. „Aber zur Verteidigung kam nichts.“
Der Ablauf der Begegnung Anwalt – Mandant sei stets gleich verlaufen: „Er hat sich militärisch stramm hingestellt, wie ein Soldat beim Morgenappell und mich mit ‚Es lebe die BBA!‘ begrüßt“, erinnert sich Ruhri. „Meine Reaktion war einfach ‚Guten Morgen, Herr Fuchs‘.“
Mit „Es lebe die BBA“ quittierte Fuchs dann auch das Urteil, es wurde ihm neun Stunden nach der Verkündung in seinem Haftraum mitgeteilt: Fuchs hörte nicht zu, als es Richter Heinz Fuhrmann am 10. März 1999 um drei Uhr früh verkündete – lebenslange Haft wegen mehrfachen Mordes. Er verweigerte die Teilnahme am Verfahren und schrie permanent, sobald er in den Gerichtssaal geführt wurde. Ein taktisches Kalkül: Fuchs wusste, dass er wegen der Störung vom Richter ausgeschlossen würde. „Bei Fuchs war alles anders als bei anderen Fällen“, merkt Verteidiger Ruhri an.
Knapp ein Jahr später war Fuchs tot. Er erhängte sich im Februar 2000 in seiner Zelle.
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