Brief an 84-Jährige: Pensionistin sollte Straßen kehren

Die 84-Jährige Anna Wachterwar fassungslos und wandte sich an AKNÖ-Präsident Markus Wieser
Mindestsicherungsbezieher sind zu gemeinnützigen Hilfstätigkeiten verpflichtet / Gesetz unscharf formuliert

"Wie können die so was schreiben? Ich war baff." Anna Wachter aus Horn ist fassungslos. Anfang Februar erhielt die Mindestsicherungsbezieherin einen Brief von der Gemeinde, wonach im Ort "Bedarf an der Erbringung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten" bestehe. "Sobald wir eine konkrete Tätigkeit für Sie haben, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen", stand da geschrieben – unterschrieben vom Bürgermeister. Eine solche Verpflichtung zu beispielsweise der Straßenreinigung ist in Niederösterreich möglich, seit mit Jahresbeginn das Mindestsicherungsgesetz geändert wurde.

Das Problem dabei: Anna Wachter ist 84 Jahre alt, hat Pflegestufe 2 und benötigt einen Rollator. Sie erhält 480 Euro Unterhalt von ihrem Ex-Mann, den Rest auf die Existenzgrundlage von 890 Euro stockt sie mit Mindestsicherung auf. "Da hab ich blöd g’schaut. Bei so einer alten Frau. Ihr müsst doch was im Hirn haben, habe ich mir gedacht", erzählt sie. Sicherheitshalber meldete sich die Pensionistin bei der Gemeinde, denn in einem beigelegten Merkblatt stand, dass bei wiederholter Ablehnung die Leistungen bis zu 100 Prozent gekürzt werde. Dort wurde ihr mitgeteilt, es handle sich um einen Irrtum.

Die Familie schaltete dennoch die nö. Arbeiterkammer ein. Dort heißt es, es sei kein Einzelfall. Allein aus Horn hätten sich zwei Pensionistinnen und zwei Kranke gemeldet. Auch aus anderen Gemeinden gebe es Beschwerden.

AKNÖ-Präsident Markus Wieser fordert, derartige Praktiken abzustellen. "Es ist eine Unverfrorenheit, unkontrolliert solche Standard-Briefe zu verschicken. Die Vernunft sollte bei so einer sensiblen Sache siegen."

Das Problem in der Causa: Im Gesetzestext finden sich keine konkreten Einschränkungen, wer zu gemeinnützigen Hilfstätigkeiten vom Land oder den Gemeinden herangezogen werden kann, oder was zumutbar ist. Theoretisch könnte die Verpflichtung zu gemeinnützigen Hilfstätigkeiten Alte genauso betreffen, wie eine teilzeitbeschäftigte Verkäuferin, die ihr Gehalt aufstocken muss.

Tatsächlich obliegt es laut Experten der Abteilung Soziales im Land den Gemeinden, wen sie heranziehen – optimalerweise analog zu den Bestimmungen für die Arbeitsfähigkeit. Die Kommunen informieren dann die Behörde; diese beurteilt etwa, ob Tätigkeiten grundlos abgelehnt werden. So könnte künftig auch eine 20-Stunden-Kraft, die aufstocken muss, zum Parkreinigen beordert werden, heißt es. "Das alles wird man im Einzelfall beurteilen müssen", sagt Gerald Kammerhofer, Landesgeschäfstführer des nö. Gemeindebundes. Von Willkür will er nicht sprechen.

Im aktuellen Fall schickt der Horner Bürgermeister Jürgen Maier (ÖVP) für eine Stellungnahme seinen Stadtamtsdirektor vor, der von einem Fehler spricht. Man habe die Mindestsicherungsbezieher über die Gesetzesänderungen informieren wollen und dabei bei zwei Pensionistinnen das Geburtsdatum übersehen, sagt Matthias Pithan.

Fehler der Gemeinde

Es habe sich nur um ein reines Info-Schreiben gehandelt. "Es wird jedenfalls keiner verpflichtet", erklärt der Beamte. Und wenn doch, dann werde das individuell geprüft – auch bei Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigten. Auf welcher Grundlage entschieden wird, dass Pensionisten ausgenommen werden? Das sei dann der "reine Menschenverstand". "Wir haben die Grenze beim Pensionsalter gezogen."

Zumindest das Fingerspitzengefühl habe Maier laut dem zuständigen Landesrat Maurice Androsch verloren. Das könne nicht im Sinne des Gesetzgerbers sein."Ich sehe diesen Anlassfall als Auftrag, diesem Unfug Einhalt zu gebieten", so der SPÖ-Politiker. Morgen werde er mit den Experten der Fachabteilung Gespräche führen.

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