Wie Österreich seine wertvollen Böden verschwendet

Wie Österreich seine wertvollen Böden verschwendet
Seit 2000 wurde dreimal die Fläche Wiens verbaut. Schuld am "Flächenfraß" sind laut WWF-Bericht fehlende Verbindlichkeit bei Schutzzielen und Anreize.

"Die Politik hat beim Bodenschutz versagt" - so fasste WWF-Programmleiterin Hanna Simons die Situation in Österreich am Dienstagvormittag anlässlich der Präsentation des "Bodenreports 2023" zusammen. Alleine seit dem Jahr 2000 wurde in Österreich mit 1.300 Quadratkilometer mehr als dreimal die Fläche Wiens verbaut.

Anders gesagt, gehen pro Minute mehr als 100 Quadratmeter wertvoller Böden verloren. "Besonders alarmierend ist für uns, dass beim Neubau der Versiegelungsgrad gestiegen ist", sagte WWF-Bodenschutzsprecher Simon Pories. "Während wir vor wenigen Jahren hier noch bei 40 Prozent lagen, werden mittlerweile fast 60 Prozent der Neubauflächen auch wirklich versiegelt.“

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Die Folgen dieses verschwenderischen Umgangs mit den ohnehin raren Flächen können schnell existenzbedrohend werden, sagte der Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien: “Die Verbauung wertvoller Grünräume befeuert die Klimakrise und das Artensterben. Ein 'weiter wie bisher' wäre fatal.”

"Sägen am eigenen Ast"

Die Bundesländer und Gemeinden seien bei der Verbauung großzügig, aber zum Beispiel bei der Einrichtung von Schutzgebieten säumig. Ohne Trendwende wäre langfristig auch die Versorgungssicherheit bedroht, da viele Böden für die Lebensmittelproduktion verloren gehen und es immer weniger Rückzugsräume für die Natur gibt. “Wir sägen am eigenen Ast”, warnte Essl.

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  • Steiermark 3,1 Hektar pro Tag
  • Oberösterreich 2,3 Hektar
  • Niederösterreich 2,1 Hektar
  • Burgenland 1,2 Hektar
  • Kärnten 0,9 Hektar
  • Tirol 0,7 Hektar
  • Salzburg und Vorarlberg je 0,5 Hektar
  • Wien 0,1 Hektar

Insbesondere durch die komplette Versiegelung mit Beton oder Asphalt gehen überlebenswichtige Bodenfunktionen verloren. Das erhöht das Risiko für lokale Überschwemmungen, füllt die Grundwasservorräte weniger auf und führt im Sommer zu Hitzeinseln.

Sogar in Gemeinden mit sinkender Bevölkerungszahl kommt es zu Ausweitungen der Siedlungsfläche, weil Wohn- und Gewerbegebiete an den Ortsrändern entstehen. Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes werden manche Städte und Ortschaften ihren Flächenverbrauch bis 2050 fast verdoppeln und dann jeden Quadratmeter ihres Gemeindegebietes verbaut haben, wenn sie sich mit dem derzeitigen Tempo ausbreiten, sagte der Wissenschafter des Jahres 2022 Essl.

Negativbeispiel Wiener Neustadt

Besonders hohen Bodenverbrauch pflegt man in Wiener Neustadt (NÖ). "Wenn man weitermacht wie bisher, ist dort bis Ende der 2040er-Jahre alles bis an die Gemeindegrenzen komplett verbaut“, so Essl.

Wie Österreich seine wertvollen Böden verschwendet

Biodiversitätsforscher Franz Essl mit Hanna Simons und Simon Pories (beide WWF; v.l.)

Schuld an diesem Desaster wäre ein Fehlen von verbindlichen Bodenverbrauchs-Reduktionszielen, sagte Pories: "Es gibt eine Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes, es gibt ein österreichisches Raumentwicklungskonzept und eine Reihe von Strategiepapieren und Empfehlungen auf Landesebene, aber all diesen fehlt der gesetzlich verbindliche Rahmen“.

Es wurden zwar einzelne Maßnahmen gegen den Bodenverbrauch gesetzt, wie etwa kleine Änderungen in den Raumordnungsgesetzen, diese hätten sich jedoch als wirkungslos herausgestellt: "Sie kratzen gerade mal an der Oberfläche des Betons und werden der Dimension des Problems nicht gerecht.“

Bodenschutzgesetz gefordert

Der WWF fordert darum eine Reihe von Maßnahmen - und allen voran ein bundesweites Bodenschutzgesetz, das nicht durch Sonderbewilligungen und Ausnahmen aufgeweicht werden kann, sagte Simons. Zudem sollte man Subventionen abbauen, die Verbauung begünstigen (etwa durch Ökologisierung der Wohnbauförderung) und Flächeninanspruchnahme verteuern, zum Beispiel mit einer Versiegelungsabgabe.

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Aktuell sind in Österreich rund als 5.800 Quadratkilometer verbaut, das entspricht fast der Hälfte der Landesfläche von Oberösterreich. Die Flächen verteilen sich wie folgt:

  • 2.660 Quadratkilometer Bauflächen für Gebäude und ihre Nebenflächen
  • 2.100 Quadratkilometer Verkehrsflächen für Autobahnen, Straßen, Parkplätze und die Bahn
  • 390 Quadratkilometer für Erholungsflächen (zum Beispiel Schwimmbäder) und Abbauflächen etwa zur Rohstoffgewinnung und Deponien

Als Zwischenschritt wird außerdem die so lange angekündigte wie überfällige Bodenschutzstrategie von Landwirtschaftsminister Georg Totschnig (ÖVP) eingefordert. Wobei Simons gleichzeitig relativierte: "Die Informationen, die wir bisher haben, lassen leider die Befürchtung zu, dass es eine Kapitulation vor dem Flächenfraß wird."

Eine Befürchtung, die auf einem durchgesickerten Entwurf der Strategie basiert. Die darin enthaltenen Maßnahmen seien "weder ausreichend noch geeignet, um den Flächenverbrauch signifikant zu reduzieren", so Simons.

Bevölkerung will strengeren Schutz

Die Bevölkerung wäre jedenfalls dafür bereit: Im Herbst 2022 sprachen sich 82 Prozent der Menschen im Rahmen einer Befragung im Auftrag des WWF für "strengere Gesetze und Maßnahmen gegen die Verbauung der Landschaft und den Flächenverbrauch" aus. 81 Prozent wollen eine verbindliche Obergrenze für den Flächenverbrauch und 82 Prozent sind der Meinung, die Politik mache nicht genug gegen den Flächenfraß.

Unterdessen wird ungeachtet dessen fröhlich weiter betoniert. Die Anzahl der auf der grünen Wiese errichteten großen Fachmärkte und Einkaufszentren an Ortsrändern hat sich seit dem Jahr 2000 von 112 auf über 280 erhöht und damit weit mehr als verdoppelt, während die Ortskerne veröden. Mit rund 1,5 Quadratmeter Einkaufsfläche pro Kopf liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld.

Wie auch beim Straßennetz: Mit mehr als 14 Metern Straße pro Kopf liegt Österreich hier deutlich vor Deutschland und der Schweiz. Insgesamt beträgt die Länge des Straßennetzes bereits rund 128.000 Kilometer, "aber weite Teile der Politik fordern immer noch neue hochrangige Straßen", wie der WWF kritisiert.

Kritik kam von den Neos. "Bei der galoppierenden Bodenversiegelung tut sich nach wie vor viel zu wenig“, sagte Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard. „Im Durchschnitt versiegeln wir 11,3 Hektar pro Tag. Das entspricht einer Fläche von mehr als 15 Fußballfeldern. Schuld daran sind jahrzehntelange politische Versäumnisse,“ so Bernhard.

„ÖVP und Grüne müssen ihre ideologischen Scheuklappen abnehmen und endlich ernsthaft über Flächenwidmung sprechen. Denn die Bodenversiegelung ist das mit Abstand größte Umweltproblem, das wir in Österreich selbst lösen können.“

Die Liberalen fordern daher ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und einen bundesweiten Infrastruktur-Gesamtplan. Die Länder sollen dann die konkrete Entscheidungsebene für Flächenwidmung und Raumordnung werden.

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