Bodenverbrauch: NGO klagt Republik, Wissenschaftler fordern Strategie

Bodenverbrauch: NGO klagt Republik, Wissenschaftler fordern Strategie
Der anhaltende Flächenverbrauch gefährdet die Daseinsvorsorge, daher wird nun der Verfassungsgerichtshof eingeschalten.

Österreich geht viel zu verschwenderisch mit seinen Böden um und die Bundesregierung bekommt das Problem nicht in den Griff. Das ist die Ausgangssituation für gleich zwei Pressekonferenzen, die am Donnerstag über die Bühne gingen.

Geeint wurden die Veranstaltungen durch ihr gemeinsames Ziel, nämlich den ausufernden Bodenverbrauch einzugrenzen. Die Mittel unterscheiden sich jedoch deutlich: Während die NGO "AllRise" eine Staatshaftungsklage gegen die Republik sowie gegen die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich einbrachte, fordern 175 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ÖVP-Landwirtschaftsminister Georg Totschnig dazu auf, endlich die ausständige "Bodenstrategie" vorzulegen.

Die türkis-grüne Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Bodenverbrauch bis 2030 auf maximal 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen. Weil sich bis jetzt aber kaum etwas bewegt hat, ergreift die auf Klimaklagen spezialisierte NGO "AllRise" nun Rechtsmittel und brachte am Donnerstag beim Verfassungsgerichtshof eine Staatshaftungsklage gegen die Republik Österreich sowie die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich ein. Letztere, weil diese mit 2,5 bzw. 2,2 Hektar pro Tag jeweils so viel Boden verbrauchen wie eigentlich der Zielwert für ganz Österreich ist.

Verstoß gegen EU-Recht

"Wir glauben, dass der Kampf gegen die Klimakrise zu einem Gutteil auf den Gerichtshöfen stattfinden wird, weil wir einfach klare Entscheidungen brauchen und die Politik diese nicht liefert", sagte Initiator Johannes Wesemann.

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11,3 Hektar produktiver Böden werden Tag für Tag in Österreich verbraucht, rund die Hälfte davon wird auch versiegelt, sprich wasser- und luftdicht abgedeckt - etwa durch Beton. Die negativen Folgen sind vielfältig:

  • Versiegelter Boden kann kein Wasser mehr aufnehmen und speichern, was sowohl den Grundwasserspiegel senkt als auch die Gefahr von Überflutungen bei Starkregenereignissen erhöht.
  • Versiegelte Böden können kein CO2 mehr speichern, das befeuert die Klimakrise.
  • Versiegelte Böden können an heißen Tagen die Luft nicht mehr kühlen - und weil auf ihnen auch keine Pflanzen wachsen, wird der Hitzeeffekt zusätzlich verstärkt.
  • Der Flächenverbrauch ist einer der Haupttreiber der Biodiversitätskrise.
  • Weil wir momentan jedes Jahr 0,5 Prozent unserer Agrarfläche verlieren, steht die Lebensmittelversorgung auf dem Spiel.

"Boden erfüllt so viele Funktionen, dass seine übermäßige Vernichtung die Daseinsvorsorge in Frage stellt", fasst Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb zusammen.

Die Klage stützt sich insbesondere auf die fehlende Umsetzung diverser EU-Richtlinien, so etwa die Wasserrahmenrichtlinie, die Nitratrichtlinie, die UVP-Richtlinie oder die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie.

Fehlende Bodenstrategie

Auch die Zersplitterung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und damit einhergehend eine fehlende nationale Bodenschutzstrategie werden kritisiert: "Die Nicht-Umsetzung der genannten Richtlinien sowie die fehlende Abstimmung auf Bundesebene führte und führt zu immer neuen Genehmigungen von Bauvorhaben und überbordendem Bodenverbrauch", erklärte Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der den Schriftsatz formuliert hat.

Österreich sei darum bereits mehrmals von der EU-Kommission auf fehlende Maßnahmen hingewiesen worden, ein Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen in Milliardenhöhe drohen.

Bodenverbrauch: NGO klagt Republik, Wissenschaftler fordern Strategie

Wolfram Proksch, Helga Kromp-Kolb und Johannes Wesemann (von links)

Die ausständige Bodenstrategie, die bereits vor eineinhalb Jahren von Totschnigs Vorgängerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) angekündigt worden war, fordern auch 175 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief an Totschnig ein.

Lebensgrundlagen in Gefahr

Konkrete Maßnahmen und eine koordinierte Strategie des Bundes, mit der die Bundesländer stärker in die Pflicht genommen werden und Handlungsdruck von den oft überforderten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern genommen werde, seien überfällig, denn "ich will mir nicht vorstellen, wie Österreich 2050 sonst aussieht. Wir schneiden uns unsere Lebensgrundlagen ab", sagte der Ökologe und Bodenkundler Martin Gerzabek von der Universität für Bodenkultur am Donnerstag bei einem Pressegespräch des Wissenschaftsnetzwerkes Diskurs.

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Stattdessen werden täglich neue Flächen für Straßen und Gebäude versiegelt - obwohl Österreich bereits über eines der dichtesten Straßennetze Europas und die höchste Supermarktfläche pro Kopf verfügt.

"Umbauen sexy machen"

Auch im Wohnbau gebe es große Herausforderungen, betonte Gaby Krasemann, Expertin für Stadtplanung und Regionalentwicklung an der Universität Klagenfurt: "Es wird weiter eifrig gebaut. Wir müssen unsere Prioritäten ändern, wir müssen Umbauen sexy machen." Eine Forderung, die zuletzt auch der Baukulturexperte Robert Temel im Kontext der Reform der Wiener Bauordnung gegenüber dem KURIER äußerte.

Rückbau und Renaturierung von Flächen sei zwar ein gutes und wichtiges Ziel, bis jedoch Böden wieder ihre volle Funktionsfähigkeit zurückerhalten, brauche es Jahrzehnte, hieß es. Deshalb sei sowohl bei Industrie und Gewerbe wie beim Wohnbau Verdichtung und Nutzung der enormen Leerstände das wichtigste Thema.

Rund 40.000 Hektar, also Flächen in der Größe Wiens, würden derzeit in Österreich leerstehen, sagte Krasemann. "Und mit jedem Neubau erhöht sich dieser Leerstand."

"Vorweg: Unser Ziel muss sein, den Bodenverbrauch in Österreich zu reduzieren. Denn gesunde Böden sind die Grundlage für lebenswerte Regionen", sagte Minister Totschnig in einer Stellungnahme gegenüber der APA.

Nach wie vor arbeite die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) intensiv an der Fertigstellung der Bodenstrategie, die politischen Abstimmungen unter den Partnern seien schon weit fortgeschritten. "Der Termin zum Beschluss des Strategiepapiers im Rahmen einer politischen ÖROK Sitzung soll im ersten Halbjahr 2023 stattfinden. Wesentlich ist es, die regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen und gemeinsam mit Ländern und Interessensvertretungen eine zufriedenstellende Strategie auszuarbeiten", so Totschnig.

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