Bildungsdirektor Fritthum "Lehramt-Bachelor auf drei Jahre verkürzen"
Lehrermangel, Pandemiefolgen und Jugendliche, die sich beim Lesen und Schreiben schwer tun: Die Aufgaben, die der neue nö. Bildungsdirektor Karl Fritthum zu bewältigen hat, sind zahlreich. Mit dem KURIER sprach er über Lösungen.
KURIER: Sie sind der erste Jurist in dieser Funktion. Legen Sie Ihre Arbeit anders an als ein Pädagoge?
Karl Fritthum: Meine Funktion ist nicht die eines Oberpädagogen, der ins Klassenzimmer hineinregiert. Das ist auch gar nicht nötig, denn die Pädagoginnen und Pädagogen wissen selbst am besten, was ihr Schülerinnen und Schüler brauchen und welcher Unterricht für sie optimal ist. Ich sehe die Aufgaben der Bildungsdirektion darin, mit Hilfe unserer Expertise gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Meine Tätigkeit ist eine Managementfunktion.
Durch die Coronakrise ist die Bildungsschere weiter aufgegangen. Gibt es Strategien, um das abzufedern?
Wir haben in der Krise von Beginn an gegengesteuert, etwa indem wir so viel Präsenzunterricht wie möglich angeboten haben – denn auf Dauer ist nur dort Beziehungsarbeit möglich. Trotz des großen Engagements aller sind Schäden bei jungen Menschen entstanden. Jetzt ist es an der Zeit, diese aufzuarbeiten. Das passiert durch die Lehrpersonen sowie durch die Schulpsychologie und die Sozialarbeit. Beides wurde aufgestockt.
Leben
Der 42-jährige Jurist ist seit 1. November offiziell niederösterreichische Bildungsdirektor. Der Vater zweier Kinder - das jüngste kam erst im Oktober zur Welt - folgt Johann Heuras nach. Fritthum ist in Wien geboren, lebt mit seiner Familien in Hainfeld.
Karriere
Er war im Amt der NÖ-Landesregierung stellvertretender Leiter der Abteilung Schulen und Kindergärten. 2018 wechselte er in die Bildungsdirektion, wo er als Leiter des Präsidialbereichs und als stellvertretender Bildungsdirektor das Haus kennenlernte. Als Projektleiter war er federführend für die Transformation des Landesschulrates in die Bildungsdirektion.
Letztere sind nötig, weil das soziale Miteinander während des Lockdowns in der Schule nicht eingeübt werden konnte.
Ja. Bildungsminister Martin Polaschek hat für Projekte zur Stärkung der Schulgemeinschaft, wie Ausflüge und Sportwochen oder Sprachreisen zusätzlich ein Budget zur Verfügung gestellt. Man kann hier um finanzielle Förderung ansuchen. Wir wollen zumindest zum Teil kompensieren, was seit 2020 nicht möglich war.
Jeder vierte Jugendliche beherrscht nach Ende der Pflichtschulzeit Grundlegendes nicht. Reichen die Sommerschulen, um die Defizite auszugleichen?
Sommerschulen sind ein wesentlicher Faktor für die Förderung. Daneben haben wir Fördermaßnahmen in der Schule – hier werden die Lehrpersonen durch zusätzliche Ressourcen unterstützt. In Niederösterreich haben wir zudem in den allermeisten Gemeinden Zusatzangebote am Nachmittag, die kostenlos oder sehr günstig sind.
Oft nehmen diejenigen, die die Angebote am nötigsten brauchen, diese nicht wahr.
Als Teil des umfangreichen Angebotes der Schulpsychologie gibt es etwa das Mobile Interkulturelle Team MIT, wo verschiedene Professionen zusammenarbeiten: Psychologen, Sozialarbeiter, und Lehrpersonen mit Migrationshintergrund, die aktiv auf die jungen Menschen zugehen und intensiv mit den Eltern arbeiten und schauen, welche Unterstützung notwendig ist. Dies hat sich sehr bewährt.
Welches Thema ist Ihnen persönliches Anliegen?
Junge Menschen sind mit vielen Krisen konfrontiert – Ukraine, Klimawandel, Inflation, Blackout usw. Aus dieser Krisenstimmung müssen wir herauskommen. Was mir Sorge bereitet, ist, dass ein nicht kleiner Teil der Österreicher nach einer starken Führung verlangt – da müssen wir in der Schule gegensteuern. Ein Heilmittel ist da die politische Bildung, die wir fördern und in deren Rahmen wir die Bedeutung der Demokratie genau erklären.
Demokratie lernt man in der Praxis. Ist die Schule, die ja sehr hierarchisch strukturiert ist, da der richtige Ort?
Schule ist schon lange nicht mehr hierarchisch strukturiert. Und klar, die Theorie allein reicht nicht aus. Wir haben Angebote wie Schülerlandtage, wo praktisch durchgespielt wird, wie Meinungsbildung in der Politik funktioniert. So entsteht ein Demokratieverständnis. Auch in den Schulen gibt es gemeinsame Willensbildung, etwa über die Schulpartner.
In der Schule wird dauernd getestet. Manche haben den Eindruck, dass die Ergebnisse ungelesen in den Schubladen landen.
Das tun sie nicht. Wir wissen, dass solche Tests ein enormer pädagogischer und administrativer Aufwand sind. Doch wenn wir uns als Schule weiterentwickeln wollen, müssen wir evidenzbasiert arbeiten. Dazu muss man wissen, wo die Kinder an welchem Standort stehen und wie sie sich entwickeln. Dafür brauchen wir die Tests.
Tests und auch Sommerschulen oder Nachmittagsbetreuung müssen verwaltet werden. Wie kann man Schulen dabei unterstützen?
Das ist eine unserer wesentlichen Aufgaben, dass wir hier entlasten. Es gibt vieles, das schon wirkt. So bündeln wir die Kommunikation – in der Krise gab es vieles, was man schnell weiterleiten musste, das ist heute nicht mehr so. Und wir wollen die Pflichtschulen, die in der Regel kein Sekretariat haben entlasten, indem wir im Rahmen eines Pilotprojekts bereits an 355 Standorten Administrativkräfte zur Verfügung gestellt haben. Hierfür ist die Finanzierung sichergestellt.
Lehrkräfte brauchen auch immer dann Hilfe, wenn sie es mit verhaltensauffälligen Kindern zu tun haben.
Unterstützende Kräfte müssen laut Gesetz die Kommunen finanzieren. Wir als Bildungsdirektion unterstützen mit unserer Expertise – es ist ja nicht so einfach festzustellen, wie viel ein Kind braucht. Bei Verhaltensauffälligen sind zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen nötig, die wir trotz der Mangelsituation zur Verfügung stellen wollen.
Die Lehrperson kann sich also darauf verlassen, dass sie Hilfe bekommt?
Sie kann sich in den allermeisten Fällen darauf verlassen. Wo es gebraucht wird, stellen wir entsprechend Personal zur Verfügung.
Schon ihr Vorgänger Johann Heuras beklagte den Lehrermangel. Trifft der alle Fächer und Schulformen?
Man kann nicht von einem allgemeinen Lehrermangel sprechen – in manchen Fächern haben wir einen Überschuss, etwa in Geschichte. Wir orten einen Mangel in den mathematisch- naturwissenschaftlichen sowie in den kreativen Fächern. Entscheidend ist auch die Fächerkombination.
Auch Sonderschulpädagoginnen und -pädagogen fehlen.
Diese Ausbildung brauchen wir immer mehr, weshalb das Fach an den Pädagogischen Hochschulen prominenter beworben wird. Inklusion bedeutet nicht weniger Lehrkräfte, sondern mehr. Wir stehen zu diesen inklusiven Klassen, aber auch zu den Sonderschulen.
Die Lehrerbildung neu gilt als praxisfern und dauert lange.
Ich bin froh, dass aus Niederösterreich die Initiative kam, die Ausbildung zu evaluieren. Wir werden die Bachelorausbildung von vier auf drei Jahre angleichen – wie es auch bei anderen Studiengängen üblich ist. Dann kann eine Pädagogin/ein Pädagoge vollwertig unterrichten. Eine sinnvolle Maßnahme – so können diese Personen berufsbegleitend den Master machen können.
Aber das funktioniert doch nicht. Wenn man in den Beruf einsteigt, ist die Arbeit im Klassenzimmer besonders anstrengend. Da bleibt keine Zeit fürs Studium.
Das wird besser funktionieren, weil wir in Zusammenarbeit mit den PHs das Studium an die Unterrichtsverpflichtung anpassen werden. Und man wird das Studium flexibilisieren: Wer will, kann schnell studieren und nicht unterrichten. Oder er braucht länger, weil er parallel arbeitet – dann wird er nicht bestraft. Studium und Beruf zu vereinen, ist sicher nicht einfach, aber sehr viele Studierende sagen uns, dass sie enorm davon profitieren.
Schulleitungen in Ballungszentren beklagen, dass viele Kinder eine AHS-Berechtigung erhalten, obwohl ihnen die Fähigkeiten fehlen.
Meine Antwort: Wir müssen die Mittelschulen stärken. Eltern tun ihren Kindern nichts Gutes tun, wenn sie Druck auf sie ausüben. Hier hilft vielfach die Beratung. Wenn wir Eltern vermitteln, dass nach einer Mittelschule den Kindern alle Türen offenstehen, ist das Teil der Lösung.
Dennoch sind viele Gymnasien in und rund um die Ballungszentren überfüllt.
Das ist mir bewusst. Nur mehr AHS zu bauen, halte ich allerdings für wenig sinnvoll. Ob Aufnahmeprüfungen das Allheilmittel sind, bezweifle ich. Im Schulsystem sind wir immer gut gefahren, wenn eine freie Entscheidung möglich ist. Für die Bewusstseinsbildung, die bei den Eltern erfolgen muss, brauchen Lehrpersonen Zeit – dafür muss man sie freispielen.
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