Das Klimaticket: Ein Erfolg mit Luft nach oben

© APA/HERBERT NEUBAUER
Die Einführung des Klimatickets vor einem Jahr legte Strukturschwächen schonungslos offen – und war trotzdem eine gute Sache.
Ein Jahr nach der Einführung des Klimatickets ist klar: das Prestige-, oder wie sie sagt: „Herzensprojekt“ der grünen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ist ein voller Erfolg.
Mit mehr als 200.000 verkauften Klimatickets Österreich wurden die Erwartungen um etwa das Doppelte übertroffen, dazu kommen rund 300.000 regionale Klimatickets (siehe Infobox unten). (Teils deutliche) Steigerungen der verkauften Jahreskarten werden aus allen Verkehrsverbünden und Bundesländern gemeldet.
Dabei war das Projekt bis kurz vor dem Start am Nationalfeiertag 2021 auf der Kippe gestanden. Mit den meisten Ländern sowie den überregionalen Bahnbetreibern wurde man sich über die Finanzierung mehr oder weniger schnell einig, nur mit dem Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) kam es auch nach mehr als 40 Verhandlungsrunden zu keiner Übereinkunft – bis Gewessler den Druck erhöhte und den Start des Klimatickets im August ohne den VOR präsentierte.
Verkaufsschlager
Gerade rechtzeitig zum ersten Geburtstag freut sich das Klimaschutzministerium über den Verkauf des 200.000sten Klimatickets. Nach Kategorien wurden 104.000 Classic-, 63.000 Jugend- und 24.000 Senioren-Tickets verkauft, der Rest sind Spezial-Tickets.
Meiste Tickets in Wien verkauft
Nach Bundesländern gingen die meisten bundesweit gültigen Klimatickets nach Wien (63.000), NÖ (51.000) und OÖ (33.000). Die wenigsten wurden mit 5.000 in Vorarlberg abgesetzt.
Westen regional unterwegs
Die meisten regionalen Klimatickets wurden im Westen verkauft: in Tirol rund 75.000 und in Vorarlberg rund 73.000. Auch in Salzburg waren es noch rund 40.000. Nicht eingerechnet sind jedoch die rund 800.000 Jahreskarten der Wiener Linien, die nicht unter dem Label Klimaticket firmieren.
1.095 Euro
kostet das reguläre Klimaticket. Die Jahreskarten der einzelnen Bundesländer unterscheiden sich preislich stark. Kostet das Ticket in Vorarlberg 363 Euro und in Wien und Salzburg 365 Euro, sind es in den übrigen Ländern zwischen 500 und 700 Euro. Niederösterreich, das Burgenland und die Steiermark haben jedoch Preissenkungen angekündigt.
Mit Erfolg: Am 30. September konnte verkündet werden, dass die neue Netzkarte vom Start weg in ganz Österreich gültig sein wird. Von ihrem ursprünglichen Plan eines 1-2-3-Tickets (ein Bundesland um einen, zwei um zwei, ganz Österreich um drei Euro pro Tag) hatte sich Gewessler da ohnehin schon verabschiedet.
Klar ist aber auch: leistbare Tickets sind das eine, attraktive Verbindungen das andere. Im ländlichen Raum sieht es teilweise noch düster aus; hier rächt sich die jahrzehntelange Vernachlässigung des öffentlichen Verkehrs. Zwar wird mittlerweile ein Infrastrukturpaket nach dem anderen präsentiert, doch die Umsetzung vieler Maßnahmen braucht Zeit.
So werden auch die ÖBB nicht müde, sich über den – auch durch das Klimaticket induzierten – Fahrgastzuwachs zu freuen, gleichzeitig aber darauf hinzuweisen, dass die Produktion neuer Züge eben eine Angelegenheit von Jahren, nicht von Monaten sei.
Insbesondere die Abdeckung der letzten Meile erfordert zudem den Mut, mit verschiedenen Mikro-ÖV–Modellen wie etwa Anruf-Sammeltaxis zu experimentieren. Hier muss man die Menschen im wahrsten Sinn des Wortes abholen, will man sie dazu bringen, auf das Auto zu verzichten – unumgänglich für jegliches Klimaziel und schlussendlich der Hauptgrund für die Einführung des Klimatickets.
Entwicklungspotenzial gibt es zudem in einigen Teilbereichen, von der Fahrradmitnahme bis zu digitalen Angeboten. Die noch vor einem Jahr zu hörende Kritik, man müsse erst das Angebot ausweiten, bevor man ein günstiges Ticket anbiete – sozusagen die Klimaticket-Variation des Henne-Ei-Problems – ist jedoch verstummt.
Michael Schwendinger vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) plädiert überhaupt dafür, die Sache von der anderen Seite zu betrachten: „Das Klimaticket war der notwendige Schub, der erst dazu geführt hat, dass alle Verkehrsverbünde und Stakeholder miteinander reden müssen.“
Vernetzung ist auch das Stichwort, wenn es um das wohl größte Problem des Klimatickets geht: den Zugang zu unterschiedlichen Mobilitätsangeboten aus einer Hand. Die Menschen erwarten sich heute zurecht Niederschwelligkeit. Das bedeutet auch, sich nicht für den öffentlichen Verkehr, die Fahrradbox am Bahnhof, Bikesharing, E-Carsharing und den Gemeindebus jeweils extra registrieren zu müssen.
Das Klimaticket hätte das Potenzial, in weiterer Folge zu dieser alles umfassenden Mobilitätskarte zu werden – bei entsprechendem politischen Willen und Verhandlungsgeschick. Das wäre auch die Vision Schwendingers: Wie die E-Card heute der Schlüssel zur Gesundheitsvorsorge ist, soll das Klimaticket morgen der Schlüssel zur Mobilität werden.
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