Big Brother in Ischgl: Der Massentourismus und das Müllproblem
Ein Start-up hat die Müllentsorgung des beliebten Skiortes digitalisiert. Die Entwickler sehen in ihrem System eine Chance, einen ungeliebten Job zu attraktivieren.
Im Winter wächst das Bergdorf Ischgl im Tiroler Paznauntal mit seinen rund 1.600 Einwohnern auf die Dimension einer Kleinstadt an. Bis zu 12.000 Urlauber und um die 3.000 Mitarbeiter leben dann zusätzlich im auf Massentourismus getrimmten Skiort. Dazu kommen noch Tausende Tagesgäste.
Das schlägt sich auch beim Müllaufkommen nieder. 650 Tonnen Restmüll, 750 Tonnen Bioabfälle, 276 Tonnen Sperrmüll, 160 Tonnen Verpackungskunststoffe, 105 Tonnen Altpapier, 620 Tonnen Altglas und 299 Tonnen Kartonagen fallen hier jährlich in Bars, Hotels, Restaurants und Geschäften an.
Kein Wunder, dass sich im Winter beim Recyclinghof der Gemeinde in der Vergangenheit zu Stoßzeiten an Samstagvormittagen Autoschlangen gebildet haben. Ein Ausbau des Abfallzentrums wurde genutzt, um dieses vollständig zu digitalisieren.
Und damit das zeitliche Abgabefenster enorm auszudehnen und den Andrang zu entzerren. Und zwar ohne zusätzliches Personal. „Staus bei der Einfahrt werden vermieden“, zeigte sich Bürgermeister Werner Kurz bei einer Zwischenbilanz in dieser Woche mit dem Probebetrieb zufrieden, in dem das System von 120 Personen getestet wird. Sie können sich mit einer App, die auch die aktuelle Auslastung zeigt, oder einer Karte Zutritt zum Recyclinghof verschaffen, wenn auch gerade kein Mitarbeiter vor Ort im Einsatz ist.
Arbeitsplätze nicht begehrt
Es geht aber nicht darum, Personal einzusparen, versichert Armin Wolf, Geschäftsführer von Wiegon in Landeck – jenem Start-up, das die Digitalisierung umgesetzt hat. „Arbeitsplätze auf Recyclinghöfen sind nicht unbedingt begehrt. Wer steht schon gerne bei Minusgraden in der Kälte und kontrolliert die Einfahrten. Wir holen die Tätigkeit ins Warme und werten sie auf“, sagt er.
Kontrolle über App
In Ischgl überwachen Mitarbeiter die Abläufe im kameraüberwachten Abfallwirtschaftszentrum am Computer oder sogar via App. Sie bekommen somit eine Controlling-Funktion als Abfallexperten. Abgegebene Abfälle wiederum werden digital erfasst und die Kosten-Verrechnung an die Gemeinde weitergeleitet.
Das funktioniert auch, wenn kein Mitarbeiter vor Ort ist. Zudem werden die Füllstände von den Abfallcontainern digital erfasst. Laufen sie voll, erhalten Entsorgungsunternehmen automatisch einen Auftrag zur Abholung des Mülls.
Über das installierte Kamerasystem im Recyclinghof lassen sich aber auch Fehlwürfe der Kunden erfassen. „Aber die Trennmoral ist sehr hoch, weil es als Privileg wahrgenommen wird, den autonomen Betrieb nutzen zu können“, sagt Wolf zu den bisherigen Erfahrungen.
Sein Unternehmen hat bereits die Recyclinghöfe von 25 Gemeinden in Tirol in verschiedenen Abstufungen digitalisiert. Das beginnt bei Zufahrtssystemen und geht im Endausbau bis zu jenem System, das in Ischgl Anwendung findet und diesen Recyclinghof zum modernsten Europas mache.
Digitalisierung spart Personal
Laut Wolf ermöglicht die personalunabhängige Abfallentsorgung auch Kooperationen von Gemeinden. In einer gemeinsamen Leitstelle könnte so etwa ein Mitarbeiter gleich mehrere Recyclinghöfe im Auge behalten. So bietet die Digitalisierung dann eben doch auch Möglichkeiten, Personal einzusparen. „Aber ganz ohne den Faktor Mensch wird es nie gehen“, sagt Wolf.
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