Neue Regeln bei der Baumhaftung: Bäume sind keine Häuser
Es mag auf den ersten Blick nach einer juristischen Spielerei aussehen, die in der Praxis kaum relevant ist. Doch bei den Änderungen im Haftungsrecht bei Bäumen (in Kraft getreten mit 1. Mai 2024) geht es um viel mehr: die Anerkennung von ökologischen Interessen im Privatrecht. Mit der Neuregelung wird eine Lücke im Zivilrecht geschlossen. Denn bisher gab es überhaupt keine eigene Bestimmung bei Schäden durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste.
Seit den 1950er Jahren wurden Bäume in Haftfragen mit Gebäuden gleichgesetzt - methodisch durch einen Analogieschluss. In diesem Fall gilt eine sogenannte Beweislastumkehr. Im konkreten Fall heißt das: Wenn sich ein Gebäudeteil, zum Beispiel ein Stück der Fassade, löst, herunterfällt und für einen Schaden sorgt, dann muss sich der Halter des Gebäudes selbst entlasten. Das heißt, er muss beweisen, dass er alles Erdenkliche getan hat, um den Schaden präventiv zu vermeiden. Und weil eine Baumhaftung im ABGB nicht existiert, wurden bis jetzt die Regeln der Gebäudehaftung auf Bäume übertragen.
Warum ist das ein Problem?
Erika Wagner leitet an der Johannes Kepler Universität in Linz das Institut für Umweltrecht und erklärt, dass die für die Analogie notwendige Wertungsähnlichkeit fehlt: “Wir haben es mit Natur zu tun. Die Analogie ist ins Wanken gekommen, weil man zur Erkenntnis gekommen ist, dass Bäume belebte Natur sind. Bäume können sich verändern und wir brauchen sie für unser Fortkommen”, sagt Wagner. Ein Mangel an einem Gebäude sei relativ klar zu bestimmen - doch was ist ein Mangel an einem Baum?
Der große Wurf der Neuregelung sei das Umdenken hin zu einer ökologischen Sichtweise auf das Privatrecht - "ein großer Fortschritt, der hoffentlich noch weitere aus ökologischer Sicht notwendige Anpassungen der Privatrechtsordnung nach sich ziehen wird," freut sich Wagner.
Was bedeutet das in der Praxis?
Bäume sind wichtige CO2-Speicher, sie spenden Schatten, schaffen Lebensräume und binden Feuchtigkeit. Mit der Neuregelung finden diese Aspekte nun erstmals Anerkennung im rund 200 Jahre alten Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (kurz: ABGB). In der Praxis hat die bisherige Regelung dafür gesorgt, dass viele Baumhalter “Angstschnitte” durchführen, um auf der sicheren Seite zu sein. Damit sind überschießende Eingriffe in oft alte Bäume und Baumbestände gemeint, die eigentlich gar nicht zwingend notwendig wären. Und diese Eingriffe sind nur schwer mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung gesunder Baumbestände vereinbar.
Wer ist jetzt bei Schäden haftbar?
Um haftbar zu sein, muss der Baumhalter die erforderliche Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes vernachlässigt haben. Das war auch vorher schon so, nur muss jetzt der potenziell Geschädigte den Schaden und das Verschulden des Baumhalters nachweisen. Weil nun auch anerkannt wird, dass Bäume nicht mit Gebäuden gleichgesetzt werden können, werden bei der Beurteilung auch Faktoren wie der Standort, die standortbezogene Gefahr, Größe, Wuchs und Zustand des Baumes miteinbezogen.
Sind Bäume jetzt besser geschützt?
Wie viel sich in der Praxis ändert und ob “Angstschnitte” dadurch wirklich vermieden werden, hängt von der Rechtsprechung ab, sagt Wagner. Wenn sich in der Rechtspraxis durchsetzt, dass ökologische Interessen berücksichtigt werden, dann hat die Neuregelung auch einen großen praktischen Mehrwert. Der Baumschutz könnte so verbessert werden. Dazu gehört auch, dass die Bedeutung der Gemeinwohlwirkung von Bäumen explizit betont wird.
Das bedeutet, dass "bei der Beurteilung der vom Baumhalter anzuwendenden Sorgfalt - also der Intensivität der Prüf- und Kontrollpflichten - die Bedeutung des Baumes in der natürlichen Umgebung jetzt eine Rolle spielt." Und: “Es ist der Versuch, eine einheitliche ökologische Betrachtung des Wesens Baum im ABGB zu implementieren.”
Welche Regeln gelten in Nationalparks?
Bei Bäumen in Nationalparks, Schutzgebieten und bei Naturdenkmälern wird zudem das Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand des Baumes in den Vordergrund gestellt. Diese Bäume sind meist wichtige Lebensräume für Insekten und verschiedene Vogelarten. Der Nationalpark soll eine Lehrfunktion erfüllen und gleichzeitig unberührte Natur schaffen. Um diesen Interessenkonflikt auszubalancieren, ist es zulässig, mit Warnschildern darauf hinzuweisen, dass Besucher auf nicht gesicherten Wegen auf eigene Gefahr unterwegs sind, solange sichere Wege zur Verfügung gestellt werden.
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