Ausverkauft: Warum Patienten bis Herbst auf Medizin warten müssen

Ausverkauft: Warum Patienten bis Herbst auf Medizin warten müssen
Patienten müssen bis Herbst auf die Versorgung mit Medikamenten warten. Bis zu 50 Präparate sind derzeit nicht lieferbar.

Für herz-, nieren- oder lebertransplantierte Patienten ist es ein lebensnotwendiges Medikament: „Imurek – 50 Milligramm Filmtabletten“. Mit der Einnahme soll verhindert werden, dass der Körper das eingepflanzte Organ abstößt. Allerdings ist seit Wochen sowohl das Originalpräparat, als auch ein ähnliches Medikament mit demselben Wirkstoff österreichweit nicht lieferbar. Erst im September soll es wieder erhältlich sein. „Das ist eine Katastrophe. Ohne diesem Mittel sind schwere Komplikationen möglich“, fürchten Ärzte und schlagen Alarm.

Lebenswichtige Medikamente fehlen

Ein Blick in die heimischen Lager der Apotheken offenbart ein noch größeres Problem. Laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, kurz BASG, und Apothekerkammer sind zahlreiche Medikamente in Österreich derzeit nicht verfügbar.

„Als meine Patienten ohne Imurek aus der Apotheke zurückkamen, war ich schockiert. Das ist eine Sauerei. Für die Betroffenen ist das Mittel lebenswichtig“, sagt Claudia Ertl, Hausärztin aus Schwadorf in Niederösterreich.

Ausverkauft: Warum Patienten bis Herbst auf Medizin warten müssen

Hausärztin Ertl: „Imurek ist ein lebenswichtiges Medikament“.

Auch Max Wudy, Allgemeinmediziner und Referent für Medikamentenversorgung in der nö. Ärztekammer, ärgert sich, dass es bei einem Standardprodukt zu Engpässen kommen kann. Tausende Patienten seien davon betroffen – auch Menschen mit Autoimmun-, Haut-, Muskel- oder Darmerkrankungen sowie mit Multiple Sklerose. „Treten schwere Komplikationen auf, kann das zum Tod führen. Der Einsatz eines alternativen Mittels ist möglich, aber heikel. Man muss den Patienten darauf einstellen, was mehrere Monate dauert und immer wieder Nebenwirkungen hervorrufen kann“, sagt Wudy.

Ähnlich problematisch waren erst im Vorjahr die Produktionsverzögerungen des „EpiPen“, den – wie berichtet – Wespenallergiker als lebensrettende Injektion benötigen.

Bis zu 50 Medikamente sind nicht lieferbar

Dass solche Lieferschwierigkeiten keine Einzelfälle mehr sind und sich seit wenigen Jahren häufen, belegt auch ein digitales „Vertriebseinschränkungsregister“ auf der Webseite des BASG, das 40 bis 50 nicht lieferbare Arzneimittel listet. Wudy sieht ein hausgemachtes Problem: „Wir sind ein Billigpreisland. Die Industrie liefert lieber dorthin, wo sie für ihre Arzneimittel mehr bekommen als in Österreich.“

Laut Apothekerkammer und Patientenanwaltschaft reichen die Ursachen aber weit über Österreich hinaus. „Aus Kostengründen werden viele Medikamente nicht mehr von mehreren Firmen in Europa produziert, sondern nur noch von einem Hersteller in China“, sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger. Kommt es zu Produktionsausfällen oder Rohstoffengpässen, seien die Auswirkungen gleich weltweit spürbar. „Daher gibt es verschiedene Versuche, Produktionen wieder nach Europa zu verlagern“, weiß Wolfgang Müller, Sprecher der Apothekerkammer.

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Bachinger: „Aus Kostengründen produziert nur noch China“

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Um die Patienten aber so rasch wie möglich mit Imurek oder wirkungsgleichen Alternativen zu versorgen, lässt das BASG derzeit nichts unversucht: „Es sind Bemühungen im Laufen, mit dem Fokus, ausländisches Imurek nach Österreich zu verbringen“, sagt ein Sprecher auf Anfrage des KURIER.

Die Kritik der Ärzteschaft lässt das Gesundheitsministerium nicht gelten: „In Österreich ist eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln gesetzlich abgesichert“, sagt Oliver Gumhold vom Ministerium. Es bestehe sowohl für den Großhandel, als auch für Hersteller und Zulassungsinhaber eine Bereitstellungspflicht. Die Lieferengpässe seien „oft ein europäisches bzw. globales Problem, das durch rein nationale Maßnahmen nicht gelöst werden können“, sagt der Sprecher. Eine installierte Task Force soll jetzt dennoch die Situation evaluieren und Lösungsansätze liefern.

Taskforce plant Gesetz für Meldepflicht

Immer wieder sind wichtige Medikamente nicht lieferbar. Seit zwei bis drei Jahren häufen sich solche Schwierigkeiten, sowohl in Österreich als auch in ganz Europa. Durch Firmenfusionen entstehen in der Pharmazie Big Player, die den weltweiten Markt dominieren. Kommt es beispielsweise bei  der Erzeugung von Wirkstoffen in einem Billiglohnland zu Verunreinigungen, sind die Auswirkungen weltweit zu spüren.

Obwohl Patientenanwalt Gerald Bachinger keine Lösung für das globale Problem kennt, begrüßt er nationale Bemühungen, um neue Maßnahmen für die Versorgungssicherheit in Österreich zu erarbeiten. Erst vor wenigen Wochen ist aus den besagten Gründen eine Taskforce mit  allen Playern wie Behörden, Interessenvertretungen, Gesundheitseinrichtungen, Apotheken, Industrie und Patientenvertretung  gegründet worden.

Man will sich um mehr Transparenz in der Distributionskette bemühen.  Weil es derzeit nur  bei  mindestens vier Wochen Lieferverzug eine Meldepflicht für fehlende Medikamente gibt, soll diese Regelung verschärft werden. „Derzeit ist ein Gesetz in Vorbereitung, das diese Meldepflicht viel strenger handhabt“, sagt Bachinger. Genauso wichtig sei, dass  es eine Informationspflicht für die niedergelassenen Ärzte gibt.

Darüber hinaus sieht der Patientenanwalt eine Erleichterung beim Verschreiben von Medikamenten, wenn „wie in vielen anderen europäischen Ländern üblich, nur noch der Wirkstoff  und nicht das gesamte Medikament auf dem Rezept steht“, sagt Bachinger. Wann das neue Gesetz in Kraft treten soll, ist noch unklar. Beteiligte der Task Force rechnen, dass erst die neue Regierung die Regelung auf den Weg bringen wird.

Laut einer im Jahr 2015  vom Institut für Pharmaökonomische Forschung (IPF) erstellten Studie sind in Österreich derzeit mehr als 13.200 Arzneimittel zugelassen, von denen mehr als 8000 Medikament rezeptpflichtig sind. Im internationalen Vergleich  mit 25 anderen EU-Ländern (samt der Schweiz) ist der Arzneimittelverbrauch je Einwohner  hierzulande niedrig.  Österreich liegt im Mittelfeld, angeführt wird das Ranking  von Großbritannien, Frankreich und Deutschland; Schlusslicht ist Estland.

In Österreich erhalten die Betreiber von Apotheken pro Arzneimittel, das auf Kosten der Krankenkassen abgegeben wird, im Schnitt 2,61 Euro. Mit dieser Spanne liegt Österreich  im  Vergleich im Mittelfeld.  Die Liste führt Deutschland mit einer Spanne von durchschnittlich 8,93 Euro pro Packung an, Schlusslicht ist Großbritannien mit 1,33 Euro.

Bundesweit versorgen 1370 öffentliche und fast 30 Filialapotheken die heimischen Patienten. Darüber hinaus betreiben 880 Allgemeinmediziner noch eigene Hausapotheken.

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