Einfach zuhören: Auf der Spur der sprechenden Briefe
Sprachnachrichten wurden bereits lange vor Whatsapp verschickt – schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die Österreichische Mediathek beleuchtet nun das Genre.
„Pack deine sieben Zwetschken zusammen und vergiss nicht, deine Näherei mitzunehmen ... und das Jam ...und komm bald her.“
Diese Aufforderung für einen Besuch – inklusive Sehnsucht nach Marmelade aus Alt Wien – schickte Komponist Arnold Schönberg im Jahr 1935 aus den USA an seine Mutter. Sie wurde aber nicht als Brief übermittelt, sondern als Sprachnachricht. Zu hören sind auch Schönbergs Frau Gertrud, die den Wunsch nach „Jam“ tatkräftig unterstützt und die dreijährige Tochter Nuria, die sich auf die „Großmama“ freut.
Tatsächlich waren solche Sprachnachrichten damals nicht ungewöhnlich – sie waren sogar ziemlich en vogue. Also bereits vor mehr als hundert Jahren bevor sie durch Dienste wie Whatsapp wieder einen neuen Hype erfahren haben.
Der erste Phonograph
Den Weg dafür ebnete Erfinder Thomas Edison im Jahr 1877. Damals stellte er einen Phonographen vor, einen Audiorekorder, mit dem man Schall aufnehmen und wiedergeben konnte. Eine Erfindung, die auch in vielen Privathaushalten eingesetzt wurde. Eine leidenschaftliche Hobby-Phonographin war etwa Friedensaktivistin Bertha von Suttner (siehe rechts).
Erst wurden die sprechenden Briefe via Wachswalzen verschickt, später auf Platten, Tondraht, Tonbändern und schließlich Kassetten, sagt Historikerin Eva Hallama. Gemeinsam mit Restauratorin Katrin Abromeit leitet sie das Forschungsprojekt „Sonic Memories“ (Sonime), das in Kooperation zwischen der Österreichischen Mediathek und dem Phonogrammarchiv in Wien durchgeführt wird.
In den 1950ern gab es sogar eigene „Voice-O-Graphen“. Sie sahen aus wie Telefonzellen, drinnen konnte man seine Stimme aufnehmen und auf kleine Schallplatten „schneiden“. In den USA waren diese Einrichtungen weit verbreitet, aufnehmen konnte man zum Beispiel beim Empire State Building. Aber auch in Österreich war das möglich, etwa in der Wiener Burggasse.
G’stanzln von den Enkeln
Die Geschichte der Audiobriefe ist noch fast ganz unerforscht, sagt Hallama. Die umfangreichsten Arbeiten stammen von Thomas Levin von der renommierten Princeton Universität. Er unterstützt das Wiener Projekt nun auch als wissenschaftlicher Beirat. Weil so wenig bekannt ist, lasse sich noch keine generelle Aussage über die Inhalte der Botschaften treffen, sagt Hallama. In der Anfangszeit dürften es vor allem Glückwünsche gewesen sein – zum Geburtstag oder zu wichtigen Feiertagen. Häufig werde dabei gesungen oder etwas auf Instrumenten vorgespielt, etwa von den Enkeln.
In den USA sind sogar Wachszylinder erhalten, die ein Niederösterreicher, der nach Amerika emigriert ist, von seiner Familie als Audioerinnerung erhalten hat. „Zu hören sind neben Sprachbotschaften auch typische Alltagsgeräusche wie das Glockengeläute aus dem Dorf“, so Hallama.
"Sprechende Feldpostbriefe"
Erforscht wird nun die konkrete Nutzung der Audiobotschaften. Wurden sie einmal angehört? Wurden sie immer wieder gehört? Oder hat man sie gehütet wie einen Schatz, weil man die sensiblen Tonträger nicht zerstören wollte? Besaß man selbst kein Abspielgerät, konnten jedenfalls schon Wachswalzen auf Phonographen in Gasthäusern angehört werden.
Fest steht auch, dass Audiobriefe im Zweiten Weltkrieg für Propagandazwecke eingesetzt wurden. Eigene Propagandakompanien wurden an die Front und in Lazarette geschickt, um sogenannte „Sprechende Feldpostbriefe“ von Wehrmachtssoldaten aufzunehmen, die diese an ihre Familien schicken konnten. Damit sollte die Moral der Truppen gestärkt werden.
Zum Massenmedium wurden Audiobriefe schließlich mit Erfindungen wie dem Tonband und der Kompaktkassette. In den 1970er Jahren nutzten beispielsweise ehemalige „Gastarbeiter“ Kassettenbriefe, um die räumliche Distanz zu überbrücken. Das war oft nicht nur billiger – sondern manchmal überhaupt die einzige Möglichkeit, die Stimme von Familie und Freunden über die Dauer vieler Jahre zu hören.
„Ich wollte nur kurz deine Stimme hören“ ist eben kein neuzeitliches Bedürfnis.
Private Aufnahmen gesucht
Da sehr wenige dieser Nachrichten erhalten (oder ordnungsgemäß archiviert) sind, hofft man bei Sonime auf Einsendungen von Privatpersonen. Wer Kassetten, Tonbänder oder Platten hat – auch wenn man sie nicht mehr abspielen kann –, kann sich an die Österreichische Mediathek wenden. Im Rahmen des Projektes können die Briefe restauriert, angehört und digitalisiert werden. (Infos an: Eva Hallama, 01/5973669-7125 oder per Mail an eva.hallama@mediathek.at).
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