Zwei Minuten des AUA-Hagelflugs Mallorca-Wien geben Rätsel auf. War der Airbus kurzfristig de facto führungslos, wie in einer Anzeige behauptet wird? Die Co-Pilotin bestreitet das vehement.
Acht Monate nach dem Hagel-Vorfall mit einem AUA-Airbus werden die Umstände des Fluges Mallorca-Wien immer widersprüchlicher. Der KURIER konnte nun neue Gerichtsdokumente und interne Protokolle sichten sowie mit Insidern und Flugexperten sprechen. Teilweise widersprechen diese der bisherigen offiziellen Darstellung von Flug OS434.
Demnach soll das Drama bereits vor dem Abflug begonnen haben:
Im Cockpit soll bereits um 15.20 Uhr beim Start in Palma de Mallorca zwischen Pilot und Co-Pilotin dicke Luft geherrscht haben, allerdings wegen privater Differenzen, wird in einer neuen Anzeige des Passagieranwalts Wolfgang List behauptet. Eine Hagelwarnung, die es laut einem Videoblogger bereits jetzt gegeben hat, will die Crew laut offiziellem Zwischenbericht der Untersuchungsstelle SUB so nicht gesehen haben. Die üblichen Wetterupdates während des Fluges konnte sie demnach auch nicht einholen, weil das w-lan im Airbus gestört war.
Um 17.26 Uhr beginnt die AUA-Maschine rund 30 Kilometer südwestlich von Graz aus 9,45 Kilometern Höhe mit dem Sinkflug. Obwohl das laut Experten nicht mehr gestattet ist, verlässt der Kapitän gegen 17.28 Uhr das Cockpit. Er stellt ein Essenstablett auf den Trolley und begibt sich auf die vordere Toilette, heißt es in vertraulichen AUA-Dokumenten.
Um 17.31 Uhr beginnt ein 45-sekündiges "Bombardement", wie es ein Crewmitglied später in einer internen Befragung ausdrückt. Kurz vor dem Ende der Unwetterzone spielen die drei Geschwindigkeitsanzeigen verrückt - sie zeigen bis zu 40 km/h unterschiedlich an.
Weitere 32 Sekunden nach den heftigen Turbulenzen gibt es - bereits über Pinkafeld - eine "Master-Warning". Gleich vier Systeme, darunter der Autopilot, fallen aus. Der Jet kann nur noch manuell gesteuert werden.
Dabei soll die Co-Pilotin in eine Art Schockstarre verfallen, behauptet nun Passagieranwalt Wolfgang List in einer Anzeige. Zumindest passiert im Cockpit auch in der folgenden Minute laut internen und offiziellen Dokumenten erstaunlich wenig.
Erst um 17.33 Uhr öffnet der vom WC kommende Pilot laut seiner Aussage und der einer Flugbegleiterin die Cockpittür mit einem Notfall-Code, weil ihm die Co-Pilotin diese nicht mit dem Schalter neben dem Sitz öffnet.
Mayday und Sauerstoffmasken bei AUA-Flug aus Mallorca
Nach einer weiteren knappen drei Viertel Minute funkt dann der Pilot "Mayday" an den Tower, übernimmt die Steuerung und stabilisiert den Jet auf einer Höhe von 5,79 Kilometern. Dann weist der Kapitän seine Pilotin an, die Sauerstoffmasken anzulegen.
Ein Angebot des Towers, den etwas längeren, aber nicht über das Stadtgebiet führenden Anflug vom Norden auf die Piste 16 zu nehmen, lehnt der Pilot ab - in einer internen Befragung erklärt er, darauf sei er nicht vorbereitet gewesen.
Laut einem Airbus-Piloten wäre das Umprogrammieren aller Systeme allerdings in unter einer Minute machbar und in so einem Fall eigentlich üblich.
Gegen 17.39 Uhr wird der Sinkflug fortgesetzt. Acht Minuten später funkt der Kapitän, dass lediglich die Windschutzscheibe beschädigt sei. Drei weitere Minuten später kommt eine Stall-Alarmierung für einen möglichen Strömungsabriss in einem Kurvenflug, weil der Jet offenbar zu langsam ist.
Fünf Minuten vor der Landung ertönt, kurz nach dem Ausfahren des Fahrwerks, erneut der Master-Alarm. Ob das schon über dem Wiener Stadtgebiet ist, lässt der offizielle Zwischenbericht offen.
Um 17.46 Uhr erkennt erst der Tower die enormen Beschädigungen und stoppt den AUA-Airbus mit 179 Insassen unmittelbar nach dem Verlassen der Landepiste in Schwechat. Eine Flugbegleiterin wurde durch einen umfallenden Trolley am Bein verletzt (und wird später einen Krankenstand antreten), eine weitere erleidet eine leichte Handverletzung, heißt es in vertraulichen Papieren.
Um 19.13 Uhr informiert die AUA mündlich die Untersuchungsstelle des Verkehrsministeriums (SUB). Danach geschieht Erstaunliches, denn bereits um 20.33 Uhr baut die AUA-Technik den Cockpit-Voicerekorder und den Flugdatenschreiber laut einem vertraulichen Protokoll selbst aus und sperrt ihn in einen Wandschrank. Die offizielle Verletztenzahl für den Unfall wird dabei mit Null notiert.
Das übliche Vorgehen wäre, so ein Insider, dass ein Ermittler des Ministeriums die Geräte als Beweismittel sicherstellt - zumindest als Kopie auf einem USB-Stick. Doch der erste Ermittler wird erst fast vierzehn Stunden später am Flughafen erscheinen, obwohl es für solche Fälle einen 24-Stunden-Bereitschaftdienst gibt.
Auch die offiziellen schriftlichen Meldungen des Vorfalls durch die Airline treffen erst nach dem ungewöhnlichen Ausbau, genau um 22.41 und 0.31 Uhr, bei der SUB ein.
Später wird sich herausstellen, dass 27 Bauteile am Airbus schwer beschädigt wurden und großteils ausgetauscht werden müssen - darunter Teile der Verkleidung der Tragflächen, des Höhenleitwerks und des Triebwerks, zwei Rohre für die Geschwindigkeitsmessung sowie die Antenne für den Leitstrahl zur Landung.
So steht es im Zwischenbericht.
Passagieranwalt List fordert nun weitere Ermittlungen und hat eine umfangreiche Zeugenliste an die Staatsanwaltschaft geschickt. Manche sollen in internen Protokollen anderes ausgesagt haben, als bei ihrer polizeilichen Einvernahme. Auch müsse die SUB der Justiz endlich die komplette Aufzeichnung der Aufnahmegeräte zur Verfügung stellen, fordert List.
Im Verkehrsministerium wird seit Monaten betont, dass alles rechtmäßig abgelaufen sei bei den Ermittlungen. Bei der AUA heißt es: "Alle Meldungen und Reports wurden fristgerecht eingebracht. Die Cockpit-Crew, die am 9. Juni auf dem Flug OS434 im Einsatz war, ist aktuell nicht im Flugeinsatz."
Detailfragen, etwa zum Ablauf im Cockpit, wolle man wegen des laufenden Verfahrens nicht beantworten - nur so viel: "Austrian Airlines hält fest, dass wir sehr daran interessiert sind, dass die Untersuchungen bald abgeschlossen sind."
Im Zwischenbericht werden "keine wie auch immer gearteten Fehler der Piloten indiziert", betont Christopher Schrank, Anwalt der Co-Pilotin. Dass diese "in einer Art Schockstarre gewesen sei und deshalb die Türe zum Cockpit nicht öffnen konnte, ist schlichtweg falsch: Wie aus dem Transkript der Kommunikation mit dem Tower hervorgeht, war unsere Mandantin vom Zeitpunkt des Vorfalls bis zur Landung in Wien in ständigem Austausch über Funk und unter anderem damit beschäftigt, diverse Einstellungen zu prüfen und das Flugzeug im manuellen Flugbetrieb zu übernehmen."
Die Co-Pilotin habe aufgrund des Hagelschlags den Piloten zunächst nicht wahrgenommen und dem Flugkapitän, der dies anders darstellt, sehr wohl die Tür geöffnet. Es habe auch keine "Auseinandersetzungen in irgendeiner Form" gegeben. Schranks Fazit: "Unsere Mandantin hat sich sowohl während des Vorfalls als auch davor und danach absolut korrekt und vorschriftsgemäß verhalten."
Der Anwalt des Piloten ließ eine Anfrage unbeantwortet.
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