Armut, die keiner sehen will

Laut einer wissenschaftlichen Studie können sich Bettler kaum mehr als das tägliche Überleben sichern
Innsbrucks Bürgermeisterin will im Städtebund Regelungen diskutieren.

Die Entscheidung war eindeutig. 2012 stellte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) fest, dass ein absolutes Bettelverbot der Menschenrechtskonvention widerspricht. Allerdings dürfen die Länder Bestimmungen gegen organisiertes und aggressives Betteln erlassen. In Salzburg, das Anlass für das Urteil war, wurde daraufhin das Landesgesetz entsprechend adaptiert. Tirol und Vorarlberg zogen nach (siehe Infokasten).

Doch das Thema kommt nicht von der politischen Agenda, wohl auch weil es sich hervorragend für Polemiken eignet. In Tirol erkannte die FPÖ eine "Invasion von Mitgliedern der illegalen Bettlermafia" in Innsbruck, kaum war die neue Bettlerregelung Anfang des Jahres in Kraft. Mit Fakten lässt sich das jedoch nicht untermauern. "Erkenntnisse in Richtung krimineller Organisationen haben wir nicht", analysiert Innsbrucks Stadtpolizeikommandant Martin Kirchler nüchtern, der aber darauf hinweist, dass es solche Strukturen auch gäbe.

Keine Zählungen

Weder schwarz noch weiß malt er auch in Hinblick auf die angebliche "Invasion" von Notreisenden. "Wir machen keine Zählungen. Es hat in den vergangene Jahren eine sichtbare Zunahme gegeben." Seitdem des neue Landespolizeigesetz in Kraft ist, habe die Zahl der Bettler weiter zugenommen, sagt Kirchler. "Ich sehe aber keinen dramatischen Sprung." Er gibt außerdem zu bedenken: "Das stille Betteln ist jetzt erlaubt. Wegen aggressiven Bettelns haben wir bisher 16 Übertretungen festgestellt." Trotz täglicher Kontrollen.

Ungeachtet dessen erkennt Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (FI) ein "Problem" in der Bettelei. Sie wünscht sich, wie berichtet, ein Anmeldesystem und eine Quote für Bettler. Das soll zu einer "Aufteilung auf alle Gemeinden" führen. "Die Menschen spenden gerne. Aber man hört jetzt oft den Satz: Da kommen dann noch mehr nach", sagt die Bürgermeisterin.

Gemeinsame Lösung

Sie will die Bettler-Thematik beim Städtetag kommende Woche in Graz mit ihren Amtskollegen besprechen. "Es macht keinen Sinn, wenn jede Stadt selber ein Lösung sucht." In Innsbruck läuft indes weiter die Prüfung, ob Teile der Stadt für Bettler gesperrt werden dürften. Damit geht laut Oppitz-Plörer auch "die Erhebung des Missstands und der Strukturen der Bettler" einher. Ergebnisse sollen Ende Juni vorliegen.

Eine wissenschaftliche Studie zu den Lebensumständen von Menschen, die für ihren Lebensunterhalt auf der Straße die Hand aufhalten müssen, hat 2013 der Erzbischof von Salzburg in Auftrag gegeben. Fazit: Die Einkünfte "sichern kaum mehr als das tägliche Überleben".

Die Diskussion über Bettelei bleibt auch in Salzburg Dauerbrenner. In der Innenstadt sind laut Schätzungen täglich 150 Bettler unterwegs. Vielen Stadtbewohnern und Kaufleuten sind sie ein Dorn im Auge. Zwei Arbeitsgruppen mit Vertretern des Magistrats, der Polizei und von Hilfsorganisationen prüfen gerade Lösungen aus ordnungspolitischer und sozialer Perspektive. Mitte Juni werden die Ergebnisse präsentiert. Heute, Mittwoch, veranstaltet die "Plattform gegen Rechts" eine Demonstration für mehr Toleranz gegenüber Notreisenden. Treffpunkt ist um 18.30 Uhr am Hauptbahnhof.

In Linz soll im Juni ein Bettelei-Gipfel stattfinden. Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) und sein Stellvertreter Reinhold Entholzer (SPÖ) wollen die Situation gemeinsam mit Vertretern von Polizei, Städte- und Gemeindebund sowie mit Betroffenen diskutieren und verbessern. Zuletzt hatten sich besonders in Linz die Beschwerden über Bettler gehäuft, besonders die FPÖ verlangt eine schärfere Vorgangsweise gegen "organisierte Banden".

Laut Polizei wurden in den vergangenen Monaten 50 Anzeigen nach dem oö. Polizeistrafgesetz erstattet. "Vor allem wegen aggressiven Bettelns", sagt der Linzer Stadtpolizeikommandant Karl Pogutter. Die Strafbescheide seien in der Regel aber schwer zustellbar. Gegen zwei Bettler wurden Ersatzfreiheitsstrafen verhängt, weil sie das Bußgeld nicht bezahlt hatten.

In den meisten Bundesländern ist das Betteln mit Kindern sowie das aggressive und organisierte Betteln verboten – in Wien und Tirol auch das gewerbsmäßige. So einen Passus will jetzt auch die Salzburger FPÖ im Landessicherheitsgesetz verankern. Die ÖVP winkt ab: Die Stadt habe es bisher versäumt, innerhalb des bestehenden Gesetzes eine Lösung zu finden und dürfe das Problem nicht auf das Land abwälzen, sagt LH Wilfried Haslauer. In Oberösterreich kann die Einhaltung der Vorschriften an besondere Aufsichtsorgane übertragen werden. In Linz führt die Stadtwache Ausweiskontrollen durch und arbeitet mit der Polizei zusammen. Verdeckte Ermittlungen gegen organisierte Bettler sind dem Ordnungsdienst allerdings nicht gestattet – sehr zum Missfallen von Linzer ÖVP und FPÖ, die mit Zivilkontrollen das ihrer Meinung nach „grassierende Bettlerunwesen“ in den Griff bekommen wollen.

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