Länger zu warten war nicht zu verantworten: Am Sonntagnachmittag wurden am AKH Wien mit Kaiserschnitt Zwillinge zur Welt gebracht, die über den Mutterkuchen miteinander verbunden waren (der KURIER berichtete exklusiv). Der eine Bub wiegt 1,3 Kilo, der andere 940 Gramm.
Die Mutter, die sich ob ihrer Risikoschwangerschaft an das Team von Peter Husslein, Vorstand der Frauenheilkunde, gewandt hatte, konnte zumindest einen kleinen Erfolg erzielen: Die Zwillinge wurden nicht unmittelbar nach der Geburt ins Donauspital transferiert. Angelika Berger, Leiterin der Neonatologie, nahm sie für die erste Nacht auf. Am Montag aber wurde die Mutter mit ihren Neugeborenen überstellt.
Notwendig war die Verlegung, weil am AKH vier von zwölf Intensivbetten für Frühgeborene gesperrt sind – aus Mangel an Pflegepersonal. Wie krass die Situation in der Kinderklinik ist, schildert Markus Müller, Rektor der Medizinuniversität: "Weil die Zahl der Frühgeborenen mit Intensivbedarf in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist, haben wir die Zahl der Ärzte von 90 im Jahr 2011 auf jetzt 113 aufgestockt. Für die Pflegeversorgung bräuchten wir 400 Personen. Doch wir haben nur 350."
Er schiebt damit die Verantwortung auf den Krankenanstaltenverbund. Denn die AKH-Ärzte werden, eben weil es sich um eine Universität handelt, vom Bund bezahlt. Für das Personal aber ist die Gemeinde Wien über den KAV zuständig. KAV-Pressesprecherin Nina Brenner-Küng versichert: "Wir suchen händeringend Personal für die Pflege!“
Allerdings wird gegenüber dem KURIER wiederholt der Vorwurf der Säumigkeit erhoben. Eine Kinderkrankenschwester (Name der Redaktion bekannt) schreibt: "Der eklatante Mangel an Kinderkrankenschwestern mit Intensivausbildung hat sich über Jahrzehnte aufgebaut. Aus Personalmangel mussten immer wieder Betten auf der Neonatologie gesperrt und Frühgeborene in andere Spitäler transferiert werden. Das im AKH tätige Personal stand und steht teilweise unter enormen Druck (psychisch, physisch). Meldungen über diese Arbeitsbedingungen an die zuständigen Stellen (Stationsleitungen, Oberschwester etc.) wurde jahrzehntelang ignoriert. Dadurch haben viele hochqualifizierte Kolleginnen das AKH verlassen."
Angelika Berger teilt den Befund. Sie spricht von einem "Teufelskreis“: 350 Personen müssten die Arbeit von 400 leisten, dies führe zu Abwanderungen und Burnout, und nun müssten die Verbliebenen noch mehr arbeiten.
Sie will den Streit mit dem KAV aber nicht eskalieren lassen, sondern hat Lösungsansätze: "Seit langem liegen meine Vorschläge auf dem Tisch!" Als kurzfristige Maßnahmen schlägt sie u.a. eine Anwerbeprämie (wie in Deutschland) und eine Ausbildungsrotation vor. Zudem führt sie ins Treffen, dass die AKH-Neonatologie die höchste Versorgungsstufe hat, also für alle Notfälle gerüstet ist. Gerade diese Station müsste personell ordentlich ausgestattet sein.
Peter Husslein assistiert: "Wenn man diesen Gedanken konsequent verfolgt, hätte man Pflegepersonal ins AKH transferieren müssen – und nicht eine Mutter mit zwei Frühchen in ein anderes Spital." Dies sei laut Husslein prinzipiell möglich. Schließlich ist der KAV mit acht Spitälern in Wien für die Bereitstellung des Pflegepersonals verantwortlich. „Man wollte wohl keinen Präzedenzfall schaffen. Denn es gibt viele solcher Fälle – dieser wurde nur deshalb bekannt, weil sich die verzweifelte Mutter an den KURIER wandte."
Nina Brenner-Küng kontert: "Es kann keine Lösung sein, Pflegefachkräfte von anderen Spitälern abzuziehen. Das Problem wird damit nicht gelöst, sondern nur verschoben." Und: "In der Regel schaffen wir an Abteilungen mit höherem Leistungsdruck einen höheren Personalschlüssel. Das funktionier gut, wenn sich die Mitarbeiterinnen dort wohl fühlen und bleiben. Wenn neue Pflegefachkräfte die Abteilungen gleich wieder verlassen wollen, müssen wir bei der Ursachenforschung tiefer graben.“
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