Der Fall mit den Frühchen-Zwillingen, die gegen den Willen der Mutter in ein anderes Spital transferiert wurden, weil man auf der Neonatologie des AKH vier von zwölf Intensiv-Betten gesperrt hat, sorgt für Empörung. Und für Nervosität in der obersten Etage.
Gegenüber dem KURIER wurde argumentiert, dass die Sperre der vier Betten (seit Juli) nur eine vorübergehende Maßnahme sei, weil es derzeit einen Mangel an Pflegepersonal gebe. Zudem wurde darauf verwiesen, dass der September der geburtenstärkste Monat ist – wegen Weihnachten. Allerdings sind die Frühchen, die in der 29. Woche per Kaiserschnitt zur Welt kamen, und alle weiteren, die derzeit entbunden werden, logischerweise erst später gezeugt worden.
Zudem lässt sich die Einzelfall-Theorie nicht aufrechterhalten. Eine Leserin berichtete: „Auch uns ist im Oktober 2017 dasselbe widerfahren. Unerwartet kam unser Sohn sieben Wochen zu früh auf die Welt. Wir waren in einer emotionalen Ausnahmesituation. Mein Gynäkologe Dr. Herbert Kiss und das Team der Neonatologie des AKHs haben unsere Ängste und Sorgen so gut wie möglich genommen und wir wussten, es gab keinen besseren Platz für unseren Sohn als diesen.“
"Alleine zurücklassen"
Die Leserin bekam ein Mutter-Kind-Zimmer: „Dadurch konnte ich rund um die Uhr bei meinem Sohn sein.“ Nach ein paar Tagen kam der Schock: Weil der Sohn der „fitteste“ war, wurde er in einem Transportinkubator in ein anderes Spital (Rudolfstiftung) transferiert. Dort hatte man zwar einen Platz für das Frühchen, aber nicht für die Mutter: „Wir mussten ihn somit alleine dort zurücklassen.“ Resümee: „Jede kleinste Veränderung ist in solch einer emotionalen Ausnahmesituation schrecklich für Eltern und hat uns ziemlich aus der Bahn geworfen.“
Die Zahl der Frühgeburten sei, bestätigen Ärzte, aufgrund der künstlichen Befruchtungen und dem gestiegenen Alter der werdenden Mütter rasant gestiegen: „Diese Entwicklungen sind seit mindestens zehn Jahren bekannt. Das Wiener Gesundheitswesen hat wieder einmal mit ,Aussitzen‘ reagiert.“
Der KURIER bat AKH-Direktor Herwig Wetzlinger um ein Gespräch.
Bei diesem war allerdings nie ganz klar, ob er nun als Direktor des AKH antwortet – oder als stellvertretender Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV). Eine Unvereinbarkeit sieht er, zwischenzeitlich auch Bauherr des Krankenhauses Nord, nicht. Zudem sei der KAV-Job nur ein temporärer (bis Ende 2020).
Die generelle Botschaft, die er loswerden will, lautet: Es ist alles sehr kompliziert, aber nicht weiter problematisch. Denn die meisten der von KAV verwalteten Spitälern verfügen über Neugeborenstationen: „Es gibt eine Vereinbarung, welche Form von Risikoschwangerschaften sie ab welchem Zeitpunkt übernehmen können.“ Das AKH ist eingerichtet für Frühchen ab der 22. Schwangerschaftswoche, dann folgt das SMZ Ost (ab der 24. Woche), das Wilhelminenspital (ab der 26. Woche) und so weiter.
Die zusatzversicherte Patientin, über die der KURIER berichtet hat, hätte also, da sie sich in der 29. Schwangerschaftswoche befand, allerorts entbunden werden können. Aber sie wollte im AKH entbunden werden. Sie hatte sich an das Team von Peter Husslein, Vorstand der Frauenklinik, zu einem Zeitpunkt gewandt, als nicht klar war, bis zu welcher Schwangerschaftswoche man zuwarten konnte. Und sie hatte nach 17 Untersuchungsterminen Vertrauen zu den AKH-Ärzten.
Geburten: Insgesamt kamen 2018 in Wien rund 20.000 Kinder zur Welt. Etwa acht Prozent werden vor der 38. Schwangerschaftswoche geboren.
Spitäler: Im Wiener Krankenanstaltenverbund stehen 184 neonatologische Intensivüberwachungseinheiten und Intensivbehandlungseinheiten zur Verfügung (Stand: 2018).
Dies lässt Wetzlinger nicht als Argument gelten. In der Regel könne der Patient vom Wunscharzt behandelt werden, aber es gebe kein Recht darauf – auch nicht auf die Wahl eines bestimmten Krankenhauses. „Es entscheidet der aufnehmende Arzt, wo der Patient behandelt wird.“ Wetzlinger argumentiert mit der Patientensicherheit, die gewährleistet sein müsse. Die Wahl des operierenden Arztes hätte man bloß im Sanatorium oder Privatkrankenhaus, sagt er. „Aber nicht im öffentlichen Spital. Das ist eindeutig geregelt.“
Und: „Schon Tage vorher stand fest, dass die Sectio am Sonntag – außergewöhnlich am Sonntag! – stattfinden würde.“ Sie hätte daher auch in einem anderen Spital erfolgen können. „Der die Patientin aufnehmende Oberarzt hätte im Sinne der Patientensicherheit sagen können, dass es einen Überbelag bei den Intensivbetten gibt. Denn die Sperre der Intensivbetten auf der Neonatologie war bekannt. Der Arzt hätte der Patientin sagen müssen: Wir können Sie nicht aufnehmen, weil die Sicherheit vorrangig ist. Wir empfehlen, Sie gleich zu transferieren. Dies dürfte nicht richtig vermittelt worden sein.“
Die Mitarbeiter suchen sich einen Job aus, wo sie nicht so belastet sind. Daher fehlen sie im AKH
von Herwig Wetzlinger, AKH-Direktor
Doch warum sind gerade im AKH vier der zwölf Intensiv-Betten gesperrt, obwohl die Geburten zwischen der 23. bis 27. Schwangerschaftswoche enorm gestiegen sind? „Diese Geburten erfordern weit mehr Pflegekräfte. Wir haben daher die Zahl der Dienstposten angehoben, können sie aber nicht besetzen, weil der Arbeitsmarkt mehr oder weniger ausgeräumt ist. Von 113 Posten für intensivmedizinischen Pflegekräften sind 14 nicht besetzt. Wir verlieren mehr Mitarbeiter als wir rekrutieren können.“
Als Gründe nennt er u.a. natürlichen Abgang (Pensionierung). Zudem befänden sich mehrere Pflegerinnen in Mutterschutz, und acht Mitarbeiter bewarben sich für ein anderes KAV-Krankenhaus. „Am AKH ist die Arbeitsbelastung am höchsten. Die Mitarbeiter suchen sich natürlich einen Job aus, wo sie nicht so belastet sind. Daher fehlen uns im AKH die Mitarbeiter.“
Sprich: Die KAV-Anstalten machen sich selbst Konkurrenz. In den anderen Spitälern gibt es so gut wie keine gesperrten Intensiv-Betten. Und der KAV sperrt also just dort, wo die High-end-Medizin geleistet wird.
Die Trennung der Neugeborenen von den Müttern aufgrund der Verlegung tut Wetzlinger als Nebengeräusch ab. Auf die Frage, ob innerhalb des KAV die Pfleger nach Bedarf eingesetzt werden könnten, sagt er: „Ja, es gibt prinzipiell die Möglichkeit einer temporären Dienstzuteilung, aber es muss ein Einvernehmen hergestellt werden. Ansonsten würde uns die Personalvertretung auf die Finger klopfen. Und stellen Sie sich vor, Sie sind als Pfleger davon betroffen. Das erste, was Sie tun: Sie gehen in Krankenstand.“
Den Pflegerinnen mehr zu zahlen, kommt für Wetzlinger nicht in Frage: „Wir alle sind Magistratsbedienstete. Es geht daher nicht, dass man für die gleiche Tätigkeit im einen Spital mehr verdient als im anderen.“ Dass die Belastung im AKH höher sei – und dass daher eine bessere Bezahlung gerechtfertigt sei, ist für Wetzlinger keine Lösung: „Unerträgliche Arbeitsbedingungen kann man nicht abkaufen. Und wir zahlen im intensivmedizinischen Bereich österreichweit sehr gut. Das Einstiegsgehalt der Jungpfleger ist bei 3.140 Euro.“
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