„Zirkus muss überraschen und Erwartung übertreffen“

Interview im Zirkuswagen am Linzer Urfahraner Jahrmarktgelände: Bernhard Paul
Der Zirkusdirektor Bernhard Paul, der mit seinem Roncalli derzeit in Linz gastiert, über sein Erfolgsrezept: Zirkus muss up to date sein und stets überraschen.

Bernhard Paul gastiert mit seinem Zirkus Roncalli bis 9. Dezember am Linzer Urfahraner Jahrmarktgelände. Der 71-jährige Zirkusdirektor ist im niederösterreichischen Lilienfeld geboren und beschäftigt mit seinen Unternehmen rund 1000 Mitarbeiter.

KURIER: Sie erhalten übermorgen, Dienstag, aus den Händen von Ministerpräsident Armin Laschet den Staatspreis von Nordrhein-Westfalen. Was bedeutet der Preis für Sie?

Bernhard Paul: Das ist der höchste Preis des Landes Nordrhein-Westfalen. Wenn man weiß, wer diesen Preis schon aller bekommen hat wie EU-Kommissar Jean-Claude Juncker oder der Maler Gerhard Richter, dann ist es eine Ehre, in dieser Reihe zu stehen. Es ist auch eine Ehrung der gesamten Branche. Wenn der Zirkus so etwas bekommt, dann kann er nicht so schlecht sein. Der SPD-Vorsitzende hat zum Wahlergebnis in Italien gesagt, schade, dass zwei Clowns die Wahl gewonnen haben. Das ist abwertend. Oder wenn gesagt wird, wir sind hier nicht beim Zirkus. Zirkus und Gaukler werden oft unter Wert geschlagen. Sie sind daran nicht ganz unschuldig. Es gibt Zirkusse, die man im besten Fall nicht als Kultur bezeichnen kann. Es gibt aber auch Theaterstücke, die alles andere als Kultur sind.Zirkusse schmelzen dahin wie Schnee im Frühling.

Man muss doch froh sein, dass es noch Zirkusse gibt.

In Wirklichkeit ja. Der Zirkus hat viele Feinde. Der größte ist die Bürokratie. Das fängt an bei den Dieselfahrverboten in Deutschland, geht über Plakatierverbote, etc. Einer der größten Feinde des Zirkus ist der Zirkus selbst. Wenn man einen Elefanten einzeln in einen Möbeltransporter einsperrt, ist das nicht förderlich für den Zirkusgedanken. Deswegen gibt es die Tierschutzdiskussion. Sie begann mit schwarzen Schafen und die Vorwürfe wurden über alle Zirkusse drübergelegt. Wir haben uns sehr früh ausgeklinkt.

In Ihren Shows verzichten Sie auf den Einsatz von Tieren.

Es ist kein Kniefall vor der Tierschutzorganisation Peta. Ich mache seit 40 Jahren Zirkus. 1970 hatte ich drei Elefanten, ich hatte jahrelang Raubtiernummern mit allem, was es gibt, ich hatte Zebras und Nashörner. Ich habe da mit dem Schweizer Nationalzirkus zusammengearbeitet. Die Welt verändert sich, wir müssen uns mit verändern. Es ist ja auch im Straßenverkehr im Vergleich zu 1910 kein Pferd mehr zu sehen. Gab es früher für den Zirkus wunderbare Wiesenplätze, so ist heute alles zubetoniert und hier sogar versiegelt.

Wir sind im Laufe der Jahrzehnte ein Großstadtzirkus geworden. Die neuen Verhältnisse kann ich gegenüber den Tieren nicht mehr verantworten.

Es gab früher wesentlich mehr Zirkusse. Warum sind Sie erfolgreich?

Aufgrund von Kurskorrekturen. Wenn ich mit einem Schiff über den Ozean fahre, muss ich den Kurs korrigieren. Ich muss immer wieder alles hinterfragen. Was gibt es Neues? Der Zirkus hat immer das Neueste verwendet. Es gibt nun Holografie (mit Licht werden Figuren gezeichnet, auch dreidimensional, Anm. d. Red.) und ich bin der Einzige, der Holografie im Zirkus einsetzt. Ich bringe damit wieder Elefanten und Pferde in die Manege und verbinde Tradition und Moderne.

Ein Zirkus ist ein aufwendiges Unternehmen. Wie steht man das finanziell durch?

Man muss nebenbei arbeiten gehen. Wir haben angefangen mit einem Zirkus. Dann ist das Apollo-Varieté in Düsseldorf dazugekommen. Dann der Weihnachtsmarkt von Hamburg. Weiters machen wir jede Menge von großen Events für große Firmen, die wir ausrichten. Dann die Dinnershows im Spiegelzelt. Wir waren damit 1990 die ersten, heute machen das viele nach. Wir spielen mittlerweile Programme auf acht Kreuzfahrtschiffen.

Der Zirkus ist die Mutter aller Schlachten, das andere ist notwendig, um diesen Aufwand erhalten zu können. Wir haben noch nie eine Subvention, einen Euro vom Staat bekommen.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie beschäftigt?

Wenn ich alles zusammenrechne, dann sind das zu Weihnachten bis zu 1000 Menschen. 150 im Zirkus, 100 im Apollo, 100 bei der Casino-Show in Dortmund, dann die Schiffe, am Weihnachtsmarkt am Hamburger Rathausplatz arbeiten sicher 250 Mitarbeiter, dazu kommen die Events und Galas, dazu kommt unsere Werkstatt, wo wir alles selbst bauen, und 20 Leute im Hauptbüro in Köln. Zu Weihnachten spielen wir mit drei Zirkussen: der Zeltzirkus, dann spielen wir im Tempodrom in Berlin mit 3000 Sitzplätzen.

Haben Sie hier den Überblick, haben Sie das alles im Griff?

Das ist gewachsen, es ist immer etwas dazugekommen. Ich habe immer erst mit etwas Neuem begonnen, wenn das andere funktioniert hat.

Wie bezeichnen Sie selbst Ihren Job?

Naja. Eigentlich wollte ich Zirkus machen, damit ich Clown sein kann. Das habe ich 35 Jahre auch gemacht, täglich zweimal. Das war der Motor. Um auftreten zu können brauche ich den Zirkus.

Sie sind Manager, sie müssen den Laden wirtschaftlich führen.

Ich sage immer, ich habe Zirkusdirektor studiert. Denn ich habe mit Hoch- und Tiefbau angefangen, Das ist viel Technik. Ich habe die elektrische Kuppel erfunden. Oder die transportable Orchestertribüne, die hydraulisch runterfährt. Ich habe später Grafik studiert und währenddessen auch Musik gemacht. Ich habe in einer Band gespielt, Lukas Resetarits war unser Sänger. Dann war ich Artdirektor beim profil. Ma n muss wissen, wie Medien funktionieren. Dann war ich Artdirektor der Werbeagentur GGK von Hans Schmid. Das alles ist mir beim Zirkus zugute gekommen. Der Zirkus war die Lösung meines Problems, was aus mir wird.

Was macht einen guten Zirkus aus?

Es gibt kein Rezept in dem Sinn, aber es gibt Zutaten, die sein müssen. Ein Zirkus muss überraschend sein. Erfolg ist nicht, eine Erwartungshaltung zu erfüllen, sondern eine Erwartungshaltung zu übertreffen. Die Zuschauer müssen sagen, das habe ich mir nicht so schön vorgestellt. Man muss auch auf neue Trends setzen, damit die Leute spüren, die sind in time. Bei uns steht am Eingang ein Food-Track-Wagen. In New York ist das hip und alle suchen so einen Citroën wie den unsrigen. Zirkus ist ein Mosaik aus vielen Dingen. Alles ist tip top gepflegt, lackiert und sauber, die Kostüme sind schön, es spielt Livemusik. Eine gute Clown-Nummer allein genügt nicht, aber es braucht gute Clowns. Alles, was gut ist, habe ich zu mir geholt, jetzt sind wir elf Clowns.

Sind diese bei Ihnen auf Dauer beschäftigt?

Immer für eine Saison, das sind zehn Monate.

Wie sehen Sie sich selbst? Sie sind ein Österreicher, der in Deutschland lebt.

Johannes Rau, der frühere deutsche Bundespräsident, ein guter Freund von mir, hat mir mehrmals die deutsche Staatsbürgerschaft angeboten. Ich habe ihm gesagt, ich bin ein Österreicher, ich liebe Österreich. Man kann eine Nationalität nicht so ablegen wie einen Anzug.

Was unterscheidet den Österreicher vom Deutschen?

Die Sprache. Der Österreicher hat den besseren Schmäh, der Deutsche ist präziser. Ich war in Linz am Südbahnhofmarkt. Ich bin da mit großen Augen herumgegangen. Das war für mich wie Weihnachten. Der Mohnstrudel, Vanillekipferl etc. Beim Fleischhacker habe ich frische Fleischknödel bekommen, nicht eingefrorene. Es gibt alles, Speck, Äpfel, Obst. Ich war so glücklich und bin mit vielen Tragtaschen nach Hause gekommen. Herrlich! Alles war frisch, viel davon bio. Das ist einer der großen Unterschiede.

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