Haberlander: „Wir wollen aus der Kritik lernen und besser werden“

Landeshauptmannstellvertreterin Christine Haberlander
Die LH-Stellvertreterin hat wenig Verständnis für die Ungeimpften und gesteht Fehler der Politik in der Kommunikation ein.

Christine Haberlander (40) ist Landeshauptmannstellvertreterin, zuständig für die Agenden Gesundheit, Schule, Kindergärten und Frauen. Zudem ist sie Landesobfrau des ÖVP-Arbeitnehmerflügels ÖAAB und Vorsitzende der Denkwerkstatt Academia Superior.

KURIER: Bei unserem Interview Anfang Juli waren 61 Prozent der Oberösterreicher über 12 Jahren einmal geimpft bzw. hatten den ersten Impftermin. Nun, fünf Monate später, sind es 66,7 Prozent über fünf Jahren. Warum gehen die Menschen nicht stärker impfen?

Christine Haberlander: Die Impfung ist damals wie heute das taugliche Instrument zur Pandemiebekämpfung. Meine Erwartungshaltung, dass die Impfung stark angenommen wird, ist nicht eingetroffen. Viele rätseln darüber, warum das so ist.

Die niedrige Impfquote betrifft ja nicht nur das Innviertel und Oberösterreich, sondern zum Beispiel auch den benachbarten Landkreis Rottal-Inn (niedrigste Impfrate Bayerns), den Flachgau und Salzburg.

Vielleicht sollte Professor Roman Sandgruber das einmal kulturhistorisch untersuchen. Ich habe geglaubt, dass die Impfung stärker angenommen wird, weil wir ja bereits eine Zeit hinter uns haben, in der viel Ungemach passiert ist. Die Impfung ist der Schlüssel zur Freiheit. Es kann sein, dass anfangs nicht genug informiert und aufgeklärt worden ist. Wir sind dann auch punktgenauer auf Zielgruppen eingegangen. Vielleicht war das zu spät. Man hat es sehr einfach gemacht, nicht impfen gehen zu müssen, weil es das Antigen-Angebot gegeben hat. Wir haben in Oberösterreich gratis zusätzlich 1,4 Millionen Tests verteilt.

Vielleicht ist es auch nicht gelungen, zu kommunizieren, dass Impfen auch ein Akt der Solidarität ist. Der Schutzwirkung betrifft ja nicht nur die Geimpften, sondern auch die anderen, mit der Brücke zum Gesundheitssystem. 80 Prozent der Patienten auf den Intensivstationen sind nicht geimpft. Wenn sie geimpft wären, hätten wir diese Belastung nicht.

War die Erwartungshaltung gegenüber der Impfung nicht zu hoch? Zuerst wurde gesagt, die Impfung besiegt die Pandemie. Nun werden selbst dreifach Geimpfte krank und geben die Viren, wenn auch eingeschränkt, weiter.

Die Politik ist auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Dieser Spagat, dass man mit dem Mehrwissen der Wissenschaft Sicherheit gibt, ist vielleicht in der Kommunikation der Politik nicht immer gelungen.

Wir sehen eine Minderheit gegen die Impfung, die sehr laut ist. Die große Mehrheit, die sich hat impfen lassen, die sich schützt und an die Regeln hält, ist leise. Ihr gebührt ein großer Respekt.

Es hat herbe Kritik an Landeshauptmann Thomas Stelzer und an Ihrer Person gegeben, weil die Entscheidung für den Lockdown für Ungeimpfte einigermaßen spät gefallen ist. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

Es ist wichtig, dass Kritik geübt wird und man sie auch zulässt. Der Antrieb muss sein, dass man besser wird. Wir wollen aus den vergangenen Wochen lernen und besser werden. Es ist wichtig, dass umsichtig und zum richtigen Zeitpunkt entschieden wird und dass es vorangeht. Die Entscheidungen wurden und werden in Oberösterreich getroffen. Die Dynamik ist eine österreichweite, die Phänomene betreffen ganz Österreich, aber auch Bayern.

Die vierte Welle ist in ihrer Dynamik eine unglaubliche Herausforderung für alle Bundesländer und Länder.

Waren Sie von der Dynamik überrascht? Landeshauptmann Stelzer hat im Landtag gesagt, die Dynamik sei nicht absehbar gewesen.

Diesen Worten schließe ich mich an. Die Dynamik war in dieser Dimension nicht absehbar. Wir hatten zum Beispiel eine Besprechung mit Experten, die meinten, es sei dies eine Welle, die sich eher auf den Normalstationen bemerkbar machen werde. Das wurde immer mehr und mehr. Es ist in jeden Fall eine Welle der Ungeimpften. Sie bringt in den Krankenhäusern eine enorme Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sich.

Die Untersuchungen der Vorfälle in Ischgl haben ergeben, dass es keine Verfehlungen der Behörden im Sinne strafrechtlicher Relevanz gegeben hat, aber ein großes Kommunikationsdesaster. Ist das nicht auch hierzulande der Fall?

Es gibt den Spruch, dass die meisten Fehler beim Zuhören passieren. Es ist ganz wichtig, dass man zuhört.

Wer soll konkret wem zuhören?

Idealerweise alle einander. Es ist ganz wichtig, dass wir nicht glauben, Unmögliches verlangen zu können. Das Contact-Tracing kommt an seine Grenzen. Das Testsystem funktioniert in ganz Österreich nicht und dann sagen wir, wir testen noch mehr. Man muss die Realitäten anerkennen. Wenn wir sehen, dass es die Mitarbeiter in den Krankenhäusern nicht mehr schaffen, können wir nicht sagen, es geht noch mehr. Da muss man die Notbremse ziehen und sagen, Lockdown und Impfpflicht.

Sie sind nun viereinhalb Jahre in der Landesregierung. Sie erleben momentan die schwierigste Phase Ihrer politischen Laufbahn. Wie geht es Ihnen dabei?

So wie viele andere empfinde auch ich die Situation als unglaublich belastend, persönlich belastend. Die Situation geht mir extrem nahe. Es geht mir nahe, wenn ich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Krankenhäusern rede, die tagtäglich für das Überleben der Patientinnen und Patienten kämpfen. Ich verstehe deren Ärger, wenn diese nicht geimpft sind. Ich kann es kaum nachvollziehen, wenn man sich nicht impfen lässt. So viele Menschen halten sich an die Maßnahmen und einige überlegen sich, wie sie die Regeln umgehen können. Es gibt Hinweise darauf, dass bei Tests betrogen wird, weil man sich etwas erschummeln will. Ich verstehe einfach nicht, wie man in der jetzigen Situation die Dramatik nicht erkennen kann und nicht solidarisch ist mit all denen, die in den Krankenhäusern arbeiten und jenen, die in den Schulen unterrichten. Dass man nicht solidarisch ist mit den Menschen, die dafür kämpfen, dass wir da rauskommen. Das alles belastet schon.

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