Steinecker: „Wir sind vom russischen Gas abhängig“

Werner Steinecker (li.) und Klaus Dorninger
Das Gas kommt zu 70 bis 80 Prozent aus Russland. 70 Prozent davon gehen an die oberösterreichischen Industriebetriebe.

Werner Steinecker ist Generaldirektor der Energie AG, Klaus Dorninger ist Geschäftsführer im Energie AG Vertrieb.

KURIER: Wenn Russland im Krieg mit der Ukraine tatsächlich den Gashahn abdrehen würde, wie würde uns das in Oberösterreich treffen?

Werner Steinecker: Ich schätze die Gefahr eines Krieges gering ein. Putin musste aufgrund des Vorrückens der Amerikaner und der NATO einmal Flagge zeigen.

Wie hoch ist der Prozentsatz von russischem Gas in Österreich und Oberösterreich?

Klaus Dorninger: Er beträgt zwischen 70 und 80 Prozent. In Europa ist die Situation eine ähnliche. Falls es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung käme, würde es vermutlich Maßnahmen gegen Russland geben. Sie hätten wahrscheinlich Gegenmaßnahmen zur Folge, es würde zu einem Aufschaukeln der Situation kommen. Die Gasspeicher sind sowohl in Österreich als auch in Europa in einem nicht sehr hohen Ausmaß gefüllt. Wir sollten aber in Österreich wie auch in Europa gut über den Winter kommen. Sofern dies der Fall ist, kann damit gerechnet werden, dass der Preisdruck etwas nachlässt.

Experten sagen, dass die Speicher in Österreich nur mehr zu 21 Prozent gefüllt sind.

Dorninger: Unsere Speicher sind sehr hochvolumig, wir haben Speicher im Ausmaß von mehr als 90 Terawattstunden. Das ist mehr als der gesamte Jahresverbrauch Österreichs.

Steinecker: Wir sind das einzige Land in der EU, das größere Speicherkapazitäten hat, als tatsächlich verbraucht wird.

Dorninger: Durch den hohen Gaspreis haben sich LNG-Tanker (Tanker mit Flüssiggas) nach Europa statt nach Asien bewegt und haben hier ihr Cargo gelöscht. Russland deckt den einen Teil der Versorgung ab, der zweite Teil kommt mit den Schiffen über das Meer.

Steinecker: Das, was der militärische Aufwand die Russen kostet, haben sie durch die gestiegenen Öl-und Gaspreise schon herinnen.

In welchen Bereichen wird das Gas in Oberösterreich eingesetzt?

Dorninger: Während Wien sehr viel Raum- und Fernwärme hat und mit 500.000 Gasheizungen der Schwerpunkt beim Konsumenten liegt, hat Oberösterreich viel Industrie und mit 120.000 Gasheizungen relativ wenig Raum- und Fernwärme.

Steinecker: 30 Prozent sind Raumwärme, der Rest ist Industrie.

Das bedeutet, wir sind in der Gasversorgung zu einem wesentlichen Teil von Russland abhängig.

Dorninger: Wir sind zu 70 bis 80 Prozent von Russland abhängig. Die Speicher und die Inlandsproduktion in Österreich leisten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit.

Neben der Versorgung geht es auch um sicherheitspolitische Aspekte. Wurden die bei Gas zu wenig beachtet, hat man einfach alles dem Markt überlassen?

Steinecker: Wenn es um Energie geht, gibt es kaum Situationen, wo es im großen Verband keine Abhängigkeiten gibt. Das ist auch beim Strom der Fall. Das belegt der 8. Jänner 2021, wo wir von ganz Europa abhängig waren, damit der Blackout nicht stattgefunden hat. Weil Europa funktioniert hat, konnte das Problem in Kroatien gelöst werden.

Steinecker: „Wir sind vom russischen Gas abhängig“

Werner Steinecker

Österreich war nach 1945 das erste Land, das mit russischen Gasverträgen ausgestattet worden ist. Seit dieser Zeit war Russland immer liefertreu und hat nie ein Problem gemacht. Hingegen haben die Holländer ihre Lieferungen nach Deutschland einmal gestoppt, als sie selbst zuwenig hatten.

Dorninger: Russland hat seit mehr als 50 Jahren immer konstant das geliefert, was man bestellt hat.

Ist aufgrund der momentanen Kriegsgefahr ein Umdenken notwendig?

Dorninger: Die privaten Haushalte müssen immer versorgt werden. Das ist in unseren Richtlinien so festgelegt. Sollte es tatsächlich zu einer Einschränkung kommen, wäre die Industrie betroffen.

Muss man umdenken oder ist das eine vorübergehende Krise? Muss man stärker diversifizieren?

Steinecker: Wenn man für die weitere Zukunft noch an den Energieträger Gas glaubt, manche sagen es ist die Brückentechnologie hin zu Wasserstoff, dann ist man gut beraten, das russische Gas als Faktum anzuerkennen und nicht andere Varianten anzubeten. Denn wenn die Amerikaner LNG-Gas aus Fracking-Anlagen (Gewinnung von Gas aus undurchlässigem Gestein) liefern, dann schreien die Klimaschützer auf und sagen, Fracking ist böse. Dazu kommt, dass dieses Gas sehr teuer ist.

Man könnte es auch aus dem arabischen Raum, zum Beispiel aus Qatar beziehen.

Steinecker: Das ist alles LNG. Man muss es über die Meere transportieren. Es wird zuerst verdichtet, dann wieder entspannt, damit es wieder gasförmig ist. Das sind teure Prozesse. Hinzu kommen die global beschränkten LNG-Mengen und die verstärkte Nachfrage. Dies macht LNG wesentlich teurer als Gas aus den großen Pipelines aus Russland.

Das heißt, die Situation wird realistischerweise so bleiben, wie sie ist.

Dorninger: Für die nächste Zeit sicher.

Steinecker: Wenn wir von Gas reden, bleibt die Lieferlogik von Russland und Norwegen aufrecht. Unsere eigenen Mengen sind auch nicht zu unterschätzen, zum Beispiel im Kobernaußerngebiet und im nördlichen Weinviertel. Das macht rund 15 Prozent aus. Alleine in Oberösterreich gibt es 40 Gasförderstellen.

Dorninger: Bevor diese ganz ausgefördert sind, besteht die Chance, diese als Speicher zu nutzen. Daher sind die Speicher rund um das Wiener Becken und in Oberösterreich (z. B. Puchkirchen, Haidach) aufgebaut worden.

Der Vorteil der Gasinfrastruktur liegt darin, dass es ein funktionierendes, europäisches und globales System ist. Sollte Russland ausfallen, besteht die Möglichkeit, LNG-Gas über Rotterdam zu beziehen. Es gibt immer Alternativen. Wenn das passieren würde, greifen die Marktmechanismen. Der Preis würde kurzfristig nach oben klettern, dann schicken Anbieter ihre LNG-Tanker nach Europa statt nach Asien, weil sie hier höhere Preise erzielen können.

Die Gaspreise sind extrem gestiegen. Wird es hier eine Entspannung geben oder bleiben sie in dieser Höhe?

Steinecker: Wenn sich die Russland-Urkraine-Krise entspannt und die Leitung Nord Stream 2 (Ostseepipeline von Russland nach Deutschland) befüllt wird, wird sich das preisbildend auswirken. Das wird stärker wirken als beim Strompreis. Der Strompreis wird auf lange Sicht auf einem hohen Niveau bleiben.

Halten Sie die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 für richtig?

Steinecker: Ja.

Dorninger: Es geht um die Versorgungssicherheit des Kontinents.

Steinecker: Wenn die Amerikaner sagen, wir verhängen Sanktionen gegen Russland und deshalb darf Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, dann muss ich fragen, wer sind sie denn? Das ist eine europäische Versorgungsleitung. Das ist so ähnlich, wie wenn die Europäer sagen würden, eine Leitung aus Alaska darf nicht in Betrieb gehen. Die Amerikaner würden durch den Transport von LNG-Gas nach Europa profitieren. Sie hatten ihre LNG-Anlagen wegen Unrentabilität stillgelegt, durch die hohen Preise sind sie wieder in Betrieb. 

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