Übergriffe auf Pflegepersonal: "Wir schauen nicht mehr länger zu"

Im Krankenhaus Braunau (OÖ) werden Übergriffe von Patienten gegenüber Mitarbeitern nicht mehr tabuisiert, sondern offensiv aufgearbeitet
Sexuelle Gewalt und Attacken auf Spitalsmitarbeiter nehmen zu. In Braunau steuert man dagegen.

Hämatome, Kratzer und offene Wunden sind die äußerlichen Folgen der körperlichen Übergriffe. Traumata, Selbstzweifel und Burn-out die psychischen Auswirkungen der verbalen und sexuellen Grenzüberschreitungen.

Dass in Spitälern und Altenheimen das Personal von Patienten attackiert wird, ist in Österreich vielfach noch ein Tabuthema. Die Betroffenen leiden mitunter mental aber stark unter den Auswirkungen, die – falls nicht aufgearbeitet – mit der Zeit sogar bis zur völligen Berufsunfähigkeit führen können.

Die Vorfälle, bei denen das Gesundheitspersonal bedroht, geschlagen, bespuckt, gekratzt, beleidigt, gebissen oder sexuell belästigt wird, häufen sich seit Jahren. Im Krankenhaus St. Josef in Braunau reagiert man als erstes heimisches Spital auf diese alarmierenden Zustände. Die Übergriffe werden dokumentiert, die Traumatisierungen aufgearbeitet und über die Attacken offensiv mit Patienten und Angehörigen gesprochen. Zeigt sich ein Täter aber nicht einsichtig, kann er auch in andere Häuser verlegt werden.

Notfall-Taste

"Wir wollten nicht mehr länger zuschauen", erklärt Sylvia Aigner, stellvertretende Pflegedirektorin und Leiterin des Antigewalt-Projekts. Die Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern sei ein extrem wichtiger Faktor für die Arbeitszufriedenheit, Stichwort: "sich wahrgenommen zu fühlen". "Auch hinter einem blauen Fleck steckt ein massives Trauma – er bedeutet eine Verletzung und stellt eine Grenzüberschreitung dar." Es sei nicht hinnehmbar, sich aufs Übelste beschimpfen, begrapschen oder von Patienten verletzen zu lassen, die weder dement noch psychisch krank sind. Probleme bereiten aber auch Patienten, die mutwillig und provokant beispielsweise ihre Suppe auf den Boden schütten. "Unsere Mitarbeiter haben mittlerweile auf dem Handy eine Notfall-Taste, die sie drücken, wenn sie Hilfe brauchen."

Opfer eines Übergriffs werden angehalten, ein Formular auszufüllen, das unverzüglich an Führungskräfte weitergeleitet wird. Im St.-Josef-Spital wurden heuer allein im ersten Halbjahr bereits 141 Vorfälle gemeldet. Aigner: "Die Dunkelziffer ist aber sehr hoch, weil viele Opfer leider noch immer Scheu davor haben, offiziell Meldung zu erstatten, oder die Schuld bei sich suchen."

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