"Paar Depp'n in Regierung": ÖVP-Soziallandesrat aus OÖ schießt gegen eigene Partei
Der Linzer Wolfgang Hattmannsdorfer ist seit einem Jahr in der Landesregierung als Landesrat für Soziales, Pflege und die Flüchtlinge zuständig. Der 43-Jährige war zuvor ÖVP-Landesgeschäftsführer.
KURIER: Sie wechseln im neuen Jahr mit Ihrem Büro von der Altstadt in das Landhaus. Ist das ein Aufstieg näher zur Macht?
Wolfgang Hattmannsdorfer: Es gibt hier keinen Zeitplan. Ich definiere mich nicht über mein Büro, sondern über meine Aufgaben. Das jetzige Büro war immer als Übergangsbüro angedacht, weil sich hier die Bürogemeinschaft der freiheitlichen Landesräte befindet.
Caritas-Präsident Michael Landau sagt, es gibt kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Problem ihrer Verteilung. Warum erfüllt Oberösterreich die vereinbarte Flüchtlingsquote nicht?
Es liegt weniger an der Frage der Quartiere, die die Länder schaffen. Wir haben allein in Oberösterreich heuer für 200 bis 300 zusätzliche Plätze gesorgt. Wir haben in den ersten Wochen des Krieges Russlands gegen die Ukraine die Hälfte der Flüchtlinge in Oberösterreich notversorgt. Das Problem ist, dass derzeit zu viele illegale Migranten nach Österreich kommen. Die Hauptaufgabe besteht darin, diesen illegalen Zustrom zu stoppen.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Oberösterreich seine Quote nicht erfüllt.
Oberösterreich kommt seiner Verantwortung nach. Wir haben allein im November ein Viertel aller Flüchtlinge, die der Bund auf alle Länder überstellt hat, übernommen. Wir haben in diesem Jahr 2.300 zusätzliche Plätze für geflüchtete Menschen geschaffen. Das Problem sind nicht die Quartiere, sondern, dass zu viele illegale Migranten kommen.
Warum sind die Migranten illegal?
Allein im November kamen extrem viele Menschen aus Indien und aus den Maghreb-Staaten (Tunesien, Algerien, Marokko und Westsahara, Anm.d. Red.). Hier gibt es keine Gründe für einen Asylantrag.
Es gibt hier aber auch Diktaturen.
Anrecht auf Asyl haben Menschen, die um Leib und Leben fürchten müssen. Der weitaus größte Teil der Menschen, die nach Österreich kommen, sind klassische Wirtschaftsmigranten.
Bundeskanzler Nehammer und Innenminister Karner haben wegen der vielen nicht registrierten Asylwerber die Erweiterung des Schengen-Raums um Rumänien und Bulgarien blockiert. Die Entscheidung wurde kritisiert.
Diese Entscheidung ist absolut richtig. Es kann nicht sein, dass Österreich nach Zypern das Land mit den zweitmeisten Asylanträgen ist (bezogen auf die Einwohnerzahl). Es darf nicht sein, dass sich andere europäische Staaten nicht an das Dubliner Abkommen halten und Flüchtlinge einfach durchwinken. Solange die EU-Außengrenze löchrig wie ein Schweizer Käse ist, kann es keine Schengen-Erweiterung geben.
Als bekennender Europäer schmerzt es mich, dass Europa in der Asylfrage versagt. Es gibt keine gemeinsame Asylpolitik und keinen funktionierenden Außengrenzschutz. Es braucht Sanktionen für jene Staaten, die Flüchtlinge einfach durchwinken oder sich nicht an Dublin halten. Und es braucht eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf ganz Europa. Es braucht hier eine schärfere Gangart. Man kann den Schengen-Raum nicht erweitern, wenn man die Außengrenze nicht im Griff hat.
Sie sind seit einem Jahr Soziallandesrat. Was hat sich seither verändert?
Die Sozialpolitik hat sich grundlegend geändert. Die größten Herausforderungen sind der demografische Wandel und die Zuwanderung.
Demografischer Wandel bedeutet mehr ältere Mitbürger und eine erhöhte Nachfrage nach Plätzen in den Pflegeheimen.
Es ändert sich die Betreuung, weil immer mehr ältere Menschen zu pflegen und zu betreuen sind. Der demografische Wandel ist die größte Herausforderung für unseren Wohlstand. Wenn immer mehr Menschen in Pension gehen und die Zahl der Erwerbstätigen sinkt, stellt sich die Frage, wie wir es schaffen, mit weniger Erwerbstätigen unseren Wohlstand und die staatlichen Leistungen aufrechtzuerhalten. Wenn heute zehn Erwerbstätige in Pension gehen, kommen nur mehr sechs Erwerbstätige nach.
Das geht nur über Zuwanderung.
Deswegen braucht es auch eine aktive Zuwanderungspolitik. Wir überlassen sie nicht zu dem Zufall, sondern wir müssen uns die Menschen gezielt aussuchen. Wie das die USA, Kanada oder Neuseeland machen.
Wir brauchen Menschen mit einer guten Ausbildung, Menschen, die bereit sind, Deutsch zu lernen, und die bereit sind, sich zu integrieren. Das beste Beispiel sind 15.000 Inder, die heuer nach Österreich quasi eingewandert sind. Ich will nicht 15.000 Inder, die per Zufall kommen, sondern ich will 15.000 Inder, die in den Bereichen Pflege oder Informatik perfekt ausgebildet sind.
Das bedeutet, dass man die potenziellen Zuwanderer bereits in ihren Heimatländern qualifizieren muss.
Es soll sogenannte „Points of Immigration“ geben, wo in den zentralen Herkunftsländern bereits der Asylantrag geprüft werden kann. Asylanträge sollen bereits vor den Toren Europas gestellt werden. Es soll zweitens an diesen „Points of Immigration“ auch unsere Rot-Weiß-Rot-Karte aktiv beworben werden. Damit sollen Wirtschaftsmigranten gezielt angeworben werden.
Wie viele Mitarbeiter wollen Sie für die Pflege in Oberösterreich auf diese Weise ansprechen?
Die entscheidende Frage ist nicht die Anzahl, sondern die Qualifikation. Wir haben ein Pilotprojekt gestartet, wo im Sozialhilfeverband Perg bereits die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Philippinen beschäftigt sind. Zwölf sind bereits da.
Wir haben nun ein zweites Pilotprojekt gestartet. Es handelt sich um ausgebildete Fachkräfte, deren Abschlüsse auch bei uns anerkannt werden müssen.
Das bedeutet, dass wir ein Einwanderungsland sind.
Ich halte nichts von der Debatte, ob wir ein Zuwanderungs- oder ein Einwanderungsland sind. Wir sind ein Land für jene Menschen, die bereit sind, Leistung zu bringen.
Das Sozialbudget wird 2023 um 8,6 Prozent auf 960 Millionen Euro erhöht. Was machen Sie mit dem Geld?
Das Allerwesentlichste sind die Gehaltserhöhungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Sozialbereich ist personalintensiv. Der zweite Schwerpunkt ist die Umsetzung der Fachkräftestrategie. Gemeinsam mit dem Städte- und dem Gemeindebund haben wir 50 Maßnahmen entwickelt.
Durch den Personalmangel stehen 1.300 Betten leer. Wir steuern hier gegen. Das Ziel ist, dass am Ende der Legislaturperiode im Jahr 2027, wenn laut Prognose 3.000 Betten leer stehen sollen, wir diese Zahl so niedrig wie möglich halten.
Wir werden morgen, Montag, eine Verordnung zur Heim-Novelle beschließen, mit der wir neue Berufsgruppen in den Altenheimen und in der Behindertenbegleitung zulassen werden. Wir werden auch die neue Kategorie Stützpersonal einführen.
Das sind Menschen, die noch überhaupt keine Ausbildung in der Pflege haben, sich aber mit Dienstantritt verpflichten, eine Ausbildung zu beginnen, die sie innerhalb von zwei Jahren abschließen müssen. Wir entwickeln weiters Karrieremodelle in der Pflege.
Sie waren viele Jahre Landesgeschäftsführer der ÖVP. Die FPÖ ist in faktisch allen Umfragen stärkste Partei auf Bundesebene, die ÖVP grundelt mit deutlichem Abstand hinter der SPÖ bei 19, 20 Prozent herum. Worin liegt das?
Abgerechnet wird immer noch am Wahltag. Wir können stolz auf unseren Bundeskanzler sein, mit welcher Unaufgeregtheit er diese Republik in schwierigen Zeiten führt. Corona und der Krieg Russlands gegen die Ukrainer sind Herausforderungen.
Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Kabinettschef Thomas Schmid und die Chats sind auch eine schwere Belastung.
Man braucht es nicht schönreden, dass es auch ÖVP-interne Herausforderungen gegeben hat. Mit dem Rücktritt von Kurz ist auch dieses Kapitel geschlossen worden.
Die ÖVP öffnet dieses Kapitel ja neu, indem der Kommunikationschef von Kurz Kommunikationschef der Bundespartei geworden ist.
Man soll einen Kommunikationschef der Partei nicht überbewerten. Es gilt die Unschuldsvermutung. Wenn jemand nicht rechtskräftig verurteilt ist, kann man jemandem nicht verbieten, einer Arbeit nachzugehen.
Warum sind die Umfragewerte für die ÖVP so schlecht?
Die Regierenden sind in Europa überall in der Defensive. Es herrscht eine Grundstimmung gegen die Regierenden. Sie werden verantwortlich gemacht für Corona, für die Teuerungen, für die Inflation, für den Ukraine-Krieg.
Wir erleben zudem ein Bashing der ÖVP. Es vergeht kein Tag, an dem man nicht die ÖVP anzupatzen versucht. Man wird aber eines Tages zur Kenntnis nehmen müssen, dass in der ÖVP ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde. Wir haben mit Nehammer einen Bundeskanzler, der besonnen, aber bestimmt regiert und eine Leistungsbilanz vorlegen kann. Diese Ausdauer wird sich am Wahltag auszahlen.
Die schlechten Umfragewerte der Bundespartei schlagen sich auch in schlechten Umfragewerten der Landes-ÖVP nieder.
Die Landespartei beweist, dass auf die Landespolitik Verlass ist. Wir gehen einen konsequenten, soliden Kurs für Oberösterreich. Wenn es aber eine Grundstimmung gegen die Regierenden wendet, wenn es Vorkommnisse in der ÖVP gegeben hat, dann trifft es auch die Landespartei.
Mit dieser Chat-Geschichte, nicht nur was geschrieben wurde, sondern auch wie es geschrieben wurde, hat die ÖVP zu kämpfen. Aber es hat einen Schnitt gegeben. Nehammer macht seine Sache solide und sehr gut. Nur wegen ein paar Depp’n in Wien darf man nicht alle ÖVP-Funktionäre in Geiselhaft nehmen. 99,9 Prozent der ÖVP wollen Verantwortung übernehmen und solide Arbeit für das Land und die Gemeinden machen.
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