Das traurige Schneeglöckchen

Das traurige  Schneeglöckchen
Wie der Seppy lernt, dass es kein gutes Gefühl ist, beschwindelt zu werden

von Christa Koinig

Ich habe noch immer ein schlechtes Gewissen, weil ich die Omama angeschwindelt hab’. Begonnen hat alles ganz harmlos mit den Essiggurkerln. Omama legt Gurkerl selber ein in ein Gemisch aus Essig und Gewürzen, und sie schmecken voll gut. Neulich habe ich in der Speisekammer ein Glas entdeckt und heimlich ein paar Gurkerl gestibitzt. Dann hab’ ich das Glas irgendwie wieder zugemacht. Als uns Omama einige Zeit später zur Jause einige Gurkerl geben wollte, waren alle verschimmelt.

„Hat jemand davon genascht?“, wollte sie wissen. Ich hab’ in die Luft geschaut, als ob mich das nichts anginge, aber Omama hatte mich durchschaut. „Seppy, es ist kein gutes Gefühl, beschwindelt zu werden!“, hat sie gesagt und ich hab’s dann doch zugegeben, dass ich der Gurkerldieb war, ich hab’ mich auch sehr geschämt.

Wo sind die Freunde?

Ich bin dann ganz schnell in den Garten gegangen, um mich abzulenken. Da hab’ ich im Blumenbeet ein kleines Schneeglöckchen entdeckt, auf der winzigen weißen Blüte war ein großer Wassertropfen. „Das ist eine Träne“, hat das Glöckerl traurig gesagt, „ich bin hier so alleine, ich hätte so gern ein paar Freunde neben mir.“

Das einsame Blumerl hat mir leid getan, und irgendwie wollte ich auch mein schlechtes Gewissen los werden, indem ich etwas Gutes tu’. Ich hab’ also mein ganzes Taschengeld ausgegeben für ein paar bunte Primel, die ich dann eingepflanzt habe. „Wie gefallen dir deine neuen Nachbarn?“, wollte ich grad’ fragen, als ich gesehen hab’, die Träne war immer noch da. „Das ist keine Träne, das ist nur ein Tautropfen!“, hat das Glöckerl schnippisch gesagt, „mir war bloß so langweilig so allein“. Es ist kein gutes Gefühl, beschwindelt zu werden.

Christa Koinig ist künstlerische Leiterin des Linzer Puppentheaters

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